Roman: Katastrophe als Motor der Liebe

Jay McInerney, Teil des New Yorker 80er-Literatur-Brat-Packs, entdeckt zum 11. September die Gefühle und schreibt mit "Das gute Leben"einen Gegenentwurf zu seinem bisherigen Oeuvre.

New York, New York - auch hier haben sich Liebende viel zu sagen Bild: ap

Jay McInerney schreibt der 9/11-Katastrophe hinterher, und das auf eine Weise, wie man sie diesem Ironiker und Lästermaul wirklich nicht zugetraut hätte. Früher, als Teil des von der New Yorker Kulturjournaille erfundenen literarischen Brat Packs, dieses losen Sauf- und Krawallvereins, dem außer ihm und einigen einflussreichen Lektoren auch Bret Easton Ellis und Tama Janowitz angehörten, früher war für ihn die Liebe nur eine der drei großen Lebenslügen (neben "Der Scheck ist in der Post" und "Ich komme nicht in deinem Mund"). Jetzt auf einmal, fast 20 Jahre später, entdeckt er sie für sich, hebt sie ganz unironisch auf den Sockel - und jetzt kann er sie nicht beschreiben.

Der Starbanker Luke und die Anwältin Corinne sind "Leichen auf Urlaub", so heißt der Berufsaussteiger im despektierlichen New Yorker Gesellschaftsslang. Sie hat sich wegen ihrer Zwillinge "äußerst flexible Arbeitszeiten genehmigt" und arbeitet an einem Drehbuch und einer Internetseite für werdende Mütter. Er ist völlig desillusioniert von seinem Job und versucht sich an einem Buch über Samurai-Filme. Beide sind nicht mehr so richtig glücklich mit ihren Ehepartnern, argwöhnen Seitensprünge, die sich dann später auch bewahrheiten. In einer furchtbar abgeschmackten Szene gleich zu Beginn des Romans, also am Vorabend des 11. Septembers, fragt Corinne einen pöbelnden Penner: "Wo ist bloß die Liebe hin?" Ein früher Hinweis auf McInerneys aktuelle Ambitionen als Kitschier.

Aber dann fallen ja auch schon die Türme, und er zeigt erst einmal in vielen kleineren Szenen, was man auch schon mal gelesen hat, dass nämlich die Menschen zusammenrücken, der sprichwörtliche New Yorker Opportunismus, die metropolitane Härte einer Empathie und Menschlichkeit weichen. Nur für Luke und Corinnes Eheleben gilt das nicht. Luke etwa findet seine verruchte, ein bisschen zu stereotyp auf High-Society-Puppe angelegte Sasha zwar immer noch sexuell attraktiv, aber das von ihr weiter propagierte glamouröse Klatschspalten-Leben macht ihm zu schaffen. Als dann auch noch seine gerade mal 14-jährige Tochter beinahe an einer Überdosis stirbt, sehnt er sich nach Veränderung. Und auch Corinne macht sich so ihre Gedanken, als die Ex-Gespielin ihres Ehemanns Russel sich ihr in der Öffentlichkeit vorstellt - als Russels Ex-Gespielin. Deshalb hat McInerney diese beiden Erzählstränge kurz zuvor ja auch verknüpft, damit sich Corinne und Luke endlich kennen und lieben lernen. Ihre erste Begegnung hat diese dramaturgisch aufgemotzte Überlebensgröße, die sich im Blockbuster-Kino so gut macht. Am Tag nach der Katastrophe verlässt der nur knapp gerettete, aber sogleich wacker Trümmer schleppende und entsprechend zerschundene Luke die Apokalypse am Ground Zero, und der erste Mensch, der ihm entgegenkommt, als er aus der Asche- und Staubwolke tritt, ist Corinne. Und sie erscheint ihm als eine Mischung aus Engel und Katherine Hepburn - "im guten Sinn".

