Roskilde Festival: 25 Minuten Love

Das Festival in Dänemark steht seit den Siebzigerjahren für antikommerzielle Unterhaltung. In diesem Jahr gab es kaum politische Statements.

Das Orchester der Syrischen Musiker

Das Orchester der Syrischen Musiker, ein Beitrag zum politischen Gehalt des Festivals Foto: dpa

Auch das kann Politik sein: einfach mal kein Statement abgeben. Hat nicht PJ Harvey gerade erst ein Protestalbum veröffentlicht? Ist nicht Neil Young immer für eine Tirade gegen die Obrigkeiten gut? Doch: kein Wort zum Brexit, keines zur liberal-konservativen dänischen Regierung mit ihren strengen Asylgesetzen und erst recht nichts zu Donald Trump.

Die 175 Künstler des Roskilde Festivals vor den Toren Kopenhagens halten sich zurück. Dabei erwarten wir doch gerade von ihnen Halt in schweren Stunden, auf dem Acker eines ehemaligen Hippie-Festivals, das seit 1971 für antikommerzielle Massenunterhaltung steht.

„Das Leben besteht nicht nur aus Unterhaltung“, sagt Peter Hvalkof, während ihm der Nieselregen in den Kragen tropft. „In den 1970ern war Roskilde eine Alternative zum Establishment, mit den Jesus Freaks, den Kommunisten und Buddhisten. Heute sind wir fokussierter auf konkrete Politik.“ Der 62-jährige Hvalkof, Mitglied des Booking-Teams, sieht die von den Rechtspopulisten geduldete dänische Regierung nur als einen Teil der durch Globalisierung erzeugten Probleme.

„Wir müssen allen zeigen: die multinationalen Konzerne sind das Problem, nicht die geflüchteten Pfandsammler.“ So richtet das Non-Profit-Festival den Sammlern, die pro Kilo Plastikmüll bezahlt werden, Ruhezonen ein. Mit den Einnahmen, die lediglich zu 10 Prozent aus Sponsorengeldern stammen, fördert man neben humanitären auch kulturelle Einrichtungen. Von dem 2015 verbuchten Gewinn von umgerechnet 2,4 Millionen Euro profitieren aktuell auch zwei Hamburger Institutionen: Der Golden Pudel Club, der gerade wieder aufgebaut wird, erhielt rund 10.000 Euro, der Plattenladen Groove City etwa 4.700 Euro.

Das trojanische Pferd

„Wir nutzen unseren Namen, um andere zu promoten, genau wie Damon Albarn“, sagt Peter Hvalkof. Der Blur-Sänger Albarn eröffnet das viertägige Festival am Mittwochabend mit dem ehemaligen syrischen Nationalorchester, das sich nun Orchestra of Syrian Musicians nennt. Die 50-köpfige Gruppe spielt ein weitgehend traditionelles, fast sperriges Set, für das Albarn als trojanisches Pferd fungiert, um 40.000 Menschen vor die Bühne zu locken.

Der Engländer lässt sich nur sporadisch blicken, um „Blackbird“ am Klavier hinzutupfen oder sein eigenes „Out of Time“. Auch hier keine offenkundige Politik, wenn man von den „Syria“-Sprechchören gegen Ende absieht.

Peter Hvalkof, Roskilde Festival

„Die Leute zahlen für PJ Harvey und Neil Young, reden danach aber nur noch vom Quartett aus Madagaskar“

Das Festival, das für eine Woche quasi die viertgrößte Stadt Dänemarks bildet, wird von den 32.000 Freiwilligen getragen. Auch Hvalkof arbeitete 15 Jahre lang ohne Lohn. „Der Erste, der bezahlt wurde, war der Buchhalter.“ Ein Klima der allgemeinen Rücksichtnahme, das wenig Platz für marodierende Abiturienten lässt, prägt das Festival.

Die Dänen, die 80 Prozent des Publikums ausmachen, beherrschen das entspannte Feiern. Auch bei PJ Harvey haben sie ein Gespür dafür, an den richtigen Stellen zu klatschen. Die Sängerin stellt ihr neues Werk „The Hope Six Demolition Project“ vor, in Begleitung der Upper Class der britischen Popszene, vertreten durch acht Mannen in Schwarz. John Parish und Mick Harvey sind dabei. Sie spielen einen humorlosen Gothic-Soul, mit Versatzstücken aus rohem Rock und Big-Band-Sounds.

25 Minuten nichts als Liebe

„Die Leute zahlen für PJ und Neil, reden danach aber nur noch vom Quartett aus Madagaskar.“ Peter Hvalkof, zuständig für das World Music Programm, hat den Gitarristen Damily eingeladen, ein Jimmy Page Ostafrikas, der mit seinem rasend schnellen Pop namens Tsapiky 300 Leute vor der kleinsten Bühne zum Tanzen bringt.

Zwischendurch ist Zeit für einen Spaziergang: die obligatorischen Kunstausstellungen jonglieren etwas orientierungslos mit Begriffen wie „Equality“ und „Gender“; das viel gepriesene DIY-Camp Dream City ist eher ein Dixi-Klo-aromatisierter Albtraum. Das gastronomische Angebot, das an jedem Stand zu mindestens 75 Prozent bio ist, lässt allerdings sogar die eigens angereisten englischen Food-Blogger staunen.

Und Neil Young? Der Kanadier spielt drei Stunden lang seinen humorlosen, steinschlagschweren Rock, ohne eine einzige Ansage. Einen Song wie „Rockin’ in the Free World“, mit schier endlosem Mitgröl-Re­frain, braucht kein Mensch.

Dann aber beginnt Young plötzlich zu lächeln: Die letzte Zugabe zeigt ihn ganz gelöst, das Zusammenspiel mit seiner Begleitband, den fünf Twentysomethings von Promise of the Real, funktioniert besser denn je. Der Song wird sich noch einmal 25 Minuten hinziehen: „Love and Only Love“. Was man sehr wohl als politisches Statement verstehen kann.

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