SPD-Bürgermeister in Lichtenberg: Der neue Chef im roten Osten

Der SPD-Politiker Andreas Geisel ist seit wenigen Wochen Bürgermeister in Lichtenberg. Ein Bezirk, den die Linkspartei jahrelang mit absoluter Mehrheit regiert hat.

"Buschkowsky ist in puncto Medienpräsenz mein Vorbild." Andreas Geisel. Bild: SPD Berlin

Tage wie Silvester verbringt Andreas Geisel gern im engsten Familienkreis. "Da lege ich eigentlich keinen Wert auf große Menschenansammlungen", sagt der zweifache Familienvater. Aber Geisel ist Bezirksbürgermeister von Lichtenberg, und darum bleibt ihm auch am letzten Tag des Jahres der Rummel nicht erspart. Die Familie Geisel wird am frühen Abend die Vorstellung "Die Reise zum Mittelpunkt der Erde" im Theater in der Parkaue in Lichtenberg besuchen. Geisel gehört dem Freundeskreis des Kinder- und Jugendtheaters an. Möglicherweise wird er an diesem Abend als Ehrengast begrüßt werden. "Das wäre meinen Töchtern ganz sicher unangenehm", sagt Geisel. "Wenn die Mädchen mit ihrem Chor ein Konzert geben und ich extra begrüßt werde, dann möchten sie am liebsten peinlich berührt im Erdboden versinken."

Außerhalb Lichtenbergs kennt kaum jemand den 45-jährigen gelernten Fernmeldetechniker und studierten Ökonomen. Doch in dem Ostbezirk ist Geisel eine kleine Berühmtheit. Der SPD-Mann ist seit 1995 ununterbrochen Stadtrat mit verschiedenen Aufgaben. In den lokalen Anzeigenblättern hat er eine Präsenz wie kaum ein anderer Stadtrat. Immer wieder weihte er als Baustadtrat öffentlichkeitswirksam Stadtteilzentren, Spielplätze und Radwege ein.

Er sucht die Medien

Seit Herbst ist Andreas Geisel Bezirksbürgermeister, der erste mit einem SPD-Parteibuch in der Hochburg der Linken. Und nun will sich der Lichtenberger nicht mit der Präsenz in lokalen Anzeigenblättern begnügen. "Es ist für einen Bezirkspolitiker sehr schwer, in der Berliner Presse wahrgenommen zu werden", räumt er ein. Aber es sei möglich, wie sein Neuköllner SPD-Kollege Heinz Buschkowsky zeige. "Der tingelt mit dem Integrationsthema durch die Talkshows. Er ist in puncto Medienpräsenz mein Vorbild", bekennt Geisel.

Gewählt wurde der gebürtige Ostberliner über eine sogenannte Zählgemeinschaft - eine Art Koalition -, die auf den ersten Blick ungewöhnlich wirkt: SPD, CDU und Grüne hatten ihn als Bürgermeister nominiert und ins Amt gebracht. Das sie zustande gekommen ist, erklärt Geisel mit der Geschichte des Bezirkes, in dem die Linkspartei lange Zeit eine absolute Mehrheit in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) hatte. "So wie die Linke auf Bundesebene ausgegrenzt wird, so hat sie in der BVV die anderen Parteien ausgegrenzt", so Geisel.

Gerade in Haushaltsdebatten hätten sich andere Vorschläge als die der Linkspartei fast nie durchsetzen können. In Aufsichtsräte hätte sie oft nur ihre eigenen Vertreter entsandt. "Diese Erfahrung haben wir gemeinsam gemacht und uns dadurch zusammengefunden", erzählt Geisel. Eine Zählgemeinschaft der Ausgegrenzten also? Das hört der 45-Jährige nicht gern. "Wir sind die Zählgemeinschaft der Zukunft des Bezirkes. Wir wollen vor allem das Image Lichtenbergs verbessern", sagt er.

