SPD vor der bayerischen Landtagswahl: „Die Partei ist kampfeslustig“

SPD-Spitzenkandidatin Natascha Kohnen will in Bayern eine historische Politikwende einleiten. Laut Umfragen ist das unwahrscheinlich.

SPD-Spitzenkandidatin Natascha Kohnen im Portrait

SPD-Spitzenkandidatin Natascha Kohnen gibt sich vor der Landtagwahl in Bayern kämpferisch Foto: dpa

taz: Frau Kohnen, Ihr Generalsekretär Uli Grötsch sagte neulich, der Wahlkampf laufe für die SPD „richtig gut“. Ist das schon Realitätsverweigerung?

Natascha Kohnen: Ganz und gar nicht. Was er sagen wollte, ist: Die Partei ist unglaublich diszipliniert und kampfeslustig. Und ich sag Ihnen: Alle bei uns laufen.

Laut Umfragen haben Sie fast die Hälfte der Stimmen aus der letzten Landtagswahl eingebüßt.

60 Prozent der Leute sind noch immer völlig unentschlossen. Diese Landtagswahl ist so offen wie keine zuvor. Sicher: Die SPD ist in einer schwierigen Phase – und das schon seit Jahren. Da gab es Maßnahmen, die schwierig und zum Teil auch falsch waren. Denken Sie an Hartz IV. Damit haben wir Vertrauen verloren, das wir jetzt wieder aufbauen müssen. Der Wahlkampf in Bayern fällt genau in die Zeit des Erneuerungsprozesses auf Bundesebene.

Bereuen Sie inzwischen, dass Sie sich in Berlin nach ursprünglicher Skepsis für die Große Koalition stark gemacht haben?

Sagen wir’s mal so: Diesen Zirkus, den Seehofer Anfang Juli gemacht hat, den würde ich kein zweites Mal mitmachen. Reicht das als Antwort?

Die Frau: Die Münchnerin Natascha Kohnen ist Chefin der Bayern-SPD und Spitzenkandidatin für die Landtagswahl am 14. Oktober. Außerdem ist die 50-Jäh­rige stellvertretende Bundes­vorsitzende.

Die Wahl: Umfragen prognostizieren der SPD, die 2013 mit 20,6 Prozent der Stimmen in den Landtag eingezogen ist, eine nie dagewesene Niederlage: Laut letztem Bayern-Trend landet die Partei bei gerade mal 11 Prozent.

Die Aussichten: Wahrscheinlich müssen sich die Sozialdemokraten erstmals mit Platz drei oder vier hinter den Grünen und vielleicht der AfD begnügen. Rechnerisch würde das nicht einmal für eine Koalition mit der CSU reichen; die würde demnach ebenfalls auf ein Allzeittief von 35 Prozent fallen (2013: 47,7).

Kann man in Bayern Wahlkampf machen, ohne über die Landesgrenze hinauszuschauen – nicht nur nach Berlin, sondern auch nach Chemnitz und Köthen?

Nein. Da ist etwas im Gange, was die Gesellschaft ins Rutschen bringt – in ganz Deutschland. Und die AfD hat sich nun als das gezeigt, was sie ist: Vor der ganzen Welt haben die sich mit den Nazis vereint. Deswegen muss die Partei vom Verfassungsschutz beobachtet werden.

Geht das mit dessen aktuellem Chef?

Nein. Hans-Georg Maaßen muss gehen. Nach seinem Umgang mit den Ereignissen in Chemnitz und seiner Kungelei mit der AfD muss Seehofer ihn entlassen. Wenn der seiner Verantwortung als Innenminister wieder nicht gerecht wird, muss die Kanzlerin das jetzt lösen.

Die CSU befindet sich den Umfragen zufolge ebenfalls in einem Allzeittief. Doch die SPD profitiert nicht davon. Wie wollen Sie den Trend in Bayern umkehren?

Indem wir uns ganz klar auf drei Themen konzentrieren: Wohnen, Familie, Arbeit.

Diese Themen hat sich auch Ministerpräsident Markus Söder auf die Fahne geschrieben.

Davon habe ich aber nichts gemerkt.

Es gibt jetzt eine eigene Bauministerin, eine Wohnungsbaugesellschaft, das Baukindergeld, das Familiengeld …

Das ist nur Show. Damit kann er uns nicht den Wind aus den Segeln nehmen. Wir werden dem Wähler zeigen, wo die Unterschiede liegen. Nehmen Sie die Kinderbetreuung: Söder will keine Gebührenfreiheit; ich schon. Das ist ein deutlicher Unterschied, und den plakatier ich auch. Aber das eigentliche Thema der CSU ist doch ein anderes. Gehen Sie mal raus und fragen die Leute, wofür die CSU steht. Söder hat monatelang nur über Flüchtlingspolitik geredet. Es ging ihm nur darum, Angst zu schüren. Wer hat denn den Begriff Asyltourismus geprägt? Das war dieser Ministerpräsident.

Noch mal: Söder hat der Schwenk nach rechts nicht genutzt. Aber die SPD kann beim Wähler trotzdem nicht landen – anders als etwa die Grünen.

Weil die SPD in Berlin schließlich immer der Stabilitätsanker sein muss, damit Deutschland für die europäischen Partner noch eine zurechnungsfähige Regierung hat. Das macht die Sache für uns in Bayern natürlich nicht einfach. Die Grünen sind davon völlig befreit. Die sind hier wie dort in der Opposition und können machen, was sie wollen.

Werden Sie Ihre Wahlkampftaktik also für die letzten Wochen neu ausrichten?

