Salah aus Syrien, wohnhaft in Köln: Sie nennen ihn Superflüchtling

Der Syrer Salah und seine Freunde wohnen seit über einem Jahr in Köln. Wie lebt es sich dort als Geflohener – nach den Ereignissen der Silvesternacht?

Der syrische Flüchtling Salah steht auf der Kölner Domplatte

Der geflüchtete Syrer Salah in Köln. Foto: Jörn Neumann

KÖLN taz | „Silvester war ich hier zu Hause. Wir haben Raclette gemacht.“ Salah steht in seiner WG-Küche, deutet auf den Stuhl, auf dem er saß in der Nacht. Davon, was zwei Kilometer entfernt vor dem Kölner Hauptbahnhof geschehen ist, hat er erst zwei Tage später erfahren. „Ich war geschockt“, sagt er. „Schrecklich ist das. So etwas darf man Frauen nicht antun.“

Obwohl der 30-Jährige nicht vor Ort war, obwohl er ebenso schockiert war wie die meisten, ist er von den massenhaften sexuellen Übergriffen direkt betroffen. Als syrischer Flüchtling in Köln merkt er, dass sich etwas verändert hat. Er spürt die Blicke. Die Unsicherheit und Distanz. Und er weiß, dass Rechtspopulisten seitdem noch mehr Zulauf haben.

„Aber ich habe keine Angst“, sagt er. Andere Flüchtlinge schon.

Über ein Jahr wohnte Salah in Köln-Kalk im Arena Hotel, das zu einer Unterkunft für Flüchtlinge umfunktioniert wurde. Zu zweit auf zehn Quadratmetern. Zwei Betten, ein Tisch, ein Schrank, keine Privatsphäre. „Aber besser als eine Turnhalle“, sagt Salah. Seit er im November in die WG in der Kölner Südstadt gezogen ist, besucht Salah seine Mitbewohner von damals regelmäßig.

Der Weg zum Hotel führt durch die Kalk-Mühlheimer-Straße. Wettbüros, Kulturcafés, Bars. Für die Kölner Polizei ein Rückzugsort für kleinkriminelle Ausländer, für Salah viele Monate seine unmittelbare Umgebung. „Sonst standen hier immer ganz viele Nordafrikaner rum, jetzt sind sie weg“, sagt er. Tatsächlich ist die Straße beinahe verwaist. Vor wenigen Tagen führte die Polizei hier eine Großrazzia durch. Man suchte nach möglichen Tätern der Kölner Silvesternacht – vergeblich. Ein paar Drogen, ein paar gestohlene Handys, ein paar Menschen ohne Aufenthaltserlaubnis.

Immer öfter Misstrauen

Zimmer 103. Die Einrichtung hat 1-Sterne-Charme. Billige Sperrholzmöbel, ein leicht versiffter Teppich, nicht mehr ganz so weiße Gardinen. Hier lebte Salah gemeinsam mit Aziz. „Er ist wie mein kleiner Bruder“, sagt Salah.

Der 23-jährige Aziz hat gerade gekocht. Hühnchen, Tomaten und Kartoffelecken liegen auf dem Backblech, daneben auf dem Tisch eine Schüssel Salat, eine Flasche Weißwein. Sein neuer Mitbewohner Yadgar sitzt im Schneidersitz auf dem Bett. Weißes Hemd, dunkle Haare, freundliches Lächeln.

Deutschland soll jetzt Salahs Heimat werden. Silvester war da nicht hilfreich.

„Im Hotel reden alle über Silvester, alle wissen, was passiert ist, und die meisten haben Angst“, sagt er. Yadgar ist 20, stammt aus Syrien und ist seit gut einem Jahr in Deutschland. Die ersten Monaten sei man ihm sehr freundlich begegnet, seit Silvester spürt er häufiger Misstrauen. „Die Leute gucken mich anders an, die Frauen setzen sich weg, wenn ich mich in der Bahn neben sie setze. Dabei ist das doch jetzt meine Heimat.“ Yadgar klingt trotzig. Er will hierbleiben, geht zum Sprachkurs und hofft, dass er bald eine Ausbildung machen kann.

Aziz dagegen wirkt resigniert. Trainingsjacke, Jogginghose, unsicherer Blick. „Vielleicht waren es auch Syrer an Silvester. Aber schlechte Leute gibt es überall.“ Er spielt viel Fußball, hat 24 Geschwister, die meisten leben noch in Syrien. Obwohl er seit eineinhalb Jahren in Köln lebt, spricht er kaum Deutsch. Salah übersetzt. „Ich gehe seit Silvester viel seltener raus“, sagt Aziz. Er würde häufiger von der Polizei kontrolliert. Er hat Angst.

„Du hast das nicht gemacht, du musst keine Angst haben“, erwidert Yadgar.

Was wünscht er sich? „Dass ich mich hier integrieren kann, bisher habe ich noch sehr wenig Kontakt zu Deutschen.“ Mehr als 30 Mal hat sich Yadgar auf WG-Zimmer beworben, nicht ein einziges Mal wurde er eingeladen. „Das wird jetzt bestimmt nicht einfacher.“

Integration erfordert harte Arbeit

Und was wünscht sich Aziz? „Dass der Krieg in Syrien aufhört und ich in meine Heimat zurückkann.“ Auch ein Grund, weshalb er die Deutschkurse, die ihm Salah vermittelt hatte, nicht durchgezogen hat.

Man könnte Aziz deshalb mangelnden Integrationswillen vorwerfen. Aber Integration erfordert harte Arbeit. Manche Flüchtlinge haben dazu schlicht keine Energie – auch weil sie hoffen, nur kurz in Deutschland bleiben zu müssen.

