SPD-Fraktion in Klausur: Endlich auf Augenhöhe

Bei der Tagung zeigt sich das gewachsene Selbstbewusstsein der Fraktion und ihres Vorsitzenden – vor allem gegenüber dem Regierenden Bürgermeister.

Der Fraktionschef (im Vordergrund) redet, die SPD-SenatorInnen hören zu: Auf der SPD-Klausur in Braunschweig. Bild: dpa

Als die Hände bei der Abstimmung alle oben sind, steht nicht nur Zufriedenheit, sondern auch Stolz im Gesicht von Raed Saleh. Die komplette SPD-Fraktion stützt bei ihrer Klausurtagung in Braunschweig am Wochenende das neue innenpolitische Konzept ihres Vorsitzenden. Genauso zeigt sie bei der Zukunft der Schwimmbäder und anderen Themen Einigkeit. Einer wirkt bei den Abstimmungen fast überrascht, angesichts von so viel Geschlossenheit und selbstständigem Auftritt der Fraktion: Klaus Wowereit, der Regierende Bürgermeister. Er greift zwar mehrfach in die Diskussionen ein, ohne aber den Kurs ändern zu können. Zur Halbzeit der Wahlperiode zeigt sich deutlicher denn je, dass die Zeit vorbei ist, in der in der SPD allein Wowereit die Richtung vorgab.

Es ist ja nicht so, dass tatsächlich jeder und jede in der Fraktion von jedem Punkt der Beschlüsse begeistert wäre. In Sachen Innenpolitik waren noch am Vorabend der Abstimmung im Tagungshotel nicht alle davon überzeugt, das es für den Taser genannten Elektroschocker wirklich keinen breiten Bedarf gibt, wie es im Konzept steht. Am nächsten Morgen aber blieben Gegenreden aus – Saleh hatte den späten Abend noch für intensive Gespräche genutzt.

Mehr Geld für Polizisten

"Verantwortung für Liberalität und Sicherheit in einer Stadt der Vielfalt" überschreibt die SPD-Fraktion ihr neues innenpolitisches Programm bis 2016. Dazu gehören folgende Punkte:

- eine unabhängige Beschwerdestelle außerhalb der Polizei

- mehr parlamentarische Kontrollrechte im Sicherheitsbereich

- Ablehnung von Racial Profiling: gezielten Kontrollen "von Menschen vermeintlich nichtdeutschen Aussehens ohne konkreten Verdacht"

- eine gesetzliche Regelung für den Einsatz von V-Personen

- eine Kombi-Wache, bestehend aus Berliner Polizei, Bundespolizei und Ordnungsamt auf dem Alexanderplatz statt der seit Ende 2012 existierenden "mobilen Wache" dort, einem Einsatzfahrzeug

- Elektroschocker (Taser) ausschließlich für Spezialeinsatzkommandos (SEK)

- positives Fazit der von 24 auf 48 Stunden verlängerten Speicherzeit von Videoaufzeichnungen bei der BVG. (sta)

Zentraler Punkt beim Thema Polizei, neben mehr Respekt im Umgang mit den Beamten, war die Zusicherung, die Gehaltslücke zum Bundesdurchschnitt ab 2016 zu verringern und schließlich zu schließen. Dafür warben als Gäste Polizeipräsident Klaus Kandt und Gewerkschaftschef Michael Purper. In einigen Besoldungsstufen verdienen die hiesigen Polizisten im Jahr mehrere tausend Euro weniger als ihre Kollegen. Ein halbes Prozent mehr Zuwachs als in anderen Bundesländern vereinbart, soll Berlin konkurrenzfähiger machen.