McInerneys Talent wird immer wieder korrumpiert von seiner symbolistischen Großmannssucht. Die Gäste einer Wohltätigkeitsveranstaltung in der Nacht vor dem Anschlag erinnern Luke "an die Gestalten, die er diesen Sommer in Pompeji und Herculaneum gesehen hatte: erstarrt in ihren Gesten des Feierns und der Ausgelassenheit". Und späterhin, als seine Tochter aus der Entzugsklinik zu Grandma flüchtet, in Lukes Südstaaten-Heimat Tennessee, bricht er das Lotterwochenende mit Corinne ab, um ihr nachzureisen. Und hier besucht er nach ein paar Gläsern zu viel, in Gedenken an die 9/11-Opfer, auch den lokalen Bürgerkriegs-Friedhof. Es wundert einen fast, dass McInerney nicht auch noch Vietnam und die Shoah als Vergleichsgröße heranzieht, um die Schwere der Katastrophe zu dimensionieren. Diese Kraftmeierei mit schweren Zeichen ist schon ein bisschen geschmacklos, andererseits unterläuft er das Pathos dann auch wieder mit einem Witz. Auf dem Friedhof belauscht der besoffene Luke die Toten der Konföderation, denn "diese Männer wussten doch bestimmt einiges über Ehre und Pflicht", aber das Einzige, was er zu hören bekommt, ist das Jubelgewinsel eines Paars, das Sex hat.

McInerney bedient sich hier ziemlich geschmeidig des auch von T. C. Boyle beharrlich probierten dualistischen Romanschemas. Er erzählt aus zwei Perspektiven, führt zwei Plotstränge parallel, die sich dann kreuzen und verflechten und auch schon mal wieder auseinanderlaufen. Die kapitelweise erfolgenden Perspektivenwechsel schaffen Spannung, und so liest man diesen ziemlich dicken Roman schnell weg. Dennoch wäre man über ein straffendes Lektorat nicht traurig gewesen, weil nämlich so recht nicht einzusehen ist, warum der Autor den Leser an jedem, ausnahmlos jedem Dialog der beiden Liebenden teilhaben lässt. Das weiß man doch, dass verliebte Menschen ständig über ihre Verhältnisse reden, sich in der warmen Grütze des Klischees suhlen und sich rituell ihrer Zuneigung versichern müssen. Ständig spitzt McInerney die Realität zu, macht sie sich im Sinne einer Effektsteigerung gefügig - welchen Grund sollte es nun geben, ausgerechnet das intime Zwiegespräch, in dem wir uns doch nur alle lächerlich machen, quasi-naturalistisch abzubilden? Man fühlt sich als Leser wie Luke, der, als kleiner Junge im Schlafzimmerschrank der Eltern versteckt, vom Seitensprung seiner Mutter etwas mehr erfährt, als er möchte.

McInerneys teilweiser Verlust seiner dramaturgischen Souveränität trägt schon beinahe kompensatorische Züge, als wollte er mit Schmackes endlich nachholen, was er sich in seinen wunderbaren frühen Romanen, vor allem in "Bright Lights, Big City" (dt. "Ein starker Abgang") und "Story Of My Live" (dt. "Ich nun wieder"), versagt hat. In diesen Büchern ist Liebe nur als Sehnsucht präsent, schwupps, und schon braucht der Autor 200 Seiten weniger. Und so liest sich "Das gute Leben" denn auch wie ein Gegenentwurf zu den Achtziger-Jahre-Büchern. Es geht hier ja nicht zuletzt darum, dass eine spätkapitalistische Dekadenzgesellschaft durch eine Katastrophe ihre kulturellen Überfeinerungen und Verstiegenheiten fahren lässt, um zu den elementaren menschlichen Empfindungen zurückzukehren. Die Katastrophe war anscheinend nötig, um eine solche Liebe, wie Luke und Corinne sie gerade erleben, erst zu ermöglichen. Aber unter dem Druck dieser schuldlosen Schuld muss ihre Liebe dann eben auch wieder zerbrechen. Das ist tragisch im alten, aristotelischen Sinn. Darunter macht es Jay McInerney nicht mehr.

Jay McInerney: "Das gute Leben". Aus dem Amerikanischen von Ingo Herzke. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2007, 445 Seiten, 22,90 Euro

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