SPD-Politiker über Vorratsdatenspeicherung: „Das Urteil ist eine Zäsur“

Der SPD-Netzexperte Lars Klingbeil sieht durch das Urteil die Gesetzesgrundlage für die Vorratsdatenspeicherung entzogen.

Das Urteil ist ein Erfolg für die Gegner der Überwachung Bild: dpa

taz: Herr Klingbeil, der Europäische Gerichtshof hat die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung gekippt. Gut so?

Lars Klingbeil: Es ist ein guter Tag für die Grund- und Bürgerrechte in der EU. Ich freue mich für die Bürger. Und ich glaube, dass sich die Debatte um die Vorratsdatenspeicherung nun grundlegend verändern wird.

Justizminister Heike Maas sagt, ein schneller Gesetzentwurf in Deutschland sei damit vom Tisch, Innenminister de Maizière drängt auf eine rasche Einigung. Wird die Vorratsdatenspeicherung jetzt in der Koalition zum Dauerstreitthema?

Nein, aber man muss sich jetzt schon Zeit nehmen für die politische Debatte. Wir hatten eine klare Vereinbarung im Koalitionsvertrag, dass wir die EU-Richtlinie umsetzen. Mit dem Urteil vom EuGH ist die Geschäftsgrundlage weg. Damit ist die Vereinbarung obsolet. Ich erwarte also jetzt, dass alles ergebnisoffen diskutiert wird.

Auch Bundesjustizminister Heike Maas (SPD) sieht keinen Grund mehr, schnell eine deutschen Gesetzentwurf vorzulegen. Mit dem Urteil sei eine neue Situation eingetreten, sagte er am Dienstag. „Die Grundlage für die Vereinbarung im Koalitionsvertrag ist entfallen. Deutschland ist nicht mehr zu einer Umsetzung der Richtlinie verpflichtet.“ (dpa/taz)

Wäre es den Bürger vermittelbar, wenn Deutschland jetzt die Speicherung einführt?

Kaum. Das Urteil ist so grundsätzlich, dass ich dringend davon abrate, ein nationales Gesetz auf den Weg zu bringen, bevor es in Europa - wenn überhaupt - eine neue Richtlinie geben wird.

Jahrgang 1978, ist netzpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag.

Wird Deutschland auf eine neue EU-Richtlinie drängen?

Das wird jetzt in der Regierung zu klären sein. Die Debatte steht wieder am Anfang. Viele haben nicht damit gerechnet, dass das Urteil so weitreichend ist. Wir haben zudem eine neue Sensibilität in der Debatte um Datensammlung und Datenschutz. Ich sehe jedenfalls keine Notwendigkeit für eine neue EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung.

Es kommt jetzt wohl auf die SPD an, sie muss Farbe bekennen. Will sie die Vorratsdatenspeicherung politisch? Wie wird sie sich positionieren?

Wir werden intern Gespräche führen. Ich versuche inhaltlich zu überzeugen, dass die Vorratsdatenspeicherung unverhältnismäßig ist. Meine Kritik wurde bestätigt, meine Argumentation gestärkt. Natürlich ist das in der SPD umstritten, beim letzten Parteitag stimmten 60 Prozent für eine veränderte Vorratsdatenspeicherung. Seitdem gab es viele Diskussionen. Ich weiß nicht, wie das heute aussehe.

Ist das eine Chance für die Sozialdemokraten, sich als Bürgerrechtspartei zu etablieren und profilieren?

Ich finde, dass es in der Partei schon immer einen starken Bürgerrechtsflügel gab. Auch der neue Justizminister Maas hat das Thema ja stark besetzt, das sieht man nicht zuletzt an seiner Äußerung heute.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.