Saskia Sassen über die Finanzkrise: "Es ist ein Horror"

Mit einem Floh, der von einem Wirt zum nächsten hüpft, vergleicht Saskia Sassen die Urheber der Finanzkrise. Die Stadtsoziologin und Globalisierungstheoretikerin erklärt, wie es dazu kommen konnte.

Die Situation ist Ernst, aber es geht weiter, glaubt Sassen. Bild: dpa

taz: Frau Sassen, Sie haben immer auf die unkontrollierbare Macht des internationalen Finanzwesens hingewiesen. Ist es für Sie jetzt eine Befriedigung, zu sehen, was los ist?

Saskia Sassen: Es ist ein großes Abenteuer, ein Experiment - wie der Teilchenbeschleuniger Cern. Ein Experiment, das sehr avantgarde ist, denn das Finanzsystem ist sehr avantgarde. Ich sage das aber mit ein wenig Ironie. Ich glaube, das hier ist alles Teil dessen, wie es funktioniert. Das ist noch längst nicht vorbei. Im Gegenteil: Da mag es hier und da einen Crash geben und momentan ist die Situation sehr Ernst, aber es geht weiter.

Aber wie?

Die Bank of America hat nun Merril Lynch gekauft, welche jetzt im Finanzsystem mitmischen und spekulieren kann. Warum sollten sie sonst Merril Lynch kaufen? Sicher nicht, um sie alle zu kleinen Bänkern zu machen, die hinter ihrem Schreibtisch hocken und Geld verkaufen, das sie haben.

Inzwischen sind sogar Finanzexperten ratlos und geben zu, dass sie das Chaos nicht richtig verstehen. Was kann man dagegen tun?

Zunächst muss die Regulierung stärker werden. Das Finanzwesen ist hochkomplex und durchaus eine kulturelle Interpretationssache. Nehmen Sie die Ratingagentur Moody's, ein Unternehmen, das die Kreditwürdigkeit von anderen Firmen bewertet. Moody's sieht die Welt aus der Sicht des Finanzwesens.

Das bedeutet konkret?

Da arbeitet einer mit dem anderen. Beispielsweise bei den Hypotheken. Die sind interessant, weil sie für die einfachen Leute so wichtig sind. Und dann wird es so dargestellt, als würden sie den falschen Leuten Hypotheken geben. Das ist vielleicht Teil der Geschichte. Aber nicht die Geschichte. Also: Wir brauchen mehr Regulierung.

Und sonst? Gibt es noch mehr?

Ja. Der zweite Punkt ist, Distanz zwischen den Akteuren zu schaffen, und der dritte Punkt ist die Gesetzgebung. Die Gesetzgeber müssen einfach mal ihre Hausaufgaben machen. Die halten zum Finanzsystem Abstand. Das ist ihnen zu kompliziert, damit möchten sie nichts zu tun haben. Aber sie müssen. Sie müssen ja nicht alle Algorhytmen verstehen, aber wenigstens, was zu regulieren ist. Das gleiche gilt auch für die Bürger. Wenn Sie eine Kreditkarte haben, dann sollten Sie auch verantwortlich damit umgehen. Es gibt eine Verantwortung, die wir übernehmen müssen, für uns, aber auch für unsere Gemeinschaft. Und die Regeln sollten deutlicher gemacht werden.

Weil die Entwicklung so undurchdringlich scheint, herrscht große gesellschaftliche Verunsicherung. Ist die kollektive Angst begründet?

Lassen Sie uns nicht von Angst, sondern von Horror sprechen. Es ist ein Horror zu sehen, wie weit es gekommen ist. Jetzt geht es um Hypotheken für Leute mit geringem Einkommen, weil sie schon durch die Autofinanzierung, etc durch sind. Alles wurde schon der Logik der Finanzfirmen unterworfen. Meine Reaktion ist nicht Angst, sondern zu sagen, dass dies völlig inakzeptabel ist. Die Regulierungsbehörden in den USA hätten das doch kommen sehen müssen. Ich würde wirklich sagen, dass Angst in diesem Zusammenhang viel zu wertvoll ist. Weil Angst Ihnen eine gewisse existentielle Freude geben kann.

Aber zeigt es, dass nun die Zeit des Neoliberalismus vorbei ist?

Ja, der Neoliberalismus war eine ganz bestimmte Art der Intervention und ich glaube, dass er gerade seine Grenzen demonstriert. Doch es hieß nie, dass der Staat aus allem raus war. Die Idee des Neoliberalismus aber ist zu generell, um zu erklären, was passiert. Eins kann man jetzt jedoch sagen: Gesetzgeber haben im Neoliberalismus wirklich an Macht verloren. Und die Exekutive der US- Regierung hat an Macht gewonnen. Ich hoffe, dass es besser wird, da es wirklich Zeit für einen Wechsel ist, aber man darf nicht vergessen auch wenn die Zeit des Neoliberalismus vorbei sein mag, haben wir es dennoch mit einem bleibenden systemischen Wandel zu tun, mit einer neuen Struktur. Selbst wenn nun Barack Obama gewählt werden sollte, würde sich daran nicht viel ändern.

In ihrem neuen Buch "Das Paradox des Nationalen" sagen Sie, dass die Zukunft unserer vertrauten Rahmenbedingungen ungewiß geworden sei. Können Sie trotzdem Aussagen über das wirkliche Wesen dieser Krise treffen?

Im Grunde befindet sich das Finanzwesen in einer ständigen Krise. Das hat in den Achtzigern unter Reagan angefangen und sich seitdem aufgebaut. Was die Menschen immer vergessen, dass es hier gar nicht um Geld geht, und das ist gerade der Unterschied zum Bankensystem.

