Retrospektive zu Yoko Ono: Gut, dass sie so weit gegangen ist

Yoko Ono stiftete mit ihren Alben eine Verbindung zwischen Pop und konzeptueller Kunst. Lange bevor alle anderen darauf kamen – und lauter.

Porträt Yoko Ono

Schreit ziemlich laut: Yoko Ono Foto: Iain MacMillan/Yoko Ono

Neunzehnhundertsieb­zig. Im Ramschfach von „Membran“ im Alstereinkaufszentrum Hamburg fand man für 5 Mark nur selten etwas wirklich Gutes, höchstens mal ein Album von der Detroit-Proto-Metalband Frost oder ein auf Langstrecke auch nicht zufriedenstellendes Album von Rare Bird („. . . and sympathy is what you need my friend . . .“). Vor allem wurde meist alles von Harry Chapin verramscht. Und dann stand da eine Originalplatte von Apple Records. Da musste man zugreifen.

Mein Bruder und ich haben den infernalischen Lärm von Yoko Ono und John Lennon nicht verstanden oder auch nur verstanden, dass es da etwas zu verstehen gab, aber es war für uns eindeutig so etwas wie ein Weltrekord. Dies war das Äußerste an Härte, Lärm, Radikalität. Gut, dass jemand mal so weit gegangen ist. Heute gehört diese Ramschware, das Album „Unfinished Music No. 2: Life with the Lions“, zu einem Bündel von Yoko-Ono-Klassikern, die liebevoll und aufwändig wiederveröffentlicht werden.

2016 lese ich in der New York Times,immerhin das Qualitätsblatt der Stadt, in der Yoko Ono mehr oder weniger durchgehend seit über sechzig Jahren lebt, sie sei schon früh mit avancierten Komposi­tions­techniken vertraut gewesen, denn ihr erster Ehemann sei ja der Komponist Toshi Ichiyanagi gewesen.

Ziemlich unverschämte Kausalität: Erstens ist der große Ichiyanagi zwar für alles Mögliche, aber weder für ausdauerndes Schreien noch für konzeptuelle Musikverweigerung bekannt; zweitens hat Yoko Ono, die sich 1962 von ihm scheiden ließ, den Kontext, mit dem er sie vertraut gemacht haben soll, selbst mitbegründet: die extremen, konzeptuellen Performances, die am Anfang der amerikanischen Fluxus-Bewegung stehen.

Fluxus und Happenings

Nahezu alle bahnbrechenden Ereignisse und Experimente, mit denen die Karrieren von Granden wie Robert Morris, La Monte Young oder Henry Flynt begannen, fanden zwischen Dezember 1960 und Sommer 1961 in jenem Loft in der Chambers Street statt, das Yoko Ono damals bewohnte, und wurden von ihr neben eigenen Performances veranstaltet. In den 1960er Jahren war sie eine der international prominentesten Vertreterinnen der Fluxus- und Happening-Welt, arbeitete mit Gustav Metzger in London und Jean-Jacques Lebel in Paris.

Den Musikbegriff aus ihrem einschlägigen Studium in den USA der 1950er Jahre hatte sie dabei in eine ganz andere Richtung getrieben als ihr Exmann, der bei aller Neutönerei weiterhin Kompositionen fabrizierte. Yoko Onos Kompositionen bestanden dagegen schon 1961 aus einem einzigen Wort wie „Touch“ oder „Hide“.

Yoko Ono spielt durch, was sie kann, klassisch japanische Gesangsstile, unmoduliertes Kreischen

Insofern war es natürlich auch nicht so, wie es sich eine Popwelt vorstellte, der sie zur bösartigen Beatles-Zersetzerin geworden war, dass John Lennon Ende der 60er mit und für seine talentlose Freundin ein paar unerträgliche Platten einspielte, um dieser einen Gefallen zu tun. John Lennon, der sich schon länger seinen eigenen Reim auf Minimalismus und experimentelle Poesie zu machen versuchte, stand aber auch mit dem in Avantgarde-Musik nicht ungebildeten Paul McCartney, der sich ein wenig mit Stockhausen auskannte, in Hipster-Konkurrenz.

