Roman über Facetten der Weiblichkeit: Proletarische Prinzessinnen

Heike Geißler verhandelt Themen wie Mieterhöhungen und Mutterschaft literarisch. Ihr Roman „Die Woche“ ist für den Leipziger Buchpreis nominiert.

Portrait von Heike Geißler.

Tatsächlich ein Manifest: Heike Geißlers Roman „Die Woche“ hat starken literarischen Formwillen Foto: Heike Steiweg/Suhrkamp Verlag

Der Tod klopft an die Tür, Nachbarn fallen von den Dächern und proletarische Prinzessinnen proben den Aufstand: Heike Geißlers Roman „Die Woche“ erzählt von einer wunderlichen Woche, einer Woche voller Montage. Sie beginnt mit einem Sonntag, und nähert sich doch unausweichlich und immer wieder dem Montag, der sich, nicht nur in Kapitelform, zwischen alle anderen Wochentage schiebt.

Was ist dieser Montag? Ein Symbol für die Zeit- und Arbeitsregimes, denen Arbeitnehmer, Mütter, arbeitende Mütter unterworfen sind – in dem Vorängerroman „Saisonarbeit“, einem Überraschungserfolg, hatte Heike Geißler bereits ihre Aushilfstätigkeit bei Amazon dokumentiert. Montag ist traditioneller Demonstrationstag, jedenfalls im Osten, wo Pegida-Demos und Querdenkermärsche stattfinden, aber auch Hartz-IV-Demos.

Ein Tag also, an dem einzeln und kollektiv immer wieder echte und vermeintliche Zumutungen des Systems verhandelt werden, sich sogar Demos gegen Demos formieren. Auch die Ich-Erzählerin protestiert gegen Rechtsradikalismus, Kapitalismus, das System. Die Woche, jede Woche, führt die Ich-Erzählerin bis an den Rand der Erschöpfung; Erschöpfung hat System.

Zu den verhandelten Themen gehören steigende Mieten, Mutterschaft, die Rolle der Autorin als Mutter, das Unbehagen an den Zuständen und etwas, das man als weiblichen Protest bezeichnen könnte. Das Alter der Erzählerin, das Um-die-vierzig-Sein, wird immer wieder thematisiert, weil es für eine soziale Ungerechtigkeit steht: Mit 40 wird eine Frau unsichtbar, kulturell und sexuell, und Kinder kann sie meist auch keine mehr bekommen – was taugt sie dann noch als Frau?

Ein hypothetisches Kind schreibt sich ein

Die Kinder als verheißungsvolle Option und als Bedrohung der Subjektposition der Mutter geistern durch Geißlers Text. Neben den geborenen Kindern gibt es noch ein hypothetisches Kind, das sich in den Text einschreibt (Buch und Bauch sind einander nicht unähnlich).

Heike Geißler: „Die Woche“. Suhrkamp, Berlin 2022, 316 Seiten, 24 Euro

„Aus meinem Bauch kommt kein Baby mehr heraus, sage ich, zwei Kinder sind leider genug. Meine Nerven reichen nicht für mehr. Meine Nerven wurden nicht von meinen Kindern, aber von den Nachrichten, den Reaktionen auf die Nachrichten und den Reaktionen auf die Reaktionen verbraucht.“ Der Textfluss ist halb Stream of Consciousness, halb Dialog mit der Freundin Constanze, die eine Doppel- und Wiedergängerin der Erzählerin ist. Der Modus der Wiederholung erscheint so auch auf der Figurenebene.

Constanze wiederum spiegelt die Ideen der Erzählerin, die sich und ihre Freundin als „proletarische Prinzessinnen“ charakterisiert. Der Text reflektiert also formal, was er inhaltlich behandelt, und dieses Zusammenwirken von Inhalt und Form ist entscheidend.

Heftige Jurydebatte

Bei der Lesung im Rahmen des letztjährigen Bachmann-Wettbewerbs entfachte der Auszug aus dem Roman eine heftige Jurydebatte, die um den Vorwurf kreiste, hier würden in Form der im Text angerissenen Mietenproblematik first world problems verhandelt, und noch dazu sei all das nur so heruntergeschrieben. Letzteres war besonders böse, gleichzeitig in der Verkennung des Modus beim Bewusstseins- und Schreibstrom unbeabsichtigt komisch und uninformiert.

Abgesehen davon, dass die Frage von bezahlbarem Wohnraum für viele Menschen eine existenzielle ist, erscheint sie als wenig relevant für die Beurteilung der Güte von literarischen Texten: Denn dabei geht es offenkundig um das Wie, und nicht nur um die Frage, was erzählt wird. Auch der Umstand, dass das Mietenthema bereits von Anke Stelling behandelt wurde, heißt nicht, dass keine Au­to­r:in es je wieder behandeln dürfte.

In gewisser Weise offenbart die Jurydiskussion just jenes Problem, das „Die Woche“ adressiert: dass sich die Verhältnisse trotz der wiederholt vorgetragenen Kritik fortschreiben. Dafür wurde der Roman immerhin für den Leipziger Buchpreis nominiert, dessen Preis­trä­ge­r*in dieser Woche verkündet wird.

Doch stimmt es womöglich, dass „Die Woche“ als Textauszug nicht funktionieren konnte. Eben weil der Text so stark auf dem Modus der Wiederholung gründet. In geschlossener Form mutet der Roman – so legt es auch das Cover nahe – wie ein Kassenbon an, der Position an Position reiht und so mit den Verhältnissen abrechnet. Dieses Schreiben über die ewige Wiederkehr des Gleichen ist tatsächlich ein Manifest. Eines mit starkem literarischem Formwillen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.