Roman über Liebeswahn: Mach dich nicht lächerlich

Was passiert, wenn sich kluge Menschen unglücklich verlieben? Die Autorin Lena Andersson beschreibt es in „Widerrechtliche Inbesitznahme“.

Ein Blumenstrauß in einer Hand. Es sind Margeriten, die die Köpfe hängen lassen.

Er liebt mich, er liebt mich NICHT. Foto: photocase/Francesca Schellhaas

Unglücklich verliebt zu sein ist natürlich niemals lustig. Es ist eine Qual, und kluge Menschen lassen deshalb auch schön die Finger davon. Jedenfalls theoretisch. Dass es in der Praxis nicht so einfach ist, davon weiß fast jede(r) ein Lied zu singen, ein sehr trauriges natürlich.

Ganz im Gegenteil dazu ist in der Literatur der Liebeswahn zwar ein wohl fast ebenso altes Thema wie die Liebe selbst, wird aber nur selten – oder nie – so tragisch dargestellt wie von den Betroffenen empfunden. Schon Shakespeare bezog aus diesem Topos einen beträchtlichen Teil seiner Komik. Damals wie heute hat das Lachen über die bedauernswerten Bühnenmenschen, die sich in vergeblicher Liebeshoffnung gelbe Strumpfbänder über die Beine streifen oder sich gar in einen Esel vergucken, eine wohl zutiefst kathartische Wirkung.

Was geschieht, wenn ein kluger Mensch, sogar ein ausnehmend kluger Mensch, einem irrationalen Liebeswahn verfällt, und über welch komplexe Methoden das Hirn verfügen kann, sich selbst etwas vorzumachen, zeigt die schwedische Autorin Lena Andersson in ihrem preisgekrönten Roman „Widerrechtliche Inbesitznahme“. 2013 gab es dafür den wichtigsten schwedischen Literaturpreis, den Augustpreis.

In ihrer Dankesrede würdigte die Autorin insbesondere jene Diebe, die ihr während einer Zugfahrt den Laptop mit einem angefangenen Romanmanuskript gestohlen hatten. Vom Schicksal derart herausgefordert – denn das Material war unwiederbringlich verloren –, entschloss sie sich kurzerhand, das begonnene Projekt zu vergessen und einen anderen Roman anzufangen, von dem sie gewusst habe, dass sie ihn irgendwann würde schreiben müssen: diesen hier.

Vernichtende Genauigkeit

„Ester Nilsson hieß ein Mensch“, lautet der erste Satz des Romans, der in vollendeter Lakonie zu erkennen gibt, dass diese Ester Nilsson überhaupt nichts Besonderes ist, sondern ganz genauso funktioniert wie alle anderen Menschen auch. Ester Nilsson selbst aber weiß das noch nicht. Als Essayistin und Dichterin, die mit ihren 31 Jahren erfolgreich von ihrem intellektuellen Gewerbe leben kann, hält sie sich nämlich durchaus für etwas sehr Spezielles: „Mit vernichtender Genauigkeit nahm sie die Wirklichkeit ausgehend von ihrem Bewusstsein wahr und lebte nach der Prämisse, dass die Welt so war, wie sie selbige erlebte.“ Das ist natürlich bereits ein gefährlicher Basiswahn.

Flüchtlinge kommen nach Deutschland und sind nicht bei allen willkommen. Doch viele BürgerInnen wollen helfen und wissen nicht, wie. In der taz. am Wochenende vom 15./16. August 2015 haben wir eine vierseitige Handreichung erarbeitet. Weiterhin: Fußball ist in Zeiten von Pep Guardiola und Joachim Löw eine Angelegenheit der Berechnung geworden. Wir führen ein Gespräch mit dem Philosophen Wolfram Eilenberger über die Schönheit des Unerklärlichen. Zudem: Auch in Israel ist es derzeit vor allem heiß. Der Fotograf Daniel Tchetchik hat den Sommer-Alltag festgehalten. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Ester lebt seit Jahren in einer gut funktionierenden, aber nicht sehr inspirierenden Beziehung. Als sie den Auftrag erhält, einen Essay über den bildenden Künstler Hugo Rask zu schreiben, und sich in dessen Werk vertieft, entwickelt sie schon beim Schreiben eine hochemotionale Besessenheit von dem ihr bis dahin völlig Unbekannten. Der Künstler selbst ist hocherfreut über ihren Text, fühlt sich gut verstanden und freundet sich mit der bedeutend jüngeren Frau an.