Yoko Ono bot einerseits das in Lennons Kreisen seinerzeit weitgehend unbesetzte, aber attraktive Angebot Bildende Kunst – Lennons Freund, der früh verstorbene Beatles-Intellektuelle Stu Sutcliffe, war Künstler und studierte in Hamburg bei dem britischen Pop-Art-Begründer Eduardo Paolozzi –, zum anderen aber auch Musikideen, die viel extremer waren als Stockhausen und Cage zusammen. Es war ihm eine Ehre.

Vor allem die „Unfinished Music“-Serie wäre hier zu nennen; drei Alben, in denen Yoko den Ton angibt und die dennoch als gemeinsame Veröffentlichungen des Ehepaars auftreten. Von ihr geprägt sind sie insofern, als jeder Moment von einer externen Idee bestimmt ist, in jeder musikalischen Hinsicht ist aber alles offen. „Unfinished Music No. 1: Two Virgins“ machte Schlagzeilen, weil der Beatle und seine umstrittene Freundin frontal nackt auf dem Cover posierten.

Yoko Ono/Plastic Ono Band: „Unfinished Music No. 1: Two Virgins“; „Unifinished Music No. 2: Life with the Lions“; „Plastic Ono Band“ (alle Secretly Canadian/Cargo).

Von der Idee her ähnelt der Beginn der knapp 30 Minuten ohne Titel und interner Differenzierung der Sorte Musique-concrète-Tagebuch, wie sie Luc Ferrari seit den späten 1960ern geführt hatte: Montagen aus Gesprächen und atmosphärischen Hintergründen, jemand pfeift sich eins. Doch dann beginnen dezidiert musikalische Darbietungen, der Sound ist eh zu flach für die Atmo. Lennon versucht es erst mit einer harschen Gitarre, dann mit dem Flügel, später der Orgel. Yoko Ono spielt durch, was sie kann, klassisch japanische Gesangsstile, unmoduliertes Kreischen – dann wieder Gespräche, Scherze, Ungezwungenheit: etwas von der Stimmung aus „You Know My Name“ (der burlesken, dadaistischen Music-Hall-B-Seite von „Let It Be“).

Bei „Unfinished Music No. 2: Life With Lions“ gibt es eine Fülle von Einzelideen. In „No Bed For Beatle John“ werden Schlagzeilen über Lennon und Ono a cappella und formlos vorgesungen. Auf „Baby’s Heartbeat“ hören wir das erkrankte Herz des ungeborenen Kindes von Lennon und Ono, das seine Geburt nicht überleben wird. Dem folgen „Two Minutes Silence“ – eine radikalisierte Coverversion von John Cages „4’33““, ganz ohne die unwillkürlichen Geräusche eines Publikums und zugleich eine doppelte Schweigeminute für das Kind, das John Ono Lennon II heißen sollte.

„Radio Play“ ist eine siebenminütige Radiocollage, deren Buchstäblichkeit sich ähnlich zu Stockhausens „Kurzwellen“ verhält wie „Two Minutes“ zu Cage. Es sind beides plump-lustige Antworten an kanonische Werke der Avantgarde. Großartig ist aber vor allem das schon erwähnte, die ganze erste Seite einnehmende „Cambridge 1969“. Dies ist ein Mitschnitt von Lennon und Onos erstem öffentlichen Auftritt, seinem ersten ohne die Beatles. Zu dieser Premiere hatten sie Free-Jazz-Größen eingeladen. Zwei davon hört man gegen Ende, den dänischen Saxophonisten John Tchicai, der bei diversen Landmark-Alben von „New York Eye and Ear Control“ bis zu Coltranes „Ascension“ mitgemacht hatte, und den britischen Begründer des in den 1970ern sehr einflussreichen Spontaneous Music Ensemble, John Stevens.