Konkreter bitte

Im Bankensystem wird mit Geld gehandelt. Da haben Sie Geld, Sie sitzen hinter Ihrem Schreibtisch, und Sie verkaufen ihr Geld. Im Finanzwesen aber geht es gerade darum, kein Geld zu haben, und welches heranzuschaffen. Verstehen Sie diesen fundamentalen Unterschied?

Nicht so ganz...

Das Negative, also Schulden, wird in einen Vorteil umgewandelt, weil man eben durch den Verkauf dieser Schulden Geld macht. Aber um das zu tun, muss man ständig manipulieren und Aktivität produzieren, es ist wie eine Mühle, die Schrot braucht. Und in so einem System kommt irgendwann der Zeitpunkt, da geht es nicht mehr weiter, denn die Schulden müssen ja irgendwie gedeckt sein. Damals gab es, dank Reagan, ein skandalös großes Defizit im US-Haushalt. Also ein schöner großer Haufen, den man durch den brillanten Schachzug des Verkaufens und des Weiterverkaufens zu Geld gemacht hat. Denn damals wurden die Schulden einfach umsortiert und weiterverkauft.

Das hat funktioniert?

Ganz hervorragend! Jeder wollte einen Teil davon: die Saudis, die Japaner waren damals die größten Käufer. Neben diesen großen Schulden, gab es lauter kleine Beträge, auf die man dieses Umpacken und Weiterverkaufen anwenden konnte. Sie kennen das Spiel, die Kreditkarten, die Autofinanzierung, all diese kleinen Schulden. Ob die Schuldner jetzt gut oder schlecht darin waren, zu zahlen, das machte gar keinen Unterschied. Das Ziel war, so viele wie möglich an den Haken zu bekommen, denn noch einmal: das Finanzwesen verdient sein Geld nicht dadurch, dass jemand seine Schulden zurückzahlt.

Und das System wurde dann auf die Hypotheken übertragen?

Genau. Nachdem es mit den Staatsschulden, den Kreditkarten und den Autokrediten so hervorragend funktioniert hat, wurde das System auch auf Hypotheken übertragen. Und weil die Mühle eben Schrot brauchte, mussten neue Quellen herangeschafft werden. Ich habe Daten, die das Ausmaß beweisen, zu dem die Hypotheken an die armen Haushalte gingen, das war eben der Wachstumsmarkt. Das perfide an der Sache: Für arme Haushalte und die mit geringem Einkommen, sind das Haus und die Wohnung einfach alles. Dort geht das ganze Geld rein. Und die Finanzfirmen waren eben nicht auf die kleinen Sparbeträge der armen Haushalte aus, was waren ja auch Millionen, sondern hinter dem großen Batzen, den Hypotheken. Eine primitive Art der Akkumulierung! Sie haben die Leute ja nicht einmal mehr gefragt, ob sie die Schulden weiterverkaufen dürfen. Aber für diese Menschen war es eben der Verlust von allem, was sie im Leben so zusammengespart haben. Nun wird viel darüber geredet, dass Menschen, die nicht zahlen konnten, überhaupt Hypotheken bekamen. Das ist doch schon komisch, oder?

Warum stoppt keiner diese Geschäfte?

Diese strukturierten Finanzierungen sind ja überhaupt nicht durchsichtig. Es ist, als würden sie eine Tasche packen und keine Ahnung haben, was darin steckt. Diese Verbindung zwischen Finanzmärkten, und zwischen Ländern, und die Geschwindigkeit, in der zwischen den Märkten gehandelt wird! Das ist wirklich Ökonometrie auf höchsten Niveau. So haben Sie zwei Sorten von Genie am Werk. Erstmal produzieren Sie etwas, was niemand versteht. Und es bewegt sich durch die Welt. Mein Argument ist, dass es ein Fehler ist zu denken, die Krise an den faulen Hypothekenkrediten. Die haben einige Firmen ruiniert. Aber ich glaube, dass diese undurchsichtigen Hochrisikogeschäfte den Schaden anrichtet haben.

Ist das nun ein Signal, dass die Globalisierung nicht gut funktioniert?

Schauen Sie, die Europäer haben Probleme, aber keine einzige Subprime-Hypothek verkauft. Es war ein amerikanisches Produkt für amerikanische Menschen. Das war jetzt der erste Run. Aber warten Sie ab, sie werden es wieder versuchen. Es ist einfach zu viel Markt in diesem Geschäft mit Leuten mit geringem und mittlerem Einkommen. Sie sind am Ende nur wie eine Floh, der von einen Wirt zum Nächsten hüpft.

Ein herber Vergleich

Sie können auch nicht sagen, wie es die altmodischen Marxisten sagen würden: Alles Risiko liegt in diesem einen. Das ist auch nicht richtig. Dafür sind es zu viele Akteure. Es hat ein gewisses Level erreicht, und niemand kann mehr Vorraussagen treffen.

Aber gibt es niemanden, der sich damit auskennt, und der einschreitet?

Das ist ja das Problem. Die zweite große Debatte in den USA geht über die Rating-Agenturen. Keine dieser Firmen hat allein genug Wissen - und es ist nicht die alte Geschichte vom imperfekten Wissen. Das ist wirklich die Eskalation davon. Diese Firmen brauchen nicht nur den Zugang zu Information, sie müssen sie sogar erfinden. Und die Rating-Agenturen haben die Macht, das zu tun. Was Sie also haben ist sind die untätigen Regulierungsbehörden, und die strukturellen Bedingungen, in denen wir alle gefangen sind.

INTERVIEW JAN FEDDERSEN UND NATALIE TENBERG

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.