Ester sieht die sporadischen gemeinsamen Unternehmungen als Zeichen für deutlich mehr als Freundschaft und trennt sich von ihrem Lebensgefährten. Hugo dagegen zeigt lange Zeit kein weitergehendes Interesse. Auch nachdem es endlich zu der sexuellen Begegnung gekommen ist, auf die Ester gewartet hat, verhält der Mann sich nicht wie erhofft, bleibt nicht zum Frühstück und ruft nicht an.

Bedürfnis nach Bestätigung

Andersson erspart ihrer Protagonistin nichts. Sie beschreibt, wie Ester sinnlose Runden um Häuserblocks dreht, in der Hoffnung, ganz zufällig mit dem Begehrten zusammenzutreffen. Wie sie abends seine Fenster beobachtet, um zu überprüfen, ob er zu Hause beziehungsweise allein ist. Wie sie von Eifersucht gequält wird, weil sie entdeckt, dass er vermutlich eine Frau in Südschweden hat, über die er sie anlügt.

Lena Andersson: „Widerrechtliche Inbesitznahme“. A. d. Schwedischen von Gabriele Haefs. Luchterhand, München 2015. 220 S., 18,99 Euro

Ironischerweise ist Ester die ganze Zeit klug genug, sowohl Hugo als auch sich selbst zu durchschauen, ohne dabei aber zu einem vernünftigen Ergebnis zu kommen (“Sie dachte über die seltsame Tatsache nach, dass sieben Milliarden Menschen auf der Erde nicht von einem Lebenszeichen von ihm abhängig waren. Warum war das bei ihr also anders?“). Das übergroße Bedürfnis des egomanen Hugo nach Bestätigung, seine Tendenz, sich stets mit einer Phalanx aus Bewunderern zu umgeben, seine Gedankenlosigkeit im Hinblick auf die Gefühle anderer – Ester sieht das alles und missbilligt es, um es dann als irrelevant zu verbuchen.

Um so relevanter gerät ihr in der Interpretation seines Verhaltens jedes noch so kleine Detail freundlicher Zuwendung. Die Stimme der Vernunft, die den Roman durchzieht als anonymer „Freundinnenchor“, tut ihr Bestes, um Ester wieder zu klarem Verstand zu bringen. Doch der kommentierende Chor bleibt, genau wie in der klassischen griechischen Tragödie, ein für die Handlung völlig wirkungsloser Running Gag und argumentiert vergeblich gegen die alles verschlingende Hoffnung. „Die Hoffnung ist ein Parasit im Menschenkörper“, doziert dazu die unpersönliche Erzählstimme, man müsse sie „verhungern lassen, damit sie ihr Wirtstier nicht verführt und verblendet“.

Reißfeste Ironie

Es wimmelt in diesem Roman nur so von treffenden Sätzen, die man sich in Lebenskrisen ausschneiden und an die Wand hängen könnte. Es sind Sätze, wie sie auch Ester selbst schreiben könnte, wenn sie ihren gesamten Verstand noch bei sich hätte. Doch der philosophische Essay, den sie verfasst, um ihrer Qual intellektuell zu Leibe zu rücken (er handelt vom Recht darauf, vom Geliebten gut behandelt zu werden), wird abgelehnt.

Das alles ist – es sei denn, man wäre gerade unglücklich verliebt – überaus hochvergnüglich zu lesen, ohne dabei je leichtfertig zu werden. Es ist ein so intelligenter wie hintersinniger und letztlich tiefgefühlter Roman, der einerseits strikt aus der Perspektive der Protagonistin erzählt ist und gleichzeitig doch einen meterdicken Sicherheitskordon aus reißfester Ironie und spitzen Sentenzen zwischen sich und seine törichte Heldin legt. Und das ist sehr gut so. Denn mit Ester mitfühlen kann man wohl; mit ihr mitleiden aber will man ganz sicher nicht. Wir sehen so von außen nämlich sehr gut, dass Hugo in Wirklichkeit ein Esel ist.

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