Russlanddeutsche hoffen auf Frieden: „Wie ein Ochse mit Brett vor den Augen“

Im Heimatverein der Deutschen aus Russland in Molbergen wird es manchmal laut: Russland sei unberechenbar, heißt es dann, die ukrainische Regierung rassistisch, die deutsche Berichterstattung anti-russisch.

Verfolgen die Berichterstattung lieber in russischen Medien: Nadja Kurz (r.) und Swetlana Schmidt (Mitte) vom Heimatverein der Deutschen aus Russland in Molbergen. Bild: Andreas Burmann

MOLBERGEN taz | Swetlana Schmidt ist verärgert. Sie ballt die Hände und lässt sie dann auf ihren Schreibtisch fallen, spricht laut. Wohl lauter als gewöhnlich. Denn die anderen Leute in dem Zimmer, das an einen Warteraum beim Amt erinnert, schauen zu ihr rüber.

Es sind die Räume des Heimatvereins der Deutschen aus Russland in Molbergen bei Cloppenburg. Schmidt kommt aus Omsk in Sibirien. Dort hat die Russin einen Deutschstämmigen geheiratet. Seit 21 Jahren lebt sie in Deutschland und arbeitet mittlerweile an vier Vormittagen in der Woche bei dem Heimatverein als Beraterin.

„Eigentlich darf ich gar nichts sagen zum Ukraine-Konflikt, sonst schmeißen die mich wieder aus Deutschland heraus“, sagt sie. Aber dann spricht sie doch: „Die Merkel werde ich nie wieder wählen.“ Die gebürtige Russin ist böse auf die Bundeskanzlerin und sagt, dass viele andere Russen auch böse sind, „weil Merkel zusammen mit den USA gegen Russland ist“.

Deutschland und Russland hätten so viel miteinander erlebt. Was den Westen angeht, hat Schmidt deshalb einen Vergleich parat: Die Politiker würden sich benehmen wie ein Ochse, der ein Brett vor den Augen hat. „Die kucken nicht rechts und nicht links“, sagt sie.

Dabei wünscht sie sich, dass der Konflikt friedlich beigelegt wird. „Man darf nicht mit der Waffe regieren“, sagt Schmidt auch im Hinblick auf die ukrainische Regierung. Deshalb betet sie jeden Tag für die Menschen dort. „Jeden Morgen schalte ich als erstes den Fernseher an und schaue, was in der vergangenen Nacht passiert ist“, erzählt sie.

Auch Nadja Kurz hofft auf eine friedliche Lösung des Konflikts. Sie ist die ehrenamtliche Geschäftsführerin des Heimatvereins und arbeitet dort hauptamtlich als Beraterin. Wer Schwierigkeiten bei Behördengängen hat, bei der Baufinanzierung oder der Anerkennung für die Rentenversicherung, kann sich an den Verein wenden.

Sie ist außerdem diplomierte Übersetzerin und hilft vielen Russen, aber auch Ukrainern, Esten oder Letten, die nach Deutschland kommen. „Der Konflikt ist so schmerzlich, weil die Ukrainer und Russen Brüder sind, blutsverwandt“, sagt sie. Den Verein hat sie mitbegründet und hat für ihr ehrenamtliches Engagement das Bundesverdienstkreuz erhalten. Kurz hat ein ambivalentes Verhältnis zu Russland.

Einerseits denkt sie, dass Wladimir Putin in Bezug auf die Krim richtig gehandelt hat. „Die Krim war früher russisch und ist für Russland ein strategisch wichtiger Punkt“, sagt sie. In der Ukraine gebe es Gegenden, wo die russische Bevölkerung 80 Prozent ausmache, deshalb findet Kurz es selbstverständlich, dass der russische Präsident sein Volk schützen muss.

Die Geschäftsführerin weiß aber auch aus eigener Erfahrung, dass Russland „unberechenbar ist“: Ihre Eltern kommen aus der Ukraine und gehörten dort der deutschen Minderheit an. Die Eltern wurden enteignet und nach Nowosibirsk in Sibirien verschleppt, erzählt Kurz. Dort wurde sie auch geboren. „Ihnen wurden immer wieder Versprechungen gemacht, dass sie zurück können.“

Schließlich kam die Familien nach Kasachstan und dann nach Deutschland. „Aber wir wurden nie rehabilitiert.“ Seit 1988 sind alle Verwandten in Deutschland. Kurz lebt seitdem in Molbergen und sitzt seit vier Wahlperioden für die CDU im Gemeinderat. In Molbergen kommt fast jeder zweite Einwohner aus einer Spätaussiedlerfamilie.