Was gäbe es für einen Grund dafür? Hat sich denn etwas an den Herausforderungen für den einzelnen geändert? Beim Wohnen? Bei der Kinderbetreuung? Wir müssen endlich über die Themen reden, die auch wieder Vertrauen schaffen in die Politik, die den Menschen in ihrem Alltag begegnen.

Gut, lassen Sie uns über Soziales reden.

Die größte soziale Frage der nächsten Jahre und Jahrzehnte ist für mich: bezahlbares Wohnen. Damit kann man die Städte und Dörfer nicht allein lassen, da ist das Land in der Verantwortung.

Was fordern Sie konkret?

Söder will in den nächsten sieben Jahren 10.000 Wohnungen bauen. Das sind pro Kommune 0,6 Wohnungen im Jahr – ein Witz! Das zeigt, er hat das Problem gar nicht verstanden. Wir wollen 5.000 Sozialwohnung pro Jahr. Außerdem brauchen wir eine Bestandsaufnahme der zur Verfügung stehenden Flächen. Der Freistaat hat keine Ahnung, welche Grundstücke er besitzt. Das ist grotesk. Und schließlich bebauen wir die Flächen oder geben sie den Kommunen zu günstigen Preisen und fördern sie beim Wohnungsbau. Auch privaten Investoren kann man vorschreiben, dass sie bezahlbaren Wohnraum schaffen müssen. Das sind alles Mosaiksteine, die man zügig zusammensetzen kann.

Ist das in einer Stadt wie München nicht nur ein Tropfen auf den heißen Stein?

Ballungsräume wie München brauchen weitere Hilfen. Dabei müssen wir aber das ganze Land in den Blick nehmen. Wenn es in den ländlichen Regionen endlich schnelles Internet gibt, wenn dort die Schulen garantiert offen bleiben, dann kommen die Unternehmen und dann bleiben die Familien. Dann noch den öffentlichen Nahverkehr ausbauen, ein kostenfreies Bildungsticket für junge Leute, flächendeckende Gesundheitsversorgung – und schon reduziert man den Druck, der die Unternehmen in die Städte ziehen lässt. Viele Start-ups zum Beispiel würden gern in die ländlichen Regionen gehen. Dafür brauchen sie aber die Infrastruktur.

Ihr zweites großes Thema ist die Familienpolitik. Söder beginnt gerade damit, Familiengeld an junge Familien auszuzahlen.

Und für wen? Für die Familien mit ein- und zweijährigen Kindern. Was kommt danach? Wenn die Kinder in den Kindergarten kommen, müssen die Eltern wieder zahlen. Das ist doch lächerlich. Wir brauchen eine Offensive, die sowohl die Qualität als auch die Gebühren bei der Kinderbetreuung in den Blick nimmt. Wir müssen die Gehälter von Erzieherinnen und Erziehern anheben. Wir brauchen einen besseren Betreuungsschlüssel, längere Öffnungszeiten und komplette Kostenfreiheit für Krippen und Kindergärten. Es geht hier um Zugang zu Bildung. Niemand käme auf die Idee, Gebühren für Schulen zu verlangen.

Punkt drei: Arbeit.

Da gibt es eine Menge zu tun. Ich greife mal zwei ganz unterschiedliche Punkte heraus: Wir brauchen ein Weiterbildungsgesetz. Bayern ist neben Sachsen das einzige Land in Deutschland, das den Arbeitern kein Recht auf Weiterbildung gibt. Wir müssen den Menschen doch die Sicherheit geben, sich für die kommenden Herausforderungen der Digitalisierung fitzumachen. Außerdem brauchen wir in Bayern eine eigene Batteriezellenproduktion für die Autoindustrie. Die Elektromobilität wird kommen. Und wenn wir nicht unsere eigenen Produktionsstätten aufbauen, dann bekommen wir bald aus China die kompletten Bausätze und schrauben nur noch die Reifen dran.

Das sind alles große Projekte. Woher nehmen Sie das Geld dafür?

Wir haben jeden Schritt durchgerechnet. Schauen Sie doch mal, was Herr Söder alles verspricht. Ich finde, wir brauchen bezahlbaren Wohnraum, aber kein bayerisches Raumfahrtprogramm. Und solange Familien keine Kitaplätze haben, brauch ich keine Flugtaxis.

Was muss passieren, damit Sie in zwei Monaten als stellvertretende Ministerpräsidentin in einem Kabinett Söder sitzen?

Auf die Frage habe ich gewartet. Sie werden von mir keine Aussage zu irgendwelchen Farbenspielchen bekommen. Sonst haben wir die nächsten Wochen eine reine Personality-Show.

Aber vielleicht wüssten die Wähler gern, ob eine Stimme für Kohnen eventuell auch eine Stimme für einen CSU-Ministerpräsidenten ist.

Man wählt doch die Partei, die für die Herausforderung des täglichen Lebens die besten Lösungsvorschläge hat. Ich hoffe, dass es bei der Wahlentscheidung nur darum geht.

Gut, dann frage ich anders: Sind Sie bereit, Ihre Lösungsvorschläge auch in einer Regierung umzusetzen?

Davon können Sie ausgehen! Aber Sie setzen mir ja schon irgendwelche Koalitionen vor die Nase.

Weil eine Regierung ohne CSU-Beteiligung sehr unwahrscheinlich ist.

Unsinn. Wissen Sie, wie der Wähler am 14. Oktober entscheidet? Ich bin Naturwissenschaftlerin und halte wenig davon, hier eine Glaskugel hinzustellen und zu sagen: Ich seh da was.

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