Roman von Lola Shoneyin: Die Universalität der Gefühle

„Die geheimen Leben der Frauen des Baba Segi“ erzählt von Polygamie in der nigerianischen Yoruba-Kultur. Das lesen besonders Deutsche und Italiener gern.

Eine Portraitaufnahme der Autorin Lola Shoneyin

Will vor allem für ein afrikanisches Publikum schreiben: die nigerianische Autorin Lola Shoneyin Foto: Katrin Gänsler

Lola Shoneyin sitzt in der Lobby in einem schicken Hotel in Ikeja, einem der besseren Viertel der Millionenmetropole Lagos. An den Decken der Bar hängen schwere Leuchter. Es gibt Cappuccino mit frischer Milch.

Gegensätzlicher könnte das Setting zu ihrem Roman nicht sein. Der spielt zwar auch im Südwesten Nigerias, wo die Yoruba die dominierende ethnische Gruppe sind. Doch beim Lesen spürt man die Enge des Haushalts, in den eine vierte, jüngere und besser gebildete Frau einzieht.

In Nigeria und vielen weiteren Regionen Afrikas ist es bis heute Realität: Viele Familien leben polygam, was religiös, aber auch kulturell und traditionell begründet wird. Männer heiraten bis zu vier Frauen, die mal in einem Haus, mal auf derselben Hofstelle, aber auch in verschiedenen Stadtteilen oder sogar anderen Städten leben. Während Männer oft und gerne über ihre großen Familien und die Anzahl ihrer Frauen und Kinder sprechen, schweigen die Frauen meist. Keine sagt von sich aus, dass sie Zweit- oder Drittfrau ist, was zwar Alltag ist, meist aber wie ein Makel klingt.

Wettbewerb der Frauen

„Nirgendwo auf der Welt gibt es eine einzige Frau, die ihren Ehemann gerne teilen würde“, sagt Lola Shoneyin. Die Nigerianerin, die bereits als Sechsjährige im schottischen Edinburgh ein Internat besuchte, heute Kinderbücher und Gedichte schreibt und einige Jahre als Lehrerin arbeitete, hat ihren ersten Roman 2010 veröffentlicht. Sie erzählt in „Die geheimen Leben der Frauen des Baba Segi“ aus Sicht von vier Ehefrauen über Polygamie. Der Roman ist mittlerweile in zwölf Sprachen erschienen und sei, so Shoneyin, in Deutschland und Italien am erfolgreichsten. Damit funktioniert ein Thema, das in Europa fremd erscheint und mit zahlreichen Klischees belegt ist, vor allem in der Diaspora.

Neid und Misstrauen der übrigen drei Frauen sind allgegenwärtig. Doch gleichzeitig sind die Protagonistinnen einfallsreich, alles andere als passiv und keinesfalls in einer Opferrolle. Der Roman ist in Europa und den USA auch deshalb erfolgreich, weil er einen Einblick in das Unbekannte bietet. Lola Shoneyin hat eine weitere Erklärung. „Es geht um die Universalität der Gefühle von Menschen. Leser finden einen Verbindung zu dem Buch, auch wenn es aus einer komplett anderen Kultur stammen.“

Dass ihr Buch ausgerechnet in Italien so populär ist, könnte noch einen weiteren Grund haben. „Man kennt die Stereotype der italienischen Männer. Ich frage mich manchmal, ob die Leserinnen eine Parallele zwischen ihren Leben und denen einiger Charaktere sehen können.“ Frauen könnten eine Verbindung zu dem Wettbewerb herstellen, in dem sie sich selbst befinden.

Besondere Erklärungen braucht das Buch allerdings nicht, wenn das Publikum in Europa und den USA lebt; schließlich ist auch Nigerias Lesepublikum keineswegs homogen. „Es wird häufig vergessen, dass es allein in Nigeria etwa 300 Sprachen gibt. Mein Buch ist sehr Yoruba. Einige kleine Extrainformationen, die ich für die nicht-afrikanischen Leser benötige, benötige ich vielleicht sogar für die Leser, die keine Yoruba sind“, erklärt die 44-Jährige, die zwar auf Englisch schreibt, aber auf Yoruba denkt. Eine Herausforderung seien Sprichwörter, die in Übersetzungen nicht immer funktionieren. Doch auch das betreffe jeden Leser, der Yoruba nicht als Muttersprache spricht.

