Roma in Berlin II: Im Auto zu Hause

Vier rumänische Familien leben derzeit in ihren Autos in der Görlitzer Straße – das rüttelt am Selbstverständnis einiger Anwohner im Kiez.

Junge Neu-Berliner aus Rumänien, hier im Bezirk Neukölln. Bild: dapd

Das Wohnzimmer der Familie B. ist mit einem guten Ausblick auf den Görlitzer Park ausgestattet – außerdem auch mit Lenkrad, Airbag und Heckklappe. Denn die fünfköpfige Familie aus Rumänien lebt seit mehreren Wochen in einem dunkelgrünen Kombi, der in einer der Parkbuchten in der Görlitzer Straße steht. Die Rücksitze sind umgeklappt und zu einem Bettenlager umfunktioniert, das sich die Eltern mit ihren drei jungen Söhnen teilen. Zwei der Jungen, 9 und 11 Jahre alt, liegen an diesem Morgen noch im Inneren des Autos und verstecken sich unter Daunendecken vor Kreuzberg und dem Rest der Welt. Ihre Eltern sitzen am offenen Heck und blicken aus geröteten Augen übernächtigt über den Bürgersteig, auf dem leere Kaffeetassen stehen.

„In Berlin im Auto zu wohnen ist immer noch besser als ohne Perspektive in Rumänien“, sagt Vater B., ein 33 Jahre alter Mann in dunklem Trainingsanzug, und knetet unruhig seine Finger. In Rumänien waren er und seine 31-jährige Frau Feldarbeiter ohne Aussicht auf Arbeit. In Berlin verdienen sie etwas Geld durch Betteln und Flaschensammeln.

Klappstühle und Kocher

Familie A. ist mit diesem Lebensmodell nicht allein in der Görlitzer Straße: Derzeit hausen dort noch drei weitere Roma-Familien in ihren Autos. In den Sommermonaten waren es rund 30 Menschen, die zum Unmut zahlreicher Anwohner und Ladenbesitzer samt Klappstühlen und Gaskochern auf dem Bürgersteig campierten. Beim Ordnungsamt sammelten sich Beschwerden über Camper, die ihre Notdurft im Gebüsch oder in Hauseingängen verrichten, ihren Abfall auf die Straße werfen und bis tief in die Nacht lärmen.

Auch Yagmur hat sich beschwert. Die 22-jährige Studentin hilft ihren Eltern im Backshop in der Görlitzer Straße – einem kleinen Laden, der außer Gebäck noch Getränke und Süßigkeiten verkauft. „Einige Roma-Frauen laufen wie selbstverständlich in unser Hinterzimmer, um ihre Wasserflaschen aufzufüllen oder sich Milch zu borgen – als ob der Laden ihnen gehört“, sagt Yagmur. „Wenn es uns zu viel wird und wir den Zutritt verwehren, werden sie laut.“ Dass man keine gemeinsame Sprache habe, sei wohl das Problem, vermutet Yagmur. Und ja, sie habe mittlerweile Vorurteile gegenüber den Roma-Familien. „Das ist echt nicht gut von mir“, sagt sie zerknirscht.

Tatsächlich ist der Umgang mit den obdachlosen Nachbarn aus Rumänien etwas, das am Selbstverständnis der Leute im Kiez rüttelt. Einem Selbstverständnis, das immer auch vom offenen Umgang mit Menschen handelt, die aus dem Raster fallen, weil sie nicht leben können wie die bundesdeutsche Mehrheit. Anwohner Stephan, der sich im Backshop einen Orangensaft gönnt, spricht von einem Zwiespalt, in den er gerät, wenn er das Ordnungsamt anruft: „Dass Roma herkommen, weil sie vor der Armut flüchten oder vor wachsendem Rassismus in ihrer Heimat, das verstehe ich ja alles“, versichert der junge Anwalt. „Aber man will einfach nicht, dass einem in den Hausflur gepisst wird.“

Familie B. wird nicht müde zu betonen, dass sie selbst mit den Nachbarn keine Probleme habe. Dass ein Cafébesitzer sie seine Toiletten nutzen lasse. Vater B. fegt mit einem selbst gebastelten Besen aus Zweigen den Bürgersteig vor dem Auto. „Wir wollen keinen Ärger“, wiederholt er, „und suchen eine Wohnung.“ In Spanien habe es schließlich auch geklappt. Dort hatte die Familie zuvor gelebt, Vater B. arbeitete zwei Jahre lang auf dem Bau, war krankenversichert und schickte seine Kinder auf eine spanische Schule. Mit der Wirtschaftskrise kam die Kündigung – und die Idee, nach Berlin zu kommen. Schließlich hatten bereits mehrere Nachbarn aus dem Heimatort der B.s, der südrumänischen Kleinstadt Rosiorii de Vede, den Weg nach Kreuzberg gewagt. In der Görlitzer Straße traf man sich wieder.

Seit nunmehr drei Jahren erlebt Kreuzberg vor allem in den Sommermonaten solche Wanderbewegungen. Die Spannungen im Kiez sind also vorhersehbar. „Im Juli sind wir auf die Familien zugegangen und haben ihnen Unterkünfte angeboten“, sagt der Bezirksbürgermeister Franz Schulz (Grüne), der selbst in unmittelbarer Nähe des Görlitzer Parks wohnt. „Diese Angebote wurden abgelehnt. Zum Teil wohl aus Misstrauen, zum Teil verwiesen die Menschen auf ihre Autos.“ Die Stadtreinigung werde nun wesentlich öfter durch die Görlitzer Straße geschickt, sagt Schulz. „Mehr kann man da nicht machen.“ Er spricht von verschiedenen Roma-Gruppen, die mit unterschiedlichen Erwartungen nach Berlin kommen. Und geht davon aus, die Gruppe am Görlitzer Park gehöre wie auch in den Jahren zuvor zu denen, die wieder fortfahren, sobald es kälter wird. Zu den „Mobilen, die mit ihren Autos über den Kontinent ziehen“.

Doch Familie B. will nicht weg, die drei Söhne sind bereits in einer Kreuzberger Schule angemeldet. Auch die anderen noch übrig gebliebenen Roma aus der Görlitzer Straße wollten bleiben. Letzteres sagt der Verein Amoro Foro, der mit ihnen in Kontakt steht und bei der Wohnungssuche hilft. Denn an diesen Familien ist das Wohnungsangebot des Bezirksbürgermeisters anscheinend vorbeigegangen. Etwa, weil sie wie die B.s erst später in Berlin ankamen – und damit wieder durch ein Raster fielen.

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