Schach-Weltmeisterschaft: Plötzlich Kandidat
Matthias Blübaum hat sich überraschend für das Kandidatenturnier um die Schach-WM qualifiziert. Der 28-Jährige ist der erste Deutsche seit 35 Jahren.

Einen deutschen Kandidaten für den Titel des Schachweltmeisters hat es schon sehr lange nicht mehr gegeben. Zuletzt hatte sich 1991 die im Januar verstorbene Legende Robert Hübner für ein Kandidatenturnier qualifiziert. Diesmal hatten deutsche Fans nur Vincent Keymer im Blick. Der war – mit nur 20 Jahren – vor wenigen Wochen mit einem grandiosen Turniersieg im indischen Chennai auf Platz zehn der Weltrangliste geschossen und nährte damit hiesige Titelträume.
Der Traum eines deutschen WM-Kandidaten erfüllte sich nun beim Grand-Swiss-Turnier im usbekischen Samarkand tatsächlich – allerdings anders als gedacht. Keymer zeigte zwar erneut eine starke Leistung und schob sich dank seiner 7,5 Punkte nach elf Runden sogar auf Platz acht in der Weltrangliste vor, aber „für die Sternstunde des deutschen Schachs“, wie der Deutsche Schachbund nach dem „historischen Erfolg“ auf seiner Webseite jubelt, sorgte Matthias Blübaum.
Blübaum, gebürtiger Lemgoer, wurde zwar heuer zum zweiten Mal Europameister, aber nicht einmal er selbst hatte sich auf der Rechnung: „Ich hätte niemals erwartet, in diesem Feld ein Partienplus von vier zu erreichen!“, postete der 28-Jährige nach dem Turnier auf X.
Matthias Blübaum
Blübaum begann verhalten mit zwei Remis, bevor er mit drei Siegen in Serie gegen die Riege aus Indien auf sich aufmerksam machte. In Runde fünf schlug er dabei den topgesetzten Inder Rameshbabu Praggnanandhaa und nach einem weiteren Remis gleich den direkt dahinter gelisteten Arjun Erigaisi, ebenfalls aus Indien. So stand Blübaum, der erst nach dem Ende seines Mathematikstudiums den Sprung ins kalte Wasser wagte und Schachprofi wurde, plötzlich und sehr überraschend mit 5,5:1,5 Punkten an der Spitze des mit 114 Großmeistern gespickten Feldes.
Gutes Preisgeld gibt's dazu
Dort ließ sich der kühle Rechner fast nicht mehr verdrängen, auch wenn weitere Siege ausblieben. Im zehnten Durchgang rettete sich Blübaum gegen seinen Nationalmannschaftskollegen Keymer nach 63 Zügen ins Remis. Das schuf für Blübaum bei jeweils 7:3 Punkten bessere Voraussetzungen in der Schlussrunde als für Keymer.
Letzterer hatte in Durchgang sechs dem Franzosen Marc’Andria Maurizzi gratulieren müssen. So fiel er etwas zurück und bekam im Gegensatz zu Blübaum nominell schlechtere Gegner. Bei Punktgleichheit entschied der Durchschnitt der Elo-Weltranglistenzähler über die exakte Platzierung. Deshalb genügte dem Mathematiker Blübaum zum Abschluss ein Remis, um einen der zwei Plätze für das WM-Kandidatenturnier zu belegen.
Entsprechend setzten Erigaisi und Keymer in ihrem Duell vergeblich die Brechstange ein. Nach einem unvermeidlichen Remis wurde Keymer Vierter und heimste 50.000 Dollar Preisgeld ein, Erigaisi (7) belegte nur Rang sechs.
Matthias Blübaum wurde zwar noch von vom Niederländer Anish Giri überflügelt, der Hans Moke Niemann aus den USA schlug. Damit sicherte sich Giri mit acht Punkten die Siegprämie von 90.000 Dollar und erneut einen Platz im WM-Kandidatenturnier. Derweil ließ Blübaum, der Europameister aus Deutschland, nichts anbrennen und bremste den direkten Rivalen Alireza Firouzja mit dem Vorteil der weißen Steine mühelos aus. Firouzja, der aus Iran nach Frankreich geflüchtete Weltranglistensechste, landete so knapp vor Keymer – aber mit ebenfalls 7,5 Punkten hinter Blübaum, der den klar besten Gegner-Ratingschnitt aufwies. Zudem sicherte er sich mit 75.000 Dollar sein bisher größtes Preisgeld.
Bundestrainer Jan Gustafsson spendete seinen beiden Topleuten ein dickes Lob: Keymer habe seine Weltklasse bewiesen und er habe „im Worldcup noch eine weitere Chance, einen der acht Startplätze für das WM-Kandidatenturnier“ zu ergattern, tröstete ihn der Großmeister. „Eine unglaubliche Sensation, eine absolut verrückte Leistung“, bescheinigte Gustafsson hingegen Blübaum.
Der gab sich derweil gewohnt bescheiden: „Vincent hätte es auch verdient gehabt“, befand er und ergänzte, „ich hatte vielleicht auch an der ein oder anderen Stelle mehr Glück.“
Der Weltmeister erlebte ein Debakel
An die Chancen beim WM-Kandidatenturnier 2026, dessen Zeitpunkt und Ort derzeit noch offen sind, wollte der Underdog keine Gedanken verschwenden, auch wenn er „im Moment sehr gut“ spiele. Als Profi peilt Blübaum erst noch den Sprung in den erlauchten Kreis der Spieler mit 2.700 Elo an. Mit zwei Siegen am Spitzenbrett für die SF Deizisau könnte Blübaum die Schallmauer schon am nächste Wochenende in der Bundesliga knacken.
In der Schachszene wird Matthias Blübaum nun nach Vincent Keyner als neuer „deutscher Inder-Schreck“ gehandelt. Aber Blübaum selbst bekennt, er mache sich noch „keine Gedanken“ über das Kandidatenturnier oder gar einen Zweikampf um die WM.
Chancenlos wäre Blübaum jedoch offensichtlich nicht. Für den amtierenden Weltmeister Dommaraju Gukesh war das Turnier in Samarkand nämlich ein Desaster. Hinter seinen Landsleuten Praggnanandhaa und Erigaisi an Position drei gesetzt, belegte Gukesh mit sechs Punkten nur Rang 41. Zwischenzeitlich verlor der mit 19 Jahren jüngste Weltmeister der Schach-Geschichte drei Partien in Folge. Trotz seiner zwei Abschlusserfolge rutschte er so hinter Giri und Keymer auf Platz elf der Weltrangliste ab.
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