Das aber ist ein Punkt, der Klaus Wowereit ans Mikro bringt und später Finanzsenator Ulrich Nußbaum (parteilos, auf SPD-Ticket) vor Journalisten Kritik äußern lässt. Nußbaum rechnet schnell vor, dass dieses halbe Prozent den Landeshaushalt jährlich 21 Millionen Euro kostet – zum Vergleich: für das lang und breit diskutierte Stadtwerk gibt es bislang nur 5,5 Millionen. Für Nußbaum gefährdet die Besoldungspolitik der Fraktion die Sanierung der Finanzen. Saleh sagte dazu der taz: „Wir sind der Haushaltsgesetzgeber, wir setzen die politischen Prioritäten.“

Die emanzipierte Haltung der Fraktion war nicht zu verwechseln mit einem Am-Stuhl-des-Regierenden-Sägen. Sie wollen ihn schier gar nicht weghaben, ihren vor einem Jahr wegen der BER-Panne noch so blamierten Regierenden. Aber er soll sie, merkliche Botschaft, auf Augenhöhe akzeptieren. Das aber ist nicht unbedingt Wowereits Regierungsprinzip, und auch wenn er sich nicht durchsetzen kann: Klartext redet er immer noch. Beim Thema Polizei mag er das Jammern über absehbar zu wenig Bewerber nicht hören. Und zur Zukunft der Schwimmbäder ist Wowereit wenig überzeugt von dem, was der 2013 neu ins Unternehmen gekommene Chef Ole Bested Hensing vorstellte.

Neue Bäder geplant

Der will auf Eventbäder mit unterhaltendem Charakter setzen, auf Neubauten mit mehreren Becken, die andere Standorte ersetzen. Wowereit hingegen hält nichts davon, mit privaten Anbietern von Spaßangeboten zu konkurrieren. Es kommt der frühere Tempelhofer Stadtrat für Volksbildung hervor, der Wowereit bis 1995 war: Volksgesundheit, Bäder zum Schwimmen lernen und Sich-fit-halten, das ist für ihn staatliche Aufgabe. Eventbäder anzubieten hingegen nicht. „Es wird keiner gesund davon, dass er sich ins Spaßbad setzt und seinen Caipirinha trinkt.“ Als zu seiner Zeit noch die Bezirke und nicht die BBB zuständig waren, „da war die Situation der Bäder zufriedenstellend“. Und Bested Hensings Berechnungen für einen Neubau, die seien „mindestens dreimal zu hinterfragen“.

Doch nicht nur die Fraktion trat in Braunschweig selbstbewusste denn je auf – auch der Bäder-Chef konterte: „Ja, vor 20 Jahren war alles besser: Da waren die Bäder auch erst 20 Jahre alt und nicht 40.“ Und was Wowereits Volksgesundheit angehe: „Da zählt sehr wohl die Entspannung, und das kann auch der Drink am Pool sein.“

Die Fraktion spricht sich für sinnvollen Neubau aus, was nach Angaben von Saleh drei bis vier neue Bäder bedeutet. Zusammen sollen sie rund 100 Millionen Euro kosten, finanziert über vier bis sechs Jahre. Die viel kritisierte Preiserhöhung vom 1. Januar begrüßt die Fraktion zwar, aber erst mal auf Probe. „Da sind wir uns einig, dass wir uns das ein halbes Jahr lang mal anschauen“, sagte die Vorsitzendes des Sportausschusses im Parlament, Karin Halsch.

Ein besseres Stadtwerk

Bei aller Souveränität der Fraktion: Wowereit – der bei der Abgeordnetenhauswahl 2011 sein Parlamentsmandat verlor – schafft es noch immer zu überraschen. Als es am zweiten Tag darum geht, wie die Wasserbetriebe im Auftrag des Landes das im Oktober beschlossene Stadtwerk aufbauen, hat er eigene Vorstellungen. Ausgerechnet Wowereit, der nicht als großer Befürworter des Projekts galt, fordert mehr Möglichkeiten für das Stadtwerk und stellt damit die Absprache mit der CDU infrage. Die hatte nur unter der Bedingung zugestimmt, dass das landeseigene Stadtwerk lediglich selbst produzierten Ökostrom verkauft. „Um eine Entscheidung, ob wir zukaufen dürfen, kommt man nicht herum“, so Wowereit.

Saleh bekam das nach eigenen Worten nicht mit und war davon überrascht – er war vor der Tür in Gesprächen.

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