„Die geheimen Leben der Frauen des Baba Segi“ ist in Nigeria von Cassava Republic verlegt worden. Damals war das Verlagshaus von Bibi Bakare-Yusuf erst vier Jahre alt und machte mit dem Verlegen von jungen und teilweise noch unbekannten afrikanischen Autoren auf sich aufmerksam. Die nigerianische Literaturszene mit ihrer langen Tradition und weltweit anerkannten Schriftstellern wie Wole Soyinka und Chinua Achebe war plötzlich zurück und rückte wieder mehr in die Öffentlichkeit. Für Lola Shoneyin sei es dennoch wichtig gewesen, einen weiteren Verleger in den USA zu haben. „Es ist ein schöner Bonus und wundervoll, wenn Geschichten reisen können. Es fühlt sich großartig an, wenn das Buch anderswo auf der Welt erscheint.“

Shoneyin erinnert sich an Lesungen in Deutschland, die alle gut besucht waren, und an das Literaturfestival im italienischen Mantua, an dem sie 2012 teilnahm. „Wir sprachen über das Buch, über Polygamie und warum diese bis heute populär ist. Ich hatte alle Begründungen dafür in meinem Kopf. Als ich in das Publikum schaute, merkte ich: Dort gab es nicht ein einziges schwarzes Gesicht. Manchmal ist das so in Europa. Ich spürte, dass ich eine Plattform schaffen muss, mithilfe derer ich über solche Dinge mit Afrikanern, mit Nigerianern sprechen kann.“

Lola Shoneyin gründete das Aké Arts and Book Festival in Abeokuta, das 2017 zum fünften Mal stattgefunden hat. Unter den Gästen sind Nigerias bekannteste Autoren, viele Schriftstellerinnen, viele von ihnen Feministinnen. Jedes Jahr steht die fünftägige Veranstaltung unter einem speziellen Thema. Sie ist keine Verkaufsveranstaltung, sondern ein Diskussionsforum für Gesellschaftsthemen.

Das Denken befreien

Lola Shoneyin sagt heute, dass sie primär für ein afrikanisches Publikum schreibt: „Es ist wertvoller für mich, wenn ich weiß, dass andere Afrikaner mein Buch gelesen haben.“ Dennoch kann das Publikum gleichermaßen international sein, da es schließlich auch aus Ghanaern, Südafrikanern und Simbabwern bestehen könnte. „Der Grund dafür ist auch, dass ich nicht immer entspannt bin, wenn ich Festivals außerhalb des Kontinents besuche.“

Allerdings gibt es noch einen weiteren. Festivals eignen sich durchaus zum Üben von Gesellschaftskritik. „Wenn wir kritisch sein wollen, dann müssen wir das auch auf dem Kontinent tun. Wir müssen andere Afrikaner ansprechen und sagen: Das ist der Grund, weshalb Dinge nicht funktionieren und wir zurückgeworfen werden.“ Solche Plattformen seien für Autoren und Leser gleichermaßen befreiend, da sie einen Kontakt zwischen beiden herstellen.

Lola Shoneyin

„Wenn wir kritisch sein wollen, dann müssen wir das auch auf dem Kontinent tun. Wir müssen andere Afrikaner ansprechen“

Das trifft auch auf die Themenwahl zu. Lola Shoneyin ist überzeugt, dass Autoren einen Einfluss darauf haben, wie Menschen denken, etwa dann, wenn sie über Homosexualität ­schreiben. Gleichgeschlechtliche Beziehungen sind in fast allen Ländern auf dem Kontinent verboten.

In Nigeria wird besonders laut gehetzt, und mit dem sogenannten Anti-Gay-Law wurde ab 2014 die Gefängnisstrafe für all jene, die in gleichgeschlechtlichen Beziehungen leben, auf bis zu 14 Jahre erhöht. „Gespräche darüber in einem sicheren Rahmen sind wirklich wichtig für viele Menschen.“ Dazu gehöre, dass Autoren schreiben, wie es sich für Kinder anfühlt, wenn sie schwul oder lesbisch sind. „Viele Menschen denken darüber gar nicht nach.“

Allerdings gibt es bis heute nur wenige Verlage in Afrika, die solche Bücher auch verlegen. Dabei hatte gerade Nigeria bis in die 1980er Jahre eine lange Tradition von Verlagshäusern, die während verschiedener Rezessionen allerdings nach und nach aufgeben mussten oder seitdem nur noch Schulbücher verlegen. Mittlerweile gibt es allerdings einige erfolgreiche Neugründungen. Neben Cassava Republic ist Farafina bekannt, die beide in den 2000er Jahren gegründet wurden. Etwas später folgte Parrésia. Seit 2016 gibt es den Verlag Ouida Books, in dem gerade die ersten sechs Bücher erschienen sind.

Ouida Books ist der neue Verlag von Lola Shoneyin, der künftig neben Romanen auch Kinderbücher verlegen wird. Sie sind noch seltener zu finden „Auch ich bin ein Kind west­licher Literatur. Viele Jahre lang waren sie die einzigen Bücher, die ich gelesen habe“, erinnert sich Lola Shoneyin. Ihr neuer Verlag könnte das künftig ändern.

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