Rot-Grün nach der Niedersachsenwahl: Zweckoptimisten unter sich

Der rot-grüne Sieg in Hannover ist zu knapp, um die Zweifel an Peer Steinbrück zu übertünchen. Und die Grünen könnten sich schon bald in Strategiedebatten stürzen.

Jubeln geht immer und am Ende eines langen Abends auch zu Recht: Grüne Spitzenpolitiker am Wahlabend. Bild: dapd

BERLIN taz | Gerade mal fünf Wochen ist es her, da schien es, als würden die starken Männer von Rot-Grün bereits in Berlin regieren. Peer Steinbrück und Jürgen Trittin saßen Schulter an Schulter im Saal der Bundespressekonferenz, stellten zackig Pläne für eine strengere Bankenregulierung vor, rissen entspannt ein Witzchen nach dem anderen. Hier sitzen zwei Profis, und es ist höchste Zeit, dass wir Deutschland vor der schwarz-gelben Chaostruppe retten, war die Botschaft.

Nach der wichtigsten Landtagswahl des Jahres ist dieses Ziel etwas weiter in die Ferne gerückt. Achtbare Ergebnisse fuhren die Parteien ein, Rot-Grün kann mit einer hauchdünnen Mehrheit regieren. Doch: Der fulminante Wechsel, auf den SPD und Grüne wegen guter Umfragewerte lange hofften, blieb aus.

Auf einen solchen hatten Steinbrück und Trittin gesetzt. Beide wollten das Wahljahr mit einem triumphalen Aufbruchssignal für Rot-Grün einläuten, den Sound für die Bundestagswahl im September vorgeben, ihre Parteien für die Auseinandersetzung mit der Kanzlerin maximal mobilisieren. Doch statt Aufbruchstimmung herrscht nun Ernüchterung. Es gibt keine klaren Gewinner, aber es hat auch niemand richtig verloren – die Linke und die Piraten mal ausgenommen.

Entsprechend versuchten die Parteispitzen von SPD und Grünen, das Positive in dem Schlamassel zu sehen. Das Ergebnis zeige, dass der Macht- und Regierungswechsel im September möglich sei, sagte Steinbrück. „Darauf setzt die SPD, darauf setze ich.“ Seine Generalsekretärin Andrea Nahles kommentierte vorsichtiger. Der Landesverband habe sich gut gehalten, „obwohl es keinen Rückenwind aus Berlin geben hat.“

Wieder kein Neustart

Kein Rückenwind, das dürfte eine vorsichtige Anspielung sein. Ein furioser Sieg hätte Steinbrücks Patzer vergessen gemacht, er hätte es ihm zudem ermöglicht, die Partei mit neuem Schwung auf inhaltliche Debatten zu fokussieren. Niedersachsen, das sollte ein Neustart sein, wieder mal. Davon kann nun wirklich keine Rede sein.

Schon vor der Wahl beobachteten viele Genossen Steinbrücks Agieren mit zunehmender Nervosität. Jetzt, da erstmals ein Ergebnis mit Steinbrücks Namen verbunden ist, dürften die Zweifel bleiben. Auch wenn es übertrieben wäre, von einem Steinbrück-Malus zu sprechen.

Dass Steinbrück persönlich Konsequenzen ziehen müsste, war von vornherein unwahrscheinlich. Überlegungen, den Kandidaten noch auszutauschen, sind in der Partei wohl ad acta gelegt. Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier persönlich hatte ihm mit dem Satz: „Peer Steinbrück ist Kanzlerkandidat vor und nach der Niedersachsen-Wahl“, quasi eine Jobgarantie gegeben.

Dahinter steckt die Analyse, dass die Blamage eines – historisch einmaligen – Kandidatentauschs zu groß wäre. Und dass die Alternative, ein Einspringen von Parteichef Sigmar Gabriel, ebenfalls mit Risiken verbunden wäre. Die Devise lautet deshalb: Augen zu und durch, mit Steinbrück, und möglichst nur noch über Inhalte reden.

Die Grünen trösten sich mit ihrem guten Ergebnis. „Die Menschen wollen eine andere Politik als die von Merkel oder McAllister“, sagte Grünen-Chefin Claudia Roth in Hannover.

Bundesverband schwäbischer Hausfrauen

Da schwingt ein bisschen Zweckoptimismus mit. Im Grunde ist die Partei gut aufgestellt für die Bundestagswahl. Die Grünen haben die großen programmatischen Streite abgeräumt, ihre Wahlversprechen sauber durchgerechnet und die heikle Spitzenkandidaturfrage basisdemokratisch entschieden. Im Vergleich mit ihrem Wunschpartner SPD wirken sie wie der Bundesverband schwäbischer Hausfrauen.

Doch in Wirklichkeit ist die Situation im Bund auch für Trittin und seine Leute nicht unproblematisch. Selbst wenn sie weiter stabil gute Werte in den Umfragen bekommen, schwächelt doch die SPD, und damit ihre bisher einzige Machtoption. Die Spitzenkandidaten Trittin und Katrin Göring-Eckardt haben ihre Partei auf ein solches Bündnis im September eingeschworen. Andere Überlegungen, etwa einen Pakt mit Merkels Union, haben sie formal nicht ausgeschlossen, versuchen aber, diese Debatte in der Partei zu unterdrücken.

Aber was passiert, wenn es für Rot-Grün im Bund nicht reicht? Und soll die Partei andere Optionen offensiv absagen? Wenn man sich unter Grünen umhört, hört man dazu alle nur denkbaren Analysen: Manche präferieren die Öffnung für Schwarz-Grün, manche wollen einen Versuch in Richtung Rot-Rot-Grün starten, wieder andere zögen im Zweifel die Oppositionsbank vor.

Es ist deshalb fraglich, ob Trittin und Göring-Eckardt ihre Linie des vielsagenden Schweigens durchhalten können. Einem Parteiinsider schwant bereits: „Eine Niederlage in Hannover wirkte wie ein Beschleuniger. Die Strategiedebatte kommt, und wir werden in einer aufgeheizten Stimmung diskutieren.“

Steinbrück und Trittin, die Mitte Dezember wegen der Banken so einträchtig beieinandersaßen, haben also aufregende Wochen vor sich. Und jeder muss sich mit ganz eigenen Problemen herumschlagen.

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