Davor geben sich die frisch Verliebten schon dermaßen die Noise-Kante, dass selbst heutige, hartgesottene Freunde des Genres das noch als Durchbruch hören können. Dabei sind Lennons Versuche, Onos Ausdauer mit harten Gitarrensalven etwas entgegenzusetzen, eher süß und vergeblich. Lunge schlägt hier Strom um Längen.

Bücher leihen und Shoppingmalls meiden: Viele Menschen bekommen nur eine winzige Rente. Kann man so in Würde altern? Könnten 900 Euro Mindestrente etwas daran ändern? Ab wann fühlt man sich arm? Eine Geschichte über Verzicht, in der taz.am wochenende vom 4./5. Februar 2017. Außerdem: In Nicaragua tut sich Unglaubliches. Ein Reisebericht. Und: Ein Gespräch mit der Friedensforscherin Heela Najibullah, Tochter des früheren Präsidenten Afghanistans. Das alles und noch viel mehr – am Kiosk, eKiosk oder im praktischen Wochenendabo.

Das kurze Zeit später entstandene „Wedding Album“ firmiert zuweilen als „Unfinished Music No. 3“, ist im aktuellen Wiederveröffentlichungsplan aber für später vorgesehen. Stattdessen erschien jetzt „Yoko Ono/Plastic Ono Band“, die von Cover und Titel her als Parallelveröffentlichung zu Lennons erster Song-Solo-LP gedacht war. Auch wenn diese LP damals genauso skandalisiert und verlacht wurde wie die „Unfinished Music“-Platten, kann man hier doch beobachten, wie Yoko Onos konzeptuelle Auffassung sich langsam an den Songgedanken gewöhnt.

Eine feste Band begleitet sie nun – sie hatte schon Liveauftritte mit der Plastic Ono Band hinter sich – und die einzelnen Tracks sind eher von ihren (privaten) Gegenständen bestimmt als von einer konzeptualistischen Basis: etwa von der Verarbeitung der Fehlgeburt in „Greenfield Morning I Pushed an Empty Baby Carriage All Over the City“. Ein Stück fällt aus dem Rahmen: „AOS“ wurde schon 1968 mit einer Version von Ornette Colemans Band aufgenommen, mit Charlie Haden und David Izenzon am Bass und Ed Blackwell am Schlagzeug.

Politik der Liebe

Der Free-Jazz-Konnex funktioniert hier noch ganz anders als ein Jahr später in „Cambridge 1969“: Es geht nicht um extreme Exerzitien und das diesbezügliche Know-how des Freien Jazz, sondern um eher lockere Formen der Unbestimmtheit, nun allerdings vor dem Hintergrund einer musikalischen Tradition, die dafür bestimmte Prozeduren entwickelt hat, sodass der konzeptuelle Rahmen in den Hintergrund tritt.

„Yoko Ono/Plastic Ono Band“ ist nicht nur das einzige Album der Menschheitsgeschichte, das Ornette Coleman und Ringo Starr auf einem Tonträger zusammenführt, gemeinsam mit der „Unfinished Music“-Serie stellt es einen weiteren Beleg für die Nähe zwischen Popmusik und Konzeptueller Kunst (im weiteren Sinne) dar, den man bislang immer nur an der Entstehungsgeschichte von Velvet Underground studieren wollte, zwischen Maxima des Expressiven und dessen totaler Durchstreichung durch Versuchsanordnungen und Anweisungen. Man kann der künstlerischen Politik der Liebe hier ein Kompliment machen, dass sie Ansätze und Denkmöglichkeiten öffentlich und beobachtbar miteinander verknotet hat, die die gesellschaftlichen Institutionen wie die High/Low-Unterscheidung gern noch eine Weile getrennt gehalten hätten.

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