Ringen um EU-Austritt Großbritanniens: Mays Brexit-Endspiel

Hopp oder topp: Fliegt Großbritannien in wenigen Tagen aus der EU raus oder ködert May den EU-Gipfel mit einem Corbyn-Deal?

Britische und EU-Flagge

Noch eins: EU und Großbritannien Foto: ap

BERLIN/ BRÜSSEL taz | Die E-Mail der Parteizentrale der regierenden Konservativen Großbritanniens an ihre Mitglieder am Montagnachmittag hatte es in sich. „Aufgrund der aktuellen Lage werden wir an der Europawahl am 23. Mai 2019 teilnehmen“, stand da klipp und klar. Die Kandidatenfrist ende am 24. April, und um Zeit für die Auswahl zu haben, sollten sich potenzielle Kandidaten bis Dienstag, 9. April, 17 Uhr zurückmelden, mit Lebenslauf und Wunschwahlkreis.

Offiziell verlässt Großbritannien die EU nach derzeitigem Stand am 12. April. Der ursprüngliche Austrittstermin 29. März war im März um zwei Wochen vertagt worden, um Premierministerin Theresa May Zeit zu geben, doch noch eine parlamentarische Mehrheit für ihren Brexit-Deal mit der EU zu finden. Nachdem das nicht gelungen ist, berät ein EU-Sondergipfel am Abend des heutigen Mittwoch, 10. April, über eine erneute Verschiebung bis allerspätestens 30. Juni. Der entsprechende britische Antrag, den Theresa May persönlich in Brüssel vorstellen soll, beinhaltet die Bereitschaft Großbritanniens, an den EU-Wahlen im Mai teilzunehmen, sollte bis dahin kein Austrittsabkommen vom britischen Parlament ratifiziert und der Brexit damit vollzogen sein.

Schon vorher ist die Teilnahme an diesen Wahlen aber parteiintern offenbar gesetzt. Und die Regierung hat auch schon offiziell den Wahltermin 23. Mai angesetzt. Die EU-Wahlen in Großbritannien finden also statt – es sei denn, das britische Parlament einigt sich vorher auf einen Brexit oder die EU lehnt eine Brexit-Verschiebung über den 12. April hinaus ab.

Damit rechnet aber kaum jemand, denn bei einer Ablehnung wäre es die EU, die den No-Deal-Brexit einleitet, vor dem sie ansonsten als Katastrophe warnt. Um das abzuwenden, unternahm die EU am Dienstag mehrere, ziemlich ungeordnete Anläufe.

Macron gibt sich hart

Morgens tagten die Europaminister in Luxemburg, abends trafen die EU-Botschafter in Brüssel zusammen – und zwischendurch trafen sich Kanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron mit Theresa May, erst in Berlin, dann in Paris. Ein klares Ergebnis zeichnete sich nicht ab. Ein ursprünglich geplantes Pressestatement mit der Bundeskanzlerin in Berlin wurde abgesagt.

Am härtesten gab sich bis zuletzt Macron. Er sieht eine weitere Verschiebung des britischen Austritts mit großer Skepsis: Die EU könne nicht dauerhaft „Geisel“ der britischen Krise sein, ein weiteres Jahr Denkpause sei ein „ungeschickter Versuchsballon“. Macron spielte damit auf EU-Ratspräsident Donald Tusk an, der eine „flexible Verlängerung“ um bis zu 12 Monate ins Gespräch gebracht hatte.

Das Problem mit einer langen Verschiebung: Sie basiert auf der Annahme, dass in der britischen Innenpolitik nichts passiert, was einer möglichen Einigung zuwiderläuft

Der irische Regierungschef Leo Varadkar hingegen sagte: „Wir werden keinem Land vergeben, das beim EU-Gipfel sein Veto gegen einen Aufschub beim Brexit einlegt.“ Das war wohl auf Macron gemünzt.

Die Lage sei „schwerwiegend und komplex“, sagte EU-Chefunterhändler Michel Barnier in Luxemburg. Die EU sei zwar grundsätzlich zu einer er­neuten Verschiebung bereit. Diese müsse aber einem „Zweck“ dienen und zu einer Annahme des umstrittenen Austrittsabkommens mit der EU führen.

Eine mögliche Marschroute: Der Brexit wird verschoben, kann aber jederzeit vollzogen werden, sobald das Londoner Unterhaus endlich den Deal ratifiziert. Ohne Abkommen kein Austritt – das soll den gefürchteten No Deal bannen.

Das Problem mit einer langen Verschiebung: Sie basiert auf der Annahme, dass in der britischen Innenpolitik nichts passiert, was einer möglichen Einigung zuwiderläuft. Im aktuellen Londoner Politchaos ist das komplett unrealistisch.

Tories droht Pleite

Den Tories droht im Falle einer britischen Beteiligung an den Europawahlen eine mindestens so herbe Niederlage wie 2014, als sie hinter dem EU-feindlichen Wahlsieger Ukip und Labour auf dem dritten Platz mit 23 Prozent landeten. Die Konservativen dürften auch schon bei den Kommunalwahlen am 2. Mai ein Debakel erleben. Die finden dieses Jahr schwerpunktmäßig in ländlichen englischen Tory-Hochburgen statt, wo die Parteibasis bitter enttäuscht über den Nichtvollzug des Brexits ist.

Theresa May hat ohnehin ihren baldigen Rücktritt in Aussicht gestellt. Sollte ein Nachfolger satzungsgemäß in einer Urwahl unter den Konservativen bestimmt werden, dürfte ein Brexit-Enthusiast auf May folgen. Ein neuer Premierminister in Großbritannien bedeutet einen neuen Brexit. Auch die neue EU-Kommission, die es spätestens bis Herbst geben wird, könnte auf neue Ideen kommen.

Deswegen haben jetzt beide Seiten Interesse an einer zügigen Lösung. Theresa May arbeitet fieberhaft an einer Brexit-­Einigung mit der Labour-Opposition, solange sie noch im Amt ist. Die vergangene Woche begonnenen Gespräche sind für beide Seiten eine Chance. Die Regierung wittert eine Einbindung der Opposition. Die Opposition wittert die Möglichkeit, einen „Tory-Brexit“ zu durchkreuzen. Bisher, so scheint es, glauben beide Seiten an einen Erfolg – so könnte die „politische Erklärung“ des Austritts­abkommens um Labour-kompatible Bekenntnisse zu einer Zollunion erweitert werden.

Es ist die Aussicht auf eine große Brexit-Koalition, die Theresa May jetzt der EU als Begründung für ihre zweite Brexit-Verschiebung vorlegen will. Sollte sie real sein, gibt es allerdings keinen Grund, den Brexit ­länger zu verschieben, als von May ­gewünscht. Denn die Gespräche in London müssen zügig zum Abschluss kommen, bevor ein Wahlkampf dazwischenkommt und die Parteien erneut aufeinanderhetzt.

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