Revolution in Tunesien: Offenheit steckt an

Vor dem Sturz Ben Alis druckte die Presse schon mal fünf Texte über den Diktator auf einer Seite. Das ist vorbei. Die Menschen kaufen Zeitungen, als gäbe es kein morgen.

Endlich steht was drin, in den tunesischen Zeitungen. Bild: reuters

Der alte, bucklige Zeitungsverkäufer auf der Avenue Habib Bourguiba weiß nicht, wie ihm geschieht. Seit dem Sturz von Tunesiens Diktator Zine El Abidine Ben Ali am 14. Januar verkauft er Zeitungen wie noch nie in seinem Leben. Die Menschen, die in einem der unzähligen Bistros vor der Arbeit ihren Kaffee trinken, wollen nicht eine Zeitung sondern gleich drei oder vier.

Die Presse veröffentlicht Berichte über die Korruption des gestürzten Regimes, interviewt Mitglieder der Übergangsregierung, der Kommissionen, die freie Wahlen vorbereiten oder die Repression gegen die Jugendproteste untersuchen sowie mit Oppositionspolitikern und Vertretern der Zivilgesellschaft. Tunesiens Medienlandschaft hat sich grundlegend geändert.

Bis zum Sturz des Diktators veröffentlichten Zeitungen, Rundfunk und Fernsehen nur, was vom Kommunikationsministerium angeordnet wurde. Die Zeitungen brachten es fertig auf einer einzigen Seite gleich vier oder fünf Artikel über Ben Ali und dessen große Errungenschaften unterzubringen. Selbst das Neue Deutschland zu Zeiten von Erich Honecker war kritisch dagegen. Als eine der ersten Maßnahmen schloss die Übergangsregierung dieses Ministerium. Es wurde durch einen einfachen Satz ersetzt: "Die Presse ist frei!"

Selbst die staatliche Presseagentur hat seither einen Schwenk um 180 Grad vollzogen. "Jetzt reicht's aber mit Politik. Ich will einen guten Film oder ein Fußballspiel sehen", erklärte das typische Strichmännchen des Karikaturisten Lotfi Ben Sassi auf dem Titelblatt der französischsprachigen Zeitung La Presse. Seit dem Umsturz sind im staatlichen Fernsehen Podiumsdiskussionen an der Tagesordnung. Zuschauer rufen an und beteiligen sich an den Debatten. Im Rundfunk ist es nicht anders.

Auch der Privatsender Hannibal, der dem engen Vertrauten Ben Alis, Larbi Nasra, gehört, hat sich von der neuen Offenheit teilweise anstecken lassen, nach dem der Boss wegen "Hochverrat" verhaftet wurde. Ähnlich sieht es beim zweiten Privaten, Nessma, aus. Dieser gehört einer Holding aus engen Ben Ali Vertrauten und Mediaset, die Gesellschaft des italienischen Premiers Silvio Berlusconi. Für viele Tunesier ist es etwas völlig Neues, das Nationale Tunesische Fernsehen, das bis zur Revolution, im Gedenken an die Machtergreifung Ben Alis am 7. November 1987, TV7 hieß, einzuschalten. Jahrelang informierten sie sich fast ausschließlich per Satellit bei France24 und al-Dschasira.

"Rote Linien gibt es immer noch", heißt es in einer jüngsten Studie von Reporter ohne Grenzen. So wird über die Proteste gegen die Übergangsregierung und für eine verfassungsgebende Versammlung nur spärlich berichtet. Die "Front 14. Januar", der unterschiedliche kommunistische und panarabische Kräfte angehören, bekommt keinen Sendeplatz. Die Journalisten der staatlichen Anstalt demonstrieren deshalb immer wieder für eine völlige Öffnung von Rundfunk und Fernsehen, sowie die Säuberung der Strukturen von alten Kadern.

Mittlerweile haben zahlreiche Initiativen einen Antrag für eine Sendefrequenz, hauptsächlich für Radio, gestellt. Unter ihnen ist Radio Kalima der bekannten Oppositionellen Sihem Bensedrine und deren Mann Omar Mestiri. Radio Kalima, das über ein breites Korrespondentennetz in ganz Tunesien verfügt, sendete bis vor einem halben Jahr per Satellit. Dann wurde dies auf Druck Ben Alis unterbunden. Es ging über Internet weiter auch wenn die Journalisten immer wieder verhaftet wurden.

"Es war nicht leicht, die Menschen zum Reden vor dem Mikro zu bringen", erklärt Chefredakteur Omar Mestiri. Dennoch verbreitete Radio Kalima über ein Dutzend Nachrichten, lange bevor sie andere Medien hatten. Dazu gehören die blutigen Polizeieinsätze im Landesinneren kurz vor Ben Alis Sturz. Eine Fabriketage für die Studios von Radio Kalima ist bereits angemietet. Radio France greift bei der Ausrüstung unter die Arme.

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