Rot-grünes Geheimdienstreförmchen: Verfassungsschutz darf weiter Lehrer spielen

Niedersachsens Grüne wollten den Verfassungsschutz abschaffen. Jetzt sollen ihn Parteigänger der Regierung neu gestalten – mit der Verfassungsschutz-Chefin.

Müssen wohl auch weiterhin Besuch vom Verfassungsschutz in ihrem Klassenraum dulden: Schüler einer niedersächsischen Realschule. Bild: dpa

HANNOVER taz | Die geplante rot-grüne Reform des niedersächsischen Verfassungsschutzes kommt schwer in Gang: Anders als angekündigt sollen die Geheimdienstler weiter durch die Schulen ziehen. Den Verfassungsschutz von morgen sollen ausschließlich Parteigänger der Regierung entwerfen – gemeinsam mit der Verfassungsschutz-Chefin selbst.

Vergangene Woche hatte Innenminister Boris Pistorius (SPD) die fünfköpfige Expertenkommission berufen, die von Mitte September bis Anfang 2014 Handlungsvorschläge für den von Rot-Grün angekündigten „Neustart“ des Verfassungsschutzes vorlegen soll.

Aus Sicht der Opposition mangelt es dabei schon jetzt an Transparenz: Die frisch einberufene Expertenkommission sei schlicht ein „rot-grünes Parteigremium“, sagt etwa FDP-Vizefraktionschef Stefan Birkner. Darin sitzen die SPD-Bundestagsabgeordnete und Berichterstatterin im NSU-Untersuchungsausschuss Eva Högl, die Richterin Ulrike Schlingmann-Wendenburg (auch SPD), sowie die ehemalige Grünen-Bundestags- und Landtagsabgeordnete Silke Stokar und der grüne Verfassungsrechtler Hartmut Aden. „Ich hätte mir mehr Offenheit gewünscht, schließlich muss ein Verfassungsschutz überparteilich getragen werden“, sagt Birkner.

Eine Reform des Verfassungsschutzes sieht der rot-grüne Koalitionsvertrag in Niedersachsen als Konsequenz aus der Mordserie der rechtsextremen Terrorzelle NSU vor.

Handlungsvorschläge dafür soll demnach eine "paritätisch besetzte Kommission" erarbeiten, etwa zur Verbesserung der parlamentarischen Kontrolle über die Behörde oder dem Einsatz von V-Leuten.

Die Behördenspitze tauschte Rot-Grün gleich nach Antritt im Frühjahr aus und machte mit Maren Brandenburger (SPD) die einstige Pressesprecherin des Verfassungsschutzes zur Präsidentin.

Die umstrittene Islamisten-Checkliste und das sogenannte Anti-Radikalisierung-Programm von Schwarz-Gelb hat Brandenburger bereits wie angekündigt eingestampft.

Skeptisch sieht er zudem, dass die Behörde selbst in der Kommission dabei ist: Verfassungsschutzpräsidentin Maren Brandenburger (SPD) ist Mitglied und koordiniert die Arbeit des Gremiums. „Es ist sicher klug, wenn eine solche Kommission den Verfassungsschutz anhört“, sagt er, „aber diejenigen, die reformiert werden sollen, zum Mitglied mit koordinierender Funktion zu machen, ist fragwürdig.“ Aus Birkners Sicht klaffen beim geplanten Verfassungsschutz-Neustart ohnehin „Anspruch und Wirklichkeit auseinander“, vor allem bei den Grünen.

Die hatten den Landesverfassungsschutz in ihrem Wahlprogramm einst noch für „nicht reformierbar“ erklärt und seine Abschaffung gefordert. In den rot-grünen Koalitionsverhandlungen hielt man daran allerdings nicht lange fest und einigte sich stattdessen auf den „Neustart“. Von einem „ganz normalen, üblichen Kompromiss“ spricht Helge Limburg, Parlamentarischer Geschäftsführer der Landtagsgrünen und noch zu Oppositionszeiten stets ein Kritiker der Arbeit der Behörde unter dem damaligen Innenminister Uwe Schünemann (CDU).

Die Vorwürfe der jetzigen Opposition nennt er „abwegig“: Die Parteimitgliedschaft sei für Berufungen in die Kommission „nicht das ausschlaggebende Kriterium“ gewesen, sondern die wissenschaftlichen und fachlichen Qualifikationen. Zudem sei die Arbeitsgruppe „kein Versorgungsposten, sondern eine ehrenamtliche Tätigkeit“ – und auch Schwarz-Gelb habe derlei Gremien „stets mit parteinahen Leuten besetzt“, führt der Grünen-Politiker an. Auch Kritik an der Berufung der Verfassungsschutz-Präsidentin mag Limburg nicht gelten lassen: „Ich sehe nicht, dass sie steuernden Einfluss haben könnte“, sagt er. Die Unabhängigkeit der Kommission sei durch die anderen Mitglieder „absolut gewährleistet“.

Auch sonst sieht er den Verfassungsschutz mittlerweile offenbar weniger kritisch. „Der Verfassungsschutz als Inlandsnachrichtendienst ist nicht für die Bildungsarbeit in niedersächsischen Schulen zuständig“, hat Limburg zu Oppositionszeiten erklärt. Und noch im Koalitionsvertrag heißt es, politische Bildungsarbeit gehöre nicht mehr zu den Aufgaben der Behörde. Vorträge in Schulen hält sie gleichwohl noch immer.

Was einigen Grünen insgeheim Bauchschmerzen bereitet, nennt Limburg heute „unproblematisch“. Seine Forderung von einst sei womöglich „etwas polemisch“ gewesen. Angesichts des allgemeinen Wunsches nach mehr Transparenz an die Behörde sei es vielmehr „wichtig, Vorträge in Schulen zu halten“.

Das Innenministerium verweist auf den „gesetzlichen Auftrag“ des Verfassungsschutzes zur Aufklärung und Präventionsarbeit auch an Schulen. Zwar bleibe man der Auffassung, dass die Behörde nicht für politische Bildung zuständig sei, erklärt ein Sprecher. Vorträge in Schulen oder Besuche von Ausstellungen des Verfassungsschutzes seien aber keine „klassische Bildungsarbeit, sonder neutrale Informationsangebote“.

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