Roma in Berlin I: Fünf in einem Zimmer

Viele Roma leben in Neukölln unter kaum zumutbaren Bedingungen. Ausnahme: das Wohnprojekt in der Harzer Straße.

Ein Junge im Hof des Wohnprojekts in der Harzer Straße. Bild: dapd

Das Haus in der Erkstraße wirkt nicht gerade einladend. An der Eingangstür fehlt die Klinke. Im Innenhof kicken ein paar Kinder einen Ball zwischen Mülltonnen hin und her. Seine besten Jahre hat dieses Gebäude schon lange hinter sich. In einem der oberen Stockwerke wohnt Blanca C. mit ihrem Mann und den drei Kindern. Ursprünglich kommen sie aus Brasov, einer Kleinstadt in Rumänien. Vor zwei Jahren zogen sie von Bremen nach Berlin, ohne Möbel, ohne Aussicht auf eine Wohnung oder einen Job. Damals war Frau C. im siebten Monat schwanger. Dank der Hilfe von Verwandten wohnt die Familie nun in der Erkstraße – in einer Einzimmerwohnung.

Familie C. hat im Gegensatz zu vielen anderen Roma im Bezirk einen richtigen Mietvertrag. Viele Hausverwaltungen machen in Neukölln ein Geschäft damit, Teile ihres Bestands an Roma-Familien zu vermieten. Allerdings schließen sie mit ihren „Mietern“ nur Nutzungsverträge ab und setzen die Familien nach kurzer Zeit wieder auf die Straße. Auch Wohnungen, die gar nicht bezogen werden können, weil sie gerade renoviert werden, bietet man den Roma an. Die Familien werden alternativ untergebracht – und sollen am Monatsende auf einmal zwei Mieten zahlen.

Der Neuköllner Hauseigentümer Thilo Peter ist dafür bekannt, baufällige Häuser fast ausschließlich an Roma-Familien zu vermieten. Im Frühjahr dieses Jahres gab sein Zwillingsbruder Michael, der die Häuser verwaltet, dem ZDF ein Interview – und erklärte, Roma würden sich halt nicht so viel beschweren. Und in einem Haus in der Harzer Straße hatte die Wohnungsbaugesellschaft Thieme&Thieme sogar einzelne Matratzen vermietet.

Keine Antwort

Blanca C. will sich das alles nicht länger gefallen lassen. Immer heiße es, die Roma machten so viel Müll. Frau C. hat ihrer Hausverwaltung einen Brief geschrieben, wegen des Abfalls, der im Innenhof liegt. Bisher hat sie keine Antwort erhalten. Außerdem gibt es seit zwei Wochen kein warmes Wasser mehr in der Wohnung. „Ich habe drei kleine Kinder, das geht einfach nicht“, sagt Frau C. Mit dem Gedanken, auszuziehen, hat sie schon länger gespielt. Auf eine Anzeige hin hatte Sie eine Wohnung besichtigt; allerdings ohne Erfolg.

Viele Hausverwaltungen haben Vorurteile gegen aus Bulgarien und Rumänien stammenden EU-BürgerInnen, berichtet Cordula Simon von der AG Roma, die vom Bezirk Neukölln aufgrund der Wohnungsproblematik ins Leben gerufen wurde. Die Suche auf dem freien Markt ist in den letzten Jahren durch Mietsteigerungen und Wohnungsknappheit ohnehin schwierig geworden – für Roma Familien gleich doppelt.

So gebe es auch in Neukölln Familien, die in Autos oder Gartenlauben wohnten, sagt Anna Schmitt von Amaro Foro, einem Verein für Sinti und Roma. Ein regelrechter Sammelpunkt wie der Görlitzer Park im benachbarten Kreuzberg sei ihr nicht bekannt, sagt Cordula Simon.

Dagegen, dass viele Roma mangels eines Mietvertrags auf der Straße landen, kann der Bezirk wenig unternehmen. Denn die Probleme der Familien bewegen sich im privatrechtlichen Raum. Wie sich eine scheinbar verfahrene Situation doch noch zum Guten wenden kann, zeigt das schon über Berlin hinaus bekannt gewordene Mietshaus am Ende der Harzer Straße. Der Hausverwalter Benjamin Marx kaufte das heruntergekommene Gebäude von der Verwaltung Thieme&Thieme, kurz bevor der Bezirk wegen gefährlicher Baumängel eingreifen musste. Die katholische Aachener Siedlungs- und Wohnungsbaugesellschaft, für die Marx arbeitet, nahm schließlich die Sanierung vor. Mittlerweile leben die Roma-Familien in geregelten Mietverhältnissen. In dem Gebäudekomplex gibt es zudem Beratung und Sprachkurse.

Ein Einzelfall, immer noch. Derzeit bewohnen Roma laut Bezirksamt noch 26 weitere Häuser in Neukölln, wo ähnlich schlechte Bedingungen herrschen wie einst in der Harzer Straße. Und der Medienrummel um das von Marx auf Vordermann gebrachte Haus weckt bei vielen falsche Vorstellungen. Seit auch in den rumänischen Nachrichten darüber berichtet wurde, fragen zunehmend Familien bei der Anlaufstelle von Amoro Foro nach Wohnungen in der Harzer Straße. Die meisten glauben, sie müssten dort keine Miete zahlen.

Anna Schmidt von Amoro Foro verweist auf ein Problem, mit dem die Roma aus Rumänien und Bulgarien zu kämpfen haben, auch wenn sie EU-BürgerInnen sind. Eine Arbeitserlaubnis bekommen sie nicht ohne Weiteres. Sie müssen bereits drei Jahre in Deutschland gemeldet sein oder ein Gewerbe anmelden. Erst ab Januar 2014 fallen diese Voraussetzungen weg.

Viele wollen bleiben

Dennoch: Viele der Roma, die nach Neukölln gezogen sind, wollen hier bleiben. Auch für Blanca C. steht fest, dass sie mit ihrer Familie in Berlin leben will. Während sie das sagt, schaut sie mit einem Seitenblick auf ihre Kinder. Die drei toben durch den engen Raum, der mit zwei Betten ausgefüllt ist. In einem der beiden schlafen die Kinder. Auf dem Ehebett, das daneben steht, sitzt Frau C. Ihre Füße hat sie übereinandergeschlagen. „Wir sind nicht immer so, wie ihr denkt“, sagt sie mit Nachdruck.

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