Das Bezirksimage. Überall, wo Geisel auftritt - ob im SPD-Landesvorstand, dem er angehört, ob in der BVV oder auf seiner eigenen Website -, ist das sein Thema. "Stasi, Nazis, Plattenbau, das sind doch die Klischees, die viele mit Lichtenberg verbinden", sagt er. Andreas Geisel, der an diesem Tag einen soliden grauen Anzug trägt, ein weißes Hemd, klassische Manschettenknöpfe und Krawatte, spricht schnell. "Holen Sie mal einen Investor nach Lichtenberg angesichts dieses Images!"

Der neue Bezirksbürgermeister berichtet von einer Bank mit Sitz in Hessen, die in ein Hotel in Alt-Hohenschönhausen investieren sollte. In ein Gebäude, das einmal schön war. "Bei Alt-Hohenschönhausen denken die an den ehemaligen Stasi-Knast und fragen sich, ob ihr Geld dort gut aufgehoben ist. In Prenzlauer Berg oder Mitte hätten sie sicher problemlos investiert."

Man merkt, dass ihn das Thema gleichzeitig ärgert und anspornt. Geisel erzählt von Wohnquartieren in der Rummelsburger Bucht und in Karlshorst, "wo zuletzt viele Familien zugezogen sind, die sich hier richtig wohl fühlen - auch viele Grünen-Wähler". Das seien keine Szenekieze. Aber es gebe gute Kitas und Schulen. "Familienorientiertes Wohnen" - das sei das Image, das Geisel sich für Lichtenberg wünscht.

Sein zweites Lieblingsthema ist Umwelt. Geisel kann vom Orankesee schwärmen - "ein natürlicher See mit Ostseestrand und gut mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar, wo gibt es das sonst in Berlin?" - von der Wuhlheide und vom Klimaschutzprogramm, das Lichtenberg als erster Bezirk 2010 beschlossen hat. "Wir bekennen uns darin zu Wärmedämmung und regenerativen Energien an öffentlichen Gebäuden. Und wir haben uns qualifiziert, um mit Vattenfall, die in Lichtenberg ein Kraftwerk betreiben, auf Augenhöhe diskutieren zu können."

Auch wenn Geisel die starke Präsenz der Linkspartei in Lichtenberg fürs Image störend findet, er dämonisiert sie nicht. Zu seinen Bezirksamtskollegen von der Linken wird ihm ein kollegiales Verhältnis nachgesagt. 2010 haben sie gemeinsam einen überdimensionierten Einkaufsmarkt an der Landsberger Allee verhindert - gegen den Widerstand der CDU. Bei solchen Themen ist Geisel pragmatisch. Und dass seine Linkspartei-Vorgängerin Christina Emmrich sich mit ihrem Engagement gegen rechts berlinweit einen guten Ruf gemacht hat, hat seinen Respekt. "Dieses Thema ist mir genauso wichtig wir ihr."

Pragmatismus ist wichtig

Vielleicht hängt der Pragmatismus ja auch mit seiner Familiengeschichte zusammen. Geisels Großvater und Vater waren Kommunisten, erzählt er. "Mein Vater ist in einfachen Verhältnissen auf dem Dorf aufgewachsen. In der DDR durfte er studieren und in der Hauptstadt in verantwortlichen Positionen arbeiten." Da wäre es nur natürlich gewesen, dass seine Familie die DDR bejahte. "So bin ich aufgewachsen und erzogen worden."

Mit 18 Jahren trat Andreas Geisel der SED bei. Als im Juni 1989 auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking Panzer gegen friedliche Studenten auffuhren und die DDR-Medien das rechtfertigten, trat er wieder aus. Da war er 22 Jahr alte und Student. "Das war für mich ein wichtiger Schritt zum Erwachsenwerden, zum Abnabeln von meinen Eltern", erinnert er sich. Ein Jahr später hatte er in dem Mitgründer der Sozialdemokratischen Partei der DDR und späteren Berliner Jugendsenator Thomas Krüger einen wichtigen Fürsprecher, als er der SPD beitrat. "Da war ich als Ex-SED-Mitglied nicht gleich akzeptiert - auch wenn ich schon vor der Wende ausgetreten war." Inzwischen ist er für die Berliner SPD einer der wichtigsten Vertreter mit einer Ost-Biografie.

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