Dort kennt Nadja Kurz viele Deutsche und wird häufig auf die Ukraine angesprochen. Das störe sie nicht. Wenn sie von den Molbergern angesprochen wird, äußerten die sich häufig negativ über Russland. „Wir haben ganz unterschiedliche Informationen“, sagt sie. Die Nachrichten von deutschen und russischen Sendern seien widersprüchlich. Sie glaubt deshalb auch, dass Putin den Bürgerkrieg in der Ukraine nicht unbedingt fördert, aber „dass er dort schon das Sagen hat“.

Kurz erhält aber aus der Ukraine zusätzlich Informationen von einem befreundeten, ukrainischen Kunstlehrer aus Molbergen, der dort seine Doktorarbeit schreibt. Sie hat auch über E-Mail Kontakt zu Ukrainern, die der Pfingstler-Gemeinde angehören, so wie sie. „Pfingstler mischen sich nicht in den Konflikt ein und lehnen Waffengewalt ab“, erklärt Kurz. Deshalb mache sie sich große Sorgen um ihre Mitschwestern und -brüder in der Ukraine.

In Vechta sitzt Alexander in einem Eiscafé und raucht. Der 32-Jährige ist bereits als Kind nach Deutschland gekommen. „Ich bin schon so lange in Deutschland und auch alle meine Verwandten und Freunde leben hier – mich betrifft der Konflikt nur aus der Entfernung, so wie andere Deutsche auch“, sagt er. Alexander ärgert sich viel mehr darüber, dass er von den Deutschen immer noch als Russe angesehen wird.

Vor vier Monaten hat er sich mit einem Gashandel selbstständig gemacht. Bei fast jedem Kunden werde er auf den Ukraine-Konflikt und die Gaspreise angesprochen. „Ich sage immer, das ist mir egal, denn ich habe die Telefonnummer von Putin und rufe ihn dann eben an“, erzählt er mit einem Augenzwinkern.

Alexander kennt zwar auch einige Ukrainer, aber mit denen spreche er nicht über den Konflikt. „Weil ich weiß, dass das jedem Ukrainer ans Herz geht“, sagt er, drückt seine Zigarette aus und will gehen. Doch dann dreht er sich noch einmal um und sagt: „Das ist nicht meine Meinung, aber ich weiß, dass es Russlanddeutsche gibt, die nicht verstehen, dass die EU diese hitlermäßige Regierung der Ukraine unterstützt“, sagt er und verabschiedet sich dann wirklich.

Auch Swetlana Schmidt denkt so: „Ich dachte, die Zeit der Faschisten ist vorbei“, sagt sie. Denn auch sie hält die neue ukrainische Regierung für rechtsgerichtet und rassistisch. „Wenn die Faschisten bleiben, werden die Menschen aus der Ukraine fliehen oder werden umgebracht“, sagt sie. Deshalb ärgert die Russin sich auch über die anti-russische Berichterstattung der deutschen Medien.

Sie informiert sich deshalb im russischen Fernsehen und hat Kontakt zu ihrer Schwester, die noch in Omsk lebt. Der Ukraine-Konflikt ist ihrer Meinung nach rein politisch und ökonomisch bedingt und werde vom Westen ausgenutzt. „Es geht doch nur um Gas“, sagt sie und tut so, als würde sie verächtlich auf den Boden spucken.

Russland habe sich in den vergangenen Jahrzehnten geändert. „Als wir vor 21 Jahren weg sind, gab es nichts“, sagt Schmidt. Vor Kurzem habe sie noch mal ihre Heimatstadt besucht. „Die Menschen sind zufriedener, die Wirtschaft stabiler“, sagt sie. In den Auslagen der Geschäfte würde es genügend Waren geben und viele hätten Arbeit.

Trotzdem müsse Russland erst mal die eigenen Probleme in den Griff bekommen. Welche, sagt sie nicht. Putin hält sie deshalb nicht für mitschuldig an dem Konflikt. „Um die Schulden der Ukraine zu übernehmen und eine Wirtschaft, die am Boden liegt?“, fragt sie. „Putin braucht keinen Einfluss auf die Ukraine“, sagt sie. „Was ist die Ukraine? – Nichts!“

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