Im Gegensatz zu seinem „kleinen Bruder“ will Salah hierbleiben. Er kommt aus der Nähe von Aleppo. Schon vor fünf Jahren flüchtete er in den Libanon, vor eineinhalb Jahren kam er nach Köln. Er spricht mittlerweile gut Deutsch, spielt im Schachclub Deutz, hat gerade einen Minijob bei dem Sozialträger ijgd in Bonn begonnen und zudem gute Aussichten auf eine Ausbildung bei Bayer. Gelungene Integration, die viel mit Willen, aber auch mit Glück zu tun hat. Deutschland soll jetzt Salahs Heimat werden.

Silvester war da nicht hilfreich. Salah erzählt von einer Demo vor zwei Wochen. „Syrer gegen Sexismus“. Rund 300 syrische Flüchtlinge versammelten sich auf dem Kölner Bahnhofsvorplatz, um zu zeigen, dass sie sich gegen sexistische Übergriffe auf Frauen stellen. „Ich wollte eigentlich gar nicht hingehen“, sagt er, „denn ich habe nichts gemacht.“

Aber er habe Druck gespürt. Druck, dass er als Syrer sich entschuldigen muss für das, was Silvester geschehen ist. „Es war weltweit in den Medien, diese schrecklichen Taten, deshalb war ich dann doch auf der Demo.“ Das Fernsehen war da, die demonstrierenden Flüchtlinge verteilten Blumen an Passantinnen, als Symbol der Wertschätzung.

Jetzt lieber drinnenbleiben

Im Zimmer 052 sitzen Hussein, Ahmed und Mohammed auf ihren Betten, vor ihnen auf dem Tisch drei Teegläser, Zigaretten, ein Aschenbecher. Sie alle kamen in den vergangenen eineinhalb Jahren aus Syrien nach Deutschland. „Silvester, das war ein Schlag für alle Flüchtlinge“, sagt Ahmed. Kein gutes Jahr sei das bisher. Wenn er in der Stadt am Handy arabisch spricht, schaue man ihn anders als an vor Silvester.

„Früher, da haben wir uns am Rhein getroffen, Shisha geraucht, ein bisschen gefeiert“, sagt Hussein. Jetzt traut er sich das nicht mehr. Meistens sitzen sie gemeinsam hier im Hotel, auf ihren Zimmern, so wie jetzt. Einziger Höhepunkt des Tages ist der Sprachkurs in der Schule. Dort haben sie vergangene Woche eine Unterschriftenliste gemacht, um sich bei den Frauen zu entschuldigen. 250 Männer haben unterschrieben. „Schon komisch, wir entschuldigen uns, dabei haben wir nichts damit zu tun.“ Es scheint, als schämten sie sich trotzdem.

Mohammed erzählt, dass die AfD viel mehr Zustimmung hat seit Silvester und dass Rechte letztens wieder Flüchtlinge verfolgt und geschlagen haben. „Darüber haben die Medien nicht so viel berichtet wie über Silvester.“

Auch Salah ist wütend. Darüber, dass Männer mit Migrationshintergrund in der Silvesternacht Frauen angegriffen haben. Er kennt diese Art von Sexismus noch aus Syrien. „Viele kurdische Frauen haben sich nicht verschleiert und wurden deshalb oft als Prostituierte beschimpft“, sagt er. Manche Männer aus muslimisch geprägten Ländern hätten diese Einstellung mit nach Deutschland gebracht. „Dabei sollten sie wissen, dass Frauen, nur weil sie etwas mehr Haut zeigen, nicht Freiwild sind.“

Wütend auf Deutschland

Und ein bisschen wütend ist er auch auf Deutschland. Auf die mediale Debatte, die nach Silvester so pauschalisierend geführt wurde. Zurück in der WG. Salah hat Post vom Jobcenter. Mehrmals die Woche kommen Briefe vom Amt. Dieses Mal wollen sie Geld zurück. 200 Euro. Er gibt den Brief seiner Mitbewohnerin Claudia, sie versucht ihm zu erklären, worum es geht.

Die deutsche Bürokratie ist häufig noch ein undurchschaubares Dickicht für ihn. „Für Flüchtlinge, die neu ankommen, ist vieles unverständlich“, sagt er. Mit ein paar anderen Flüchtlingen und Helfern will er deshalb einen Stammtisch aufbauen für Neuankömmlinge. „Wir können hier Deutsch lernen, man hilft uns viel, aber ganz alltägliche Dinge werden nur selten erklärt“, sagt er. Fahrkarten kaufen, Verkehrsregeln, Mülltrennung – und ja, auch den Umgang mit Frauen.

Beim Abendessen fragt er nach der AfD. Er interessiert sich für die Geschichte Deutschlands, die Teilung. Und bringt seinen Mitbewohnern nebenbei ein paar arabische und kurdische Wörter bei. Sie kochen gemeinsam, gucken „Tatort“, waren auf Weihnachtsmärkten, in Clubs tanzen, feierten eine WG-Party. Die meisten Gäste hatte Salah eingeladen. „Manchmal nennen wir ihn Superflüchtling“, sagt Mitbewohnerin Claudia.

Salah muss weg. „Save me“, eine Kampagne zur Unterstützung von Flüchtlingen, half ihm, als er in Köln ankam. Jetzt braucht man seine Hilfe. Er soll eine Studentin und einen Flüchtling, die „Buddys“ werden sollen, bei ihrem ersten Treffen begleiten. Dabei müsste er eigentlich lernen, morgen hat er Prüfung, Deutschkurs, B1. Und das mit den Nebensätzen klappt noch nicht so gut.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.