Sanktionen gegen israelische Politiker: Slowenien als Vorreiter
Als erstes EU-Land sanktioniert Slowenien Itamar Ben-Gvir und Bezalel Smotrich. Den rechtsextremen Ministern werden „genozidale Aussagen“ vorgeworfen.

Die israelischen Minister „befürworten öffentlich die Ausweitung illegaler israelischer Siedlungen im Westjordanland, die Zwangsumsiedlung von Palästinensern und rufen zur Gewalt gegen die palästinensische Zivilbevölkerung auf“, heißt es in einer Erklärung der Regierung. Als „personae non gratae“, einem im Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen festgelegten Status, dürfen beide künftig nicht mehr nach Slowenien einreisen. Sollte sich die Lage im Gazastreifen nicht verbessern, erwäge man weitere Sanktionen, sagte Fajon auf einer Pressekonferenz.
Das kleine mitteleuropäische Land geht damit als erstes EU-Mitglied einen derartigen Schritt. Mitte Juni hatten bereits Kanada, Australien, Neuseeland, Großbritannien und Norwegen Sanktionen gegen Ben-Gvir und Smotrich beschlossen. Die EU hingegen konnte sich bisher nicht auf ein gemeinsames Vorgehen einigen. Auch ein Treffen der EU-Außenministerinnen und -minister am Dienstag blieb ergebnislos. Sloweniens grün-liberaler Ministerpräsident Robert Golob hatte bereits vor dem Treffen angekündigt, im Falle einer Nichteinigung eigene Schritte einzuleiten.
„Wir beschreiten neue Wege“, sagte Außenministerin Fajon. Gegenüber dem deutschen Journal für Internationale Politik und Gesellschaft hatte sie zuvor Bedauern darüber geäußert, dass „sich die EU nicht auf substanzielle Maßnahmen zum Schutz der Zivilbevölkerung oder gegen Vertreibungen in Gaza einigen konnte“.
Slowenien vertritt innerhalb der EU eine ungewöhnlich kritische Position gegenüber Israels Kriegsführung im Gazastreifen und dessen Siedlungspolitik im Westjordanland. Staatspräsidentin Nataša Pirc Musar spricht offen von einem „Völkermord“ in Gaza. Das Land unterstützt die südafrikanische Klage gegen Israel vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH), im Juni 2024 hatte Slowenien Palästina als Staat anerkannt.
Empathie durch jugoslawisches Erbe
Vor allem unter linken Wählerinnen und Wählern genießt die Linie der slowenischen Regierung Rückhalt. Die derzeitige Politik kann als ein Versuch gesehen werden, sich vom unkritischen Kurs der rechten Vorgängerregierung zu distanzieren.
Auch mögen die Hintergründe dafür in Sloweniens Vergangenheit liegen. Vor dem Zusammenbruch Jugoslawiens in den 1990er Jahren vertrat die kommunistische Führung unter Josip Broz Tito eine antiimperialistische Linie und folgte einer Strategie der Nichteinmischung in die Auseinandersetzung der politischen Blöcke während des Kalten Krieges sowie der Unterstützung von Entwicklungsländern. Der frühere Diktator ist in Slowenien umstritten, doch seine Ideen finden in Teilen der Bevölkerung nach wie vor Anklang.
Andererseits kämpften die Sloweninnen und Slowenen selbst gegen eben jenes Regime und für ihre Unabhängigkeit, die sie 1991 erhielten. Ein Umstand, der sie nach Ansicht des slowenischen Journalisten Novica Mihajlovic Empathie für die Lage in Palästina fühlen lässt. „Die Verwirklichung unseres eigenen Selbstbestimmungsrechts bestimmt unsere Haltung, dieses Recht anderen nicht zu verweigern. Das erklärt Sloweniens Haltung in der UNO und in der EU zur Menschenrechtslage in Palästina“, sagte er im Mai 2024 gegenüber Al Jazeera.
Eine unmittelbare israelische Reaktion auf die Sanktionierung der beiden Minister blieb bislang aus. Ben-Gvir und Smotrich, beide wohnhaft in völkerrechtswidrig errichteten Siedlungen im besetzten Westjordanland, standen in der Vergangenheit wegen extremer Äußerungen international in der Kritik.
Beide sprachen sich mehrfach für die Vertreibung der Palästinenserinnen und Palästinenser aus Gaza aus, Smotrich hatte unter anderem mit der „totalen Zerstörung“ des Küstenstreifens gedroht. Ben-Gvir, in Israel unter anderem wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung verurteilt, hatte Ende Mai die komplette Einstellung humanitärer Hilfe gefordert und hinzugefügt: „Unsere Feinde verdienen nur eine Kugel in den Kopf!“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Wohnkostendebatte beim Bürgergeld
Nur mehr Sozialwohnungen würden helfen
„Boomer-Soli“
Gib die Renten-Kohle her, Boomer!
Wohnen und Bürgergeld
Zur Not auf den Campingplatz
Petition für Schwangerschaftsabbrüche
Christdemokrat appelliert an CDU
Syrien-Expertin zu Massakern an Drusen
„Israels Schutzargumentation ist nicht glaubwürdig“
Steigende Staatsausgaben für Wohnkosten
Grund ist nur die Explosion der Mieten