Rückkehr nach Hannover: Das Ende einer Trennung

Acht Jahre nach ihrer Abschiebung in die Türkei ist Gazale Salame zurück bei Mann und Töchtern. Niedersachsens neuer Innenminister Boris Pistorius (SPD) will solche Familientrennungen vermeiden

Zurück aus der "Hölle": Gazale Salame am Flughafen Hannover (r.). Ebenfalls da, mit Blumen im Arm: Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) Bild: dpa

HANNOVER taz | Als Gazale Salame durch die Schiebetür tritt, die jüngste Tochter Schams und den Sohn Gazi an den Händen, ist sie gleich schon wieder verschwunden. Es ist Sonntagnacht, halb zwei, Terminal B des Flughafens Hannover: Wenige Schritte sind es bis zur Absperrung, wo ihr Mann Ahmed Siala, die Töchter Amine und Nura warten, gleich dahinter Niedersachsens neuer Innenminister Boris Pistorius (SDP), einen Blumenstrauß in der Hand. Dann verschluckt die Traube aus Fotografen und Kameraleuten Salame und ihre Familie. Alles wird mitgeschnitten, jede Träne, jedes Schluchzen.

Acht Jahre ist es her, dass sich die Familie gesehen hat. Acht Jahre, die Salame bloß „die Hölle“ nennt. 2005 war die Kurdin schwanger mit ihrer damals einjährigen Tochter von Hildesheim aus in die Türkei abgeschoben worden. Ihr Mann brachte gerade die beiden älteren Töchter zur Schule. Zuvor hatte die heute 32-Jährige 17 Jahre in Deutschland gelebt. Dann wurde ihr vorgeworfen, ihre Eltern hätten bei ihrer Einreise nach Deutschland falsche Angaben über ihre Herkunft gemacht.

Sonntagnacht am Flughafen nun sieht Salames Sohn Gazi zum ersten Mal seinen Vater und seine ältesten Schwestern. Sie sind nach der Abschiebung in Hildesheim geblieben. Besuche in der Türkei waren nicht möglich: Wegen ihres unsicheren Aufenthaltsstatus hätten Ahmed Siala und die beiden Töchter nicht wieder nach Deutschland einreisen können.

Acht Jahre hielt der Protest an, von Organisationen wie Pro Asyl oder dem Flüchtlingsrat Niedersachsen, Kirchen, Unterstützern aus Hildesheim, von SPD, Grünen und Linkspartei. Der Fall Gazale Salame ist vielleicht das Symbol schlechthin für die umstrittene Ausländerpolitik der ehemaligen schwarz-gelben Landesregierung, allen voran vom langjährigen Ex-Innenminister Uwe Schünemann (CDU).

Der empfahl einst, die Familie könne schnell vereint sein, Vater und Töchter müssten einfach nur in die Türkei folgen. Selbst Unions-Granden wie die einstige Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth und der frühere Bundesinnenminister Rudolf Seiters appellierten an den damaligen Regierungschef David McAllister (CDU).

Schwarz-Gelb aber schwenkte erst spät um: Im Dezember, in seiner letzten Sitzung vor der Landtagswahl fasste der Landtag einen All-Parteien-Beschluss für Salames Rückkehr. Die Wiedereinreise zog sich dennoch gut drei Monate hin. Zunächst musste die Familie nachweisen, dass sie ohne Sozialleistungen auskommt.

Hildesheimer Unterstützer erstatteten mehrere tausend Euro Abschiebungskosten und verpflichteten sich, ein Jahr lang für den Unterhalt der Familie aufzukommen. Bis Salame schließlich ein Visum für die Einreise erteilt wurde, dauerte es weitere Wochen.

Und so ist es nun Schünemanns Nachfolger, der sie in Hannover begrüßt. „Unerträglich“ und „unverzeihlich“ nennt Pistorius die acht Jahre Trennung. Die Bilder vom Flughafen, sagt er, „sollte man jedem zeigen, der leichtfertig Abschiebungen fordert“. Und er erklärt, er hoffe, dass es ihm „in Zukunft gelingt, solche Fälle zu vermeiden“.

Eine Woche zuvor war er damit schon gescheitert: Mitten in der Nacht war da eine Roma-Mutter mit zweien ihrer Söhne aus Lüchow-Dannenberg ins Kosovo abgeschoben worden. Ihr Mann und ein 16-jähriger Sohn blieben zurück. Der „konkrete Fall“ sei ihm nicht bekannt gewesen, ließ Pistorius zu der umstrittenen Abschiebung wenige Tage nach seinem Amtsantritt erklären. Und versicherte, er werde den Fall prüfen, der von Rot-Grün angekündigte „Paradigmenwechsel in der Abschiebepraxis“ werde kommen.

Sonntagnacht ist das alles weit weg. „Danke für alles“, sagt Salame wieder und wieder in zahllose Mikrofone, die Blumen vom Innenminister im Arm, Tränen in den Augen. „Einerseits bin ich froh“, sagt ihre älteste Tochter Amina, „aber da ist auch Angst.“ Viele Probleme, warnt auch Flüchtlingsrats-Geschäftsführer Kai Weber, werden jetzt erst beginnen. „Es liegt auf der Hand, dass in acht Jahren Trennung Unsicherheiten, Missverständnisse und Konflikte entstanden sind“, sagt er. Um sich als Familie langsam anzunähern, werde Gazale Salame vorerst mit ihren beiden jüngsten Kindern in einer eigenen Wohnung leben. Auch Therapieangebote sind vorgesehen.

In Sorge ist der Flüchtlingsrat auch um Salames Vater. Er ist seiner Tochter in die Türkei nachgereist, um sie – als alleinerziehende Kurdin weitgehend isoliert – zu unterstützen. Nun ist er allein in Izmir geblieben, wo Salame zuletzt in einem Armenviertel lebte. Wieder einreisen kann er nicht: Seine Duldung ist mit der freiwilligen Ausreise verfallen.

„Um die Tragödie wirklich zu beenden“, sagt Weber, „muss auch für das letzte Mitglied dieser zerrissenen Familie ein Weg zurück gefunden werden.“ Innenminister Pistorius ist die Situation des Vaters bekannt, wie er auf Nachfrage erklärt. „Ich habe aber“, räumt er zugleich ein, „noch keine Lösung dafür.“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.