Sanktionen gegen Russland: Was wie ein Doppelwumms scheint …
… ist kein perfekter Schulterschluss gegen Russland. Trotz neuer Sanktionen von USA und EU besteht Uneinigkeit über den Umgang mit dem Kriegstreiber
Es sah aus wie ein gut abgesprochener Plan: Pünktlich zum EU-Gipfel, der am Donnerstag in Brüssel tagte, haben die EU und die USA neue Wirtschaftssanktionen gegen Russland verhängt. Zudem erklärten sich die Staats- und Regierungschefs der EU grundsätzlich bereit, der Ukraine einen neuen bis zu 140 Milliarden Euro schweren Kredit zu gewähren, um das Land vor der drohenden Pleite zu retten.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj, wie immer Ehrengast im Brüsseler Ratsgebäude, jubelte. „Sehr wichtig“ seien die Sanktionen, mit denen die USA und die EU vor allem Russlands Ölindustrie treffen wollen: „Dies ist eine starke und notwendige Botschaft, die zeigt, dass Angriffe nicht unbeantwortet bleiben.“ Zudem mahnte Selenskyj eine schnelle Einigung über die neue Finanzhilfe an.
Doch der Teufel liegt wie immer im Detail. Dass US-Präsident Donald Trump nun den Europäern folgt und Sanktionen verhängt, war eine Überraschung. Trumps Sinneswandel kam erst in letzter Minute. Auch in der EU gab es bis zuletzt Widerstand aus Österreich und der Slowakei. Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) musste Druck machen, damit der Sanktions-Doppelwumms gelang.
Doch kaum, dass die neuen Strafen verkündet waren, kam der Gegenschlag aus Moskau: „Wir halten diesen Schritt für völlig kontraproduktiv“, sagte die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa. Russlands Ziele in der Ukraine seien unverändert, betonte sie. Damit rückt das erklärte Ziel der Sanktionen – eine Rückkehr an den Verhandlungstisch – in weite Ferne.
Auch beim geplanten Milliarden-Kredit für die Ukraine gibt es Probleme. Das sogenannte „Reparationsdarlehen“ soll nämlich auf ungewöhnliche Art und Weise finanziert werden: Durch Zugriff auf russisches Zentralbankvermögen, das beim belgischen Finanzdienstleister Euroclear liegt und per Sanktionsbeschluss „eingefroren“ wurde. Dieser Zugriff birgt große juristische und finanzielle Risiken – und Belgien, ohne das nichts geht, zögert.
„Für uns geht es hier um existenzielle Fragen“, sagte der belgische Premierminister Bart De Wever in Brüssel. Er nannte gleich drei Bedingungen, von denen er seine Zustimmung abhängig macht.
De Wever fordert eine Vergemeinschaftung des Risikos von Klagen – alle 27 EU-Staaten sollen Belgien zur Seite stehen, wenn es zu Rechtsstreitigkeiten kommt. Außerdem will er Garantien, dass alle EU-Mitglieder ihren Beitrag leisten, falls der Kredit platzt und das Geld zurückgezahlt werden muss. Das ist durchaus möglich, denn Russland will keine Kriegsreparationen an die Ukraine zahlen. Doch genau davon geht das „Reparationsdarlehnen“ bisher aus.
Zudem forderte der belgische Premier, dass auch andere Länder mitziehen sollen, in denen russisches Vermögen stillgelegt wurde. Belgien dürfe nicht allein vorangehen und am Ende auch noch allein haften, so sein Credo. „Wenn nicht, werde ich auf europäischer und auch auf nationaler Ebene politisch und juristisch alles in meiner Macht Stehende tun, um diese Entscheidung zu stoppen.“
Das ist eine harte Ansage, die lange Diskussionen auslöste. „Ich teile seine Sorgen“, sagte Kanzler Merz. „Aber er ist an einer gemeinsamen Lösung interessiert, und deswegen gehe ich davon aus, dass wir heute einen Schritt weiterkommen.“ Doch beim EU-Gipfel gab es zunächst nur minimale Fortschritte. Die besonders kniffligen Fragen wurden vertagt, am Ende muss wohl die EU-Kommission eine Lösung finden.
Die Zeit drängt. Denn ohne eine Finanzspritze droht der Ukraine schon Anfang 2026 das Geld auszugehen. Auf die USA kann Selenskyj nicht hoffen – Trump hat unmissverständlich klargemacht, dass er nicht zu Finanzhilfen bereit ist. Vielmehr sollen die Europäer die Zeche zahlen und für Waffenkäufe der Ukraine in den USA aufkommen. Ein neues Nato-Programm namens PURL macht es möglich.
Selenskyj macht davon bereits ausgiebig Gebrauch. Beim EU-Gipfel forderte er nicht nur mehr Luftverteidigung zum Schutz vor russischen Angriffen. Er verlangte auch weitreichende Waffen, um Ölanlagen und Waffenfabriken tief im russischen Hinterland zu treffen. „Diese Langstreckenwaffen gibt es nicht nur in den USA – auch einige europäische Länder verfügen über sie, darunter Tomahawks.“
Allerdings ist weiter unklar, ob die Alliierten der Ukraine solche Waffen zur Verfügung stellen werden. US-Präsident Trump hatte dem zuletzt eine Absage erteilt – er fürchtet eine Eskalation des Krieges und das Aus für mögliche Friedensgespräche. Auch Kanzler Merz zögert. Im Bundestagswahlkampf hatte er der Ukraine zwar das deutsche System Taurus versprochen – bisher jedoch nicht geliefert.
Bei der Aufrüstung der Ukraine zeigen sich die Grenzen der Solidarität. Dass die EU bei den Sanktionen einen diplomatischen Erfolg eingefahren hat, dürfte daran nichts ändern. Die Europäer haben sich bei ihrem Gipfel in Brüssel über den überraschenden Schulterschluss Trump gefreut – doch wie es weitergeht, blieb unklar.
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