Rot-Rot-Grün in Thüringen: Keine neue Weltrevolution

Mit nur einer Stimme Mehrheit wird Rot-Rot-Grün keine „Langeweileregierung“. Aber in vielen Sachfragen zeigen sich alle Parteien recht einmütig.

Nah zusammengerückt: die Thüringer Parteichefs zum Verhandlungsende Bild: dpa

ERFURT taz | „Bitte rücken Sie doch etwas enger zusammen!“, bat ein Fotograf die drei Chefunterhändler von Linken, SPD und Grünen vor Beginn der Pressekonferenz. Das taten Susanne Hennig-Wellsow, Andreas Bausewein und Dieter Lauinger und lächelten hinter einem Wald von Mikrofonen hervor. Der Saal im historischen Haus Dacheröden, wo die Koalitionsverhandlungen in den letzten Tagen abgeschlossen wurden, war am Donnerstag völlig überfüllt.

67 Tage hatten die drei Partner nach der Landtagswahl Zeit, so weit zusammenzurücken, dass es für einen Koalitionsvertrag reicht. Bei der Vorstellung des Vertrages konnten auch spitzfindige Fragen die demonstrative Einmütigkeit der drei Spitzen nicht erschüttern. Es gehe um konkrete Veränderungen hier und jetzt in Thüringen und nicht um die Einführung des Sozialismus, gab sich die Linke Hennig-Wellsow ganz pragmatisch.

Auf dieses Zusammenrücken wird es aber nicht nur bei der Ministerpräsidentenwahl am 5. Dezember ankommen. Auch bei künftigen Sachentscheidungen hat das linke Bündnis nur eine Stimme Mehrheit im Landtag. „Das wird keine Langeweileregierung“, meinte Hennig-Wellsow, „Sie wissen ja, wir debattieren gern!“

Eine Anspielung auf den letzten Verhandlungstag am Mittwoch, als die Grünen sauer reagierten, weil Forst und Landwirtschaft aus ihrem Umwelt-Superministerium ausgegliedert wurden. Ansonsten aber zeigten sie sich überraschend zufrieden. „Ich habe nicht das Gefühl, dass das Verhandlungsergebnis nur Lippenbekenntnisse enthält“, sagte Landeschef Lauinger.

In zwei zentralen Fragen wurde schon bei den Sondierungen im Oktober Einigung erzielt. Ausgeglichene, schuldenfreie Landeshaushalte stellt niemand infrage. Umstrittener war die Einstufung der DDR. Ein Viertel der Präambel des Koalitionsvertrags ist allein diesem Thema gewidmet. Weil Recht und Gerechtigkeit für Nonkonforme schnell ein ideologisch begründetes Ende haben konnten, sei die DDR „in der Konsequenz ein Unrechtsstaat“ gewesen.

Zuerst Kassensturz

Die letzten Sätze des Vertrages auf Seite 105 ziehen daraus unter anderem den Schluss, dass Mitarbeiter der Staatssicherheit nicht in der Regierung mitwirken sollen. Die Erinnerungskultur an Opfer des Stalinismus, der Nazizeit wie auch an NSU-Opfer soll auf eine neue Stufe gehoben werden.

Die Weltrevolution wird in Thüringen keinen neuen Anlauf nehmen. „Demokratisch, sozial, ökologisch“, fassen die Partner vielmehr ihre vereinbarten Vorhaben zusammen. Ein beitragsfreies erstes Jahr soll den Einstieg in die kostenlose Kinderbetreuung bringen. Der überfälligen Gebietsreform wird auf Drängen der Linken eine Funktional- und Verwaltungsreform vorausgehen. Mit einer Reform des Finanzausgleichs sollen die Kommunen bessergestellt werden. Das aktive kommunale Wahlalter wird auf 16 Jahre gesenkt.

Jährlich werden 500 neue Lehrer eingestellt. Wirtschaftsförderung soll sich auf den Klein- und Mittelstand konzentrieren, Langzeitarbeitslose sollen besser vermittelt werden. Unter den klassisch grünen Themen wie Eindämmung der Massentierhaltung und des Flächenverbrauchs fällt das ehrgeizige Ziel auf, schon bis 2020 ein Drittel des Energieverbrauchs aus erneuerbaren Quellen zu decken.

Nach einer erfolgreichen Regierungsbildung wird es zuerst einen Kassensturz geben. Priorität im Rahmen der Finanzierbarkeit genießen Bildung, Kommunen und Klimaschutz.

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