Sanierungspläne bei Karstadt: Keine Angst vor Leerstand

Der angeschlagene Warenhauskonzern könnte künftig mehrere Standorte schließen. Eine Verödung der Innenstädte droht aber nicht.

Auch im Karstadt-Stammhaus in Wismar ist noch nicht klar, wie es weitergeht. Bild: dpa

BERLIN taz | Freitagmorgen am Ende der Sommerferien im Poco-Einrichtungsmarkt am Halleschen Tor in Berlin-Kreuzberg: Ein türkisch sprechendes Paar begutachtet einen riesigen preisgesenkten Gasgrill, ein deutsches Rentnerpaar vergleicht Produktionsnummern und Preise von Duscharmaturen, und eine junge Studentin schleppt einen 10-Liter-Eimer mit weißer Wandfarbe in Richtung Kasse – ruhiger Einkaufsalltag.

Ungewöhnlich ist höchstens der Standort des Marktes, der an 1-Euro-Läden erinnert: Er befindet sich in einem ehemaligen Hertie-Kaufhaus, das kurz nach der Wiedervereinigung noch stark frequentiert war. Aber damals waren die Ostdeutschen im nachholenden Kaufrausch, und es gab noch keine Einkauftszentren mit verschiedenen Läden unter einem Dach und keine Internethändler. Das Beispiel von Hertie am Halleschen Tor zeigt, was mit Karstadt-Häusern geschehen könnte, die geschlossen werden. Es wird irgendwie weitergehen, aber nicht immer wird eine Nachfolgelösung höherwertig sein.

In Kreuzberg lässt sich die merkantile Abwertung ahnen, die mit der Hertie-Schließung im Jahr 1999 begann. Von außen wirkt der heutige Markt in die Jahre gekommen, trotz greller Farben an den Fassaden. Und dort, wo früher gut besuchte Imbisswagen standen, gibt es nur noch schäbige Beete, deren Betoneinfassungen mit Tauben- und Hundekot beschmutzt sind. Obwohl in fußläufiger Entfernung das angesagte Wohnviertel Kreuzberg 61 oder Touristenmagneten wie das Jüdische Museum und der Checkpoint Charlie liegen. Aber die unmittelbare Umgebung des ehemaligen Hertie ist für die Mittelschicht nur wenig attraktiv, wird sie doch von Wohnhochhäusern aus den 1960er und 1970er Jahren geprägt.

Das illustriert: Wird ein Warenhausstandort geschlossen, müssen individuelle Lösungen gefunden werden. Und wenn es, wie am U-Bahnhof Hallesches Tor, an zahlungskräftigen Anwohnern oder einkaufswütigen Nahverkehrsumsteigern fehlt, muss sich eine Stadt mit poco – Italienisch für „wenig“ – zufriedengeben.

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In dieser Woche nun hat das Bundeskartellamt grünes Licht für die Übernahme des angeschlagenen Karstadt-Konzerns durch den österreichischen Immobilienunternehmer René Benko gegeben. Zuletzt war eine Aufsichtsratssitzung zu den Sanierungsplänen, die harte Einschnitte bedeuten dürften, mit der Begründung verschoben worden, die Zustimmung der Wettbewerbshüter stehe noch aus. Diese Einschränkung gilt nun nicht mehr.

Die Angst vor dem Leerstand

Benko müsse jetzt rasch Klarheit über seine Pläne mit Karstadt schaffen, forderte prompt die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di, die unter anderem die Verkäufer und Verkäuferinnen von Karstadt vertritt. Bundesweit bangen rund 17.000 Beschäftigte um ihre Arbeitsstellen.

Karstadt-Aufsichtsratschef Stephan Fanderl hatte zuletzt „schmerzhafte Einschnitte“ angekündigt und die Überlebensfähigkeit von mehr als 20 Häusern infrage gestellt. Der Wormser Handelsforscher Jörg Funder hatte im taz-Interview davon gesprochen, dass es in Deutschland ein Potenzial von 60 bis 70 zentral betriebenen Warenhäusern gebe. Derzeit existierten noch mehr als 80 bei Karstadt und über 100 bei Kaufhof.

Was aber passiert mit den Immobilien, wenn ein Karstadt-Haus geschlossen wird? Droht die Verödung der Innenstädte? Schließlich stehen seit Jahren einige Hertie-Häuser leer; und andere – etwa die Filiale im nordrhein-westfälischen Bocholt, wo die Stadtsparkasse ihr neues Hauptquartier plant – konnten nur durch handelsfremde Nachnutzungen vor dem Leerstand bewahrt werden, etwa durch den Bau von Wohnungen.

Für die Karstadt-Immobilien gibt Joachim Stumpf, Geschäftsführer der BBE Handelsberatung, jedoch Entwarnung. „Die Karstadt-Immobilien sind deutlich bessere Handelsstandorte, als es die Hertie-Häuser waren“, sagt Stumpf. In den allermeisten Fällen könne es eine Nachnutzung als städtisches Handelszentrum geben.

Falls nicht, kommt – wie bei Hertie – immer noch eine Nutzung als Wohn- oder Büroimmobilienstandort infrage. „Das A und O ist es, Leerstand zu vermeiden“, heißt es beim Deutschen Städtetag.

Zum Beispiel Hamburg-Altona

Vor der Schließung stehende Warenhäuser könnten Investoren auch eine gute Chance bieten, große Immobilien in Innenstädten zu erwerben oder zu nutzen, sagt Stumpf. Selbst in schrumpfenden Kommunen wachse die Bedeutung der Innenstädte; viele Menschen zögen zurück. Dann komme auch der Lebensmittelhandel zurück, und an ehemaligen Warenhausstandorten könnten Nahversorgungszentren entstehen: mit Supermarkt, Drogerie, Elektrogeschäft.

Problematisch kann in diesem Fall laut Stumpf allenfalls die Logistik werden, wenn größere und in kürzeren Abständen kommende Lkws durch enge Straßen oder Geschäftszufahrten drängen. „Da muss man in den Kommunen individuelle Lösungen finden.“ Auch sei nicht immer vermeidbar, dass in neu entstandenen Nahversorgungszentren die Angebotsvielfalt im Vergleich zum Warenhaus sinke. „Um Leerstand mache ich mir aber keine Sorgen.“ Um den zu vermeiden, sei es aber manchmal nötig, handelsfremde Nutzer in oberen Etagen ehemaliger Warenhäuser zu etablieren, zum Beispiel Fitnessstudios oder öffentliche Einrichtungen.

Noch bessere Chancen für eine Handelsnutzung ehemaliger Warenhausimmobilien sieht Stumpf in den Großstädten. So hat Ikea in Hamburg-Altona eine ehemalige Karstadt-Immobilie für ein neues Möbelhaus abgerissen, was aber nicht allen Nachbarn gefiel. In anderen Fällen wollten Elektronikmärkte oder Textilketten zum Zuge kommen, und auch ein Um- oder Neubau von Shoppingcentern komme in Betracht. Ein Vorteil sei schließlich, dass die frei werdenden Flächen recht groß seien. Stumpf: „Händler und Städte müssen nur Lösungen finden, die dem heutigen Zeitgeist entsprechen.“

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