Russlands Krieg in der Ukraine: Ein schriller Weckruf

Nach dem Einschlag in Polen konnte die Eskalation abgewendet werden. Doch die Nato sollte vorbereitet sein, wenn erneut Raketen in ihrem Gebiet landen.

Drei Soldaten in Uniform mit Rucksäcken gehen über eine Feld

In Alarmbereitschaft: polnische Soldaten im Grenzgebiet zur Ukraine Foto: Kacper Pempel/reuters

Russlands Angriffskrieg gegen die Ukrai­ne ist nicht unser Krieg, heißt es immer mal wieder. Von wegen. Genau das ist er, seit dieser Woche mehr denn je. Am Dienstag schlugen in einem polnischen Dorf zwei Raketen ein, die zwei Menschen töteten. Damit ist zum ersten Mal ein Mitgliedsstaat der Nato betroffen – ein Szenario, das nicht nur im Weißen Haus, sondern auch in den Ländern nahe der Grenze zu Russland durchgespielt worden sein dürfte.

Derzeit kann nur spekuliert werden: Wer hat den Knopf gedrückt und mit welcher Intention? Oder handelte es sich nur um einen Irrläufer – mit für die Opfer tragischen Folgen. Zur Aufklärung können, wenn überhaupt, nur Ex­per­t*in­nen beitragen, wobei von Russland kein aktives Mittun zu erwarten ist. Jedoch: In den fast neun Monaten, die dieser Krieg in der Ukraine mittlerweile tobt, haben wir gelernt, dass nichts unmöglich ist.

Doch trotz aller Fragezeichen: Dieser jüngste Vorfall ist ein schriller Weckruf und er muss jetzt Konsequenzen haben. Diese ergeben sich aus der bisherigen Dynamik des Krieges, die mehrfach überraschende Wendungen genommen hat. Tatsache ist: Russlands Strategie, um den Nachbarn militärisch in die Knie zu zwingen, ist – sollte es sie jenseits von Zerstörung und Vernichtung überhaupt gegeben haben – grandios gescheitert.

Die Rückeroberung der Stadt Cherson durch ukrainische Truppen ist nur einer, wenn auch der schlagendste Beweis dafür. Auch Moskaus Drohung mit taktischen Atomwaffen zeigt nicht den gewünschten Erfolg. Jetzt folgt etwas, das wie eine Verzweiflungstat anmutet: Ein massiver, flächendeckender und gezielter Beschuss von für die Energieversorgung relevanten Objekten, verknüpft mit dem Bemühen, zu Verhandlungen zu kommen.

Den Zusammenhang stellte dankenswerterweise Kreml-Sprecher Dmitri Peskow selbst her. Dass die Ukrai­ne­r*in­nen im Dunkeln und Kalten sitzen, sei Schuld ihrer Regierung, die sich Gesprächen verweigere. Klarer geht es nicht. Was folgt daraus? Derzeit kreist die Debatte in Deutschland vor allem um die hohe Inflation und die exorbitanten Energiepreise sowie die Frage, ob die Zahlen Geflüchteter ansteigen. Das greift zu kurz, denn die Einschläge waren möglicherweise nicht die letzten.

Russlands zielt darauf, die westlichen Staaten zu spalten. Deshalb bleibt es wichtig, sich nicht auseinanderdividieren zu lassen und standhaft zu bleiben, auch an der Seite Kyjiws. Und schließlich: Sollte eine russische Rakete gezielt auf Polen abgefeuert worden sein, stellt sich Frage, ob die Nato bereit ist, wirklich jeden Zentimeter ihres Territoriums zu verteidigen. Die Bündnispartner sollten sich ihre Antwort schon mal zurechtlegen.

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Geboren 1964, ist seit 1995 Osteuropa-Redakteurin der taz und seit 2011 eine der beiden Chefs der Auslandsredaktion. Sie hat Slawistik und Politikwissenschaft in Hamburg, Paris und St. Petersburg sowie Medien und interkulturelle Kommunikation in Frankfurt/Oder und Sofia studiert. Sie schreibt hin und wieder für das Journal von amnesty international. Bislang meidet sie Facebook und Twitter und weiß auch warum.

Wir alle wollen angesichts dessen, was mit der Ukraine derzeit geschieht, nicht tatenlos zusehen. Doch wie soll mensch von Deutschland aus helfen? Unsere Ukraine-Soli-Liste bietet Ihnen einige Ansätze fürs eigene Aktivwerden.

▶ Die Liste finden Sie unter taz.de/ukrainesoli

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