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RollstuhlbasketballIn neuen Rollen Richtung Medaille

Am 10. Oktober startet in Sarajevo die Rollstuhlbasketball-EM. Für die deutschen Frauen heißt das, mehr Verantwortung zu übernehmen.

Die deutschen Rollstuhlbasketball-Frauen bei den Paralympics in Paris 2024 im Viertelfinale gegen Spanien Foto: IMAGO / Beautiful Sports

Frankreich, Großbritannien, Niederlande, Spanien: In dieser Reihenfolge spielen die deutschen Rollstuhlbasketballerinnen ab dem 10. Oktober in Sarajevo die Gruppenphase der Europameisterschaft. Bundestrainer Josef Jaglowski will dabei endlich wieder nach einer Medaille greifen. „Wir sind bereit, aber uns fehlt die Spiel­erfahrung“, sagt er.

Seit den Paralympics in Paris hat die Mannschaft nur sechs Spiele absolviert, je drei gegen Großbritannien und Holland. Diese beiden sind bei der EM auch die Favoritinnen. Neben der fehlenden Spiel­erfahrung musste Jaglowski in der Vorbereitung eine weitere Herausforderung meistern: In den Vereinen der deutschen Bundesliga haben die Frauen meist eine ganz andere Rolle als nun in der Nationalmannschaft.

Rollstuhlbasketball wird hierzulande im Mixed gespielt. Das verstärkt den inklusiven Charakter der Sportart, bei der behinderte und nichtbehinderte Menschen zusammenspielen. Doch das geschlechtergemischte System birgt auch Herausforderungen. „Einige Spielerinnen stellen in ihren Heimatvereinen hauptsächlich den Block, in der Nationalmannschaft müssen sie dann viel häufiger werfen“, erklärt der Bundestrainer die unterschiedlichen Rollen.

Zu Beginn der gemeinsamen Vorbereitung arbeitete Jaglowski sogar mithilfe einer Sportpsychologin daran, dass sich die Spielerinnen trauen, mehr Würfe zu nehmen. Mit Erfolg. Im Testspiel gegen EM-Gegner Großbritannien warf die deutsche Mannschaft rund 60-mal auf den Korb – wenn auch noch nicht mit zufriedenstellender Trefferquote.

Punktebonus für die Frauen

Ein Grund, warum Frauen in den Vereinen ganz anders eingesetzt werden, ist die Klassifizierung. Im Rollstuhlbasketball erhalten alle Spieler je nach Grad der Beeinträchtigung eine Punktezahl zwischen 1,0 und 4,5, wobei 1,0 der stärksten Beeinträchtigung zugeteilt wird. Maximal 14 Punkte bei Nationalteams und 14,5 Punkte bei Vereinen dürfen während eines Spiels auf dem Feld eingesetzt werden.

Im deutschen Ligabetrieb erhalten die Frauen einen Punktabzug von 1,5 Punkten, das heißt, sie werden niedriger klassifiziert. Das soll einen Anreiz schaffen, sie im Spiel öfter einzusetzen. Doch der Punktebonus bringt nicht nur Chancen, das weiß auch Nationalspielerin Lena Knippelmeyer. Als 4,5-Punkte-Spielerin wird sie in der Liga mit 3 Punkten klassifiziert. „So habe ich immer ein bis zwei Mitspieler um mich herum, die höhere Punkte haben und mir die Verantwortung abnehmen“, sagt sie.

Anders ist das in Großbritannien, wo es neben einer gemischten Liga auch drei Ligen nur für Frauen gibt. In der vergangenen Saison hat Knippelmeyer dort in der Women’s Premier League gespielt, der höchsten Frauenliga. „Hier spielen Frauen untereinander auf einem sehr hohen Niveau und es hat mir unglaublich viel gebracht, dort in meiner Punkteklasse verantwortlich zu sein“, erklärt sie. In England konnte Knippelmeyer viel Selbstbewusstsein tanken, das sie jetzt mit in die Europameisterschaft nehmen kann.

Bundestrainer Jaglowski glaubt nicht, dass der britische Weg auch in Deutschland funktionieren würde. „Die Bundesliga dort liegt vom Niveau weit unter unserer. Top-Vereine hier wie die Thuringia Bulls würden gute weibliche Spielerinnen wie etwa Marie Kier nicht für eine Frauenliga abgeben“, sagt er. Jaglowski hofft aber, dass die Vereinstrainer nach der Europameisterschaft die Qualitäten der Spielerinnen auch im Ligabetrieb mehr nutzen.

Große Entfernungen, wenig Förderung

Die einzige Möglichkeit, die Frauen zusätzlich zu fördern, sieht er in der jährlichen Deutschen Meisterschaft der Damen, bei der die Bundesländer je ein Team stellen können. Hier sieht Lena Knippelmeyer aber noch Nachholbedarf, denn 2025 stellten gerade mal sieben Länder ein Team. „Das muss auf Länderebene mehr gefördert werden“, stellt sie fest.

Auch insgesamt fehlt es ihr in Deutschland an der Förderung für Rollstuhlbasketball, insbesondere für Frauen. „In Holland haben sie unter der Woche ein Stützpunkttraining, bei dem sich alle aus der Nationalmannschaft treffen“, weiß sie, aber auch: Allein von den Entfernungen her wäre das in Deutschland schwierig.

Jaglowski, der genau wie seine Co-Trainerin Gesche Schünemann in Nürnberg lebt, will dort nun regelmäßig Nationaltrainings anbieten, doch ein System wie in Holland wird es hierzulande wohl nie geben. Daher will sich der Bundestrainer auch gar nicht mit den amtierenden, neunfachen Europameisterinnen auf eine Stufe stellen. Er peilt bei der EM einen Platz im Halbfinale an und will dann in den Kampf um die Medaillen eingreifen.

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