Schicksalsschläge: "Ich mag diesen Scheiternden"

Klaus Schumacher bringt Joseph Roths Roman "Hiob" auf die Bühne des Hamburger Schauspielhauses. Wie die Hauptfigur um eine Logik hinter dem Leben ringt, sagt er, sei doch sehr heutig.

Ringt mit Gott: "Hiob" alias Mendel Singer (Michael Prelle). Bild: Kerstin Schomburg

taz: Herr Schumacher, warum inszenieren Sie ein so fatalistisches Stück wie "Hiob"?

Klaus Schumacher: Ich finde es nicht fatalistisch. Ganz im Gegenteil. Dieser Roman beschreibt die Notwendigkeit, die eigenen Leitlinien immer wieder neu zu überprüfen.

Wie das?

Mendel Singer, der jüdische Protagonist, sieht sich mit einer Welt der schnellen Veränderungen konfrontiert, die ihn verunsichert. Eine zutiefst moderne Erfahrung. Das Unglück, das ihm widerfährt, kann er sich nicht erklären. Es ist ja nun mal so, dass wir von "Schicksalsschlägen" sprechen, weil wir sie nicht berechnen und schwer verarbeiten können. Es gibt da keine Logik, und das erzählt der Roman sehr eindrücklich. Mendel Singer kommt mit seinem Schlüssel zu Gott und zum Glück nicht zurecht.

Das heißt?

Er hatte sich als gläubiger Jude ein Erklärungsmodell für die Welt gebaut. Hatte an einen Gott geglaubt, der über ihn wacht und der Gutes mit Gutem, Schlechtes mit Schlechtem vergilt. Und dann plötzlich trifft ihn all dieses Unglück, und die Gleichung stimmt nicht mehr. Sein Erklärungssystem bricht zusammen.

Er wird zum Zweifler.

Ja, das ganze Buch handelt vom Zweifel. Er wird ständig mitformuliert. Es handelt von der immerwährenden Suche nach Antworten.

46, leitet seit Herbst 2005 das "Junge Schauspielhaus", inszeniert aber auch auf der großen Bühne. Zuvor Chef des Bremer Kinder- und Jugendtheaters Moks.

Ist der Roman nicht auch eine Polemik gegen Gott - der so eitel ist, mit Satan um Hiobs Seele zu wetten?

Schwer zu sagen, zumal die Quellenlage unklar ist. Das "Buch Hiob" aus dem Alten Testament, auf den sich Joseph Roths Roman bezieht, hat zwei Versionen, die zu unterschiedlichen Zeiten entstanden sind. Wir kennen nur diejenige mit der Wette. Im Wesentlichen geht es aber eher darum, dass Gott jede Logik verweigert.

Warum ein religiöses Stück in so kirchenfernen Zeiten?

Für mich weist das Stück weit darüber hinaus. Es erzählt über die Welt, wie sie funktioniert. Über Menschen, die etwas suchen, das ihnen eine Ordnung gibt. Diese Sehnsucht nach einer Logik hinter den Ereignissen finde ich sehr weltlich und sehr heutig. Ich kenne viele Menschen, die diesen Wunsch nach Erklärungsmodellen, wie Mendel Singer sie hat, spüren.

Aber am Schluss renkt sich für ihn alles ein. Hat ihm sein Glaube doch geholfen?

Nein, im Gegenteil. Er hat sich dem Zweifel hingegeben und sich kurz zuvor endgültig von Gott losgesagt.

Aber Mendel wird im Nachhinein für erlittenes Unheil entschädigt.

Eben nicht. Er bekommt zwar seinen Sohn zurück, der Komponist geworden ist. Aber dies passiert unabhängig von Gott. Dieses Happy-End hat nichts damit zu tun, dass Mendel nun sein Verhalten geändert hat.

Hat er das?

Ja. Dieser sehr radikal denkende Mensch begibt sich interessanterweise genau in dem Moment, als er sich lossagt, unter die Menschen. Er betreut die Nachbarskinder, macht Besorgungen, erledigt Reparaturen. Er ist auf einmal ein Mensch unter Freunden, irgendwie in der Welt angekommen - obwohl er seinen Glauben verloren hat. Insofern würde ich nicht sagen, er würde von Gott für irgendetwas entschädigt. Es passiert einfach nur das Nächste. Das Leben treibt weiter seine Spiele mit ihm, und in diesem Fall verläuft es mal günstig.

Trägt das Stück autobiographische Züge?

Ja. Auch Joseph Roth ist im jüdisch geprägten Galizien geboren und hat aus dieser Kultur ein festes Glaubenssystem mitgenommen in die Welt. Er ist viel gereist, hat etliche Städte gesehen, die psychische Krankheit seiner Frau erlebt und ist letztlich an der Welt verzweifelt und Alkoholiker geworden. Sein Leben ist, wie das seiner Figur Mendel Singer, die Suche nach der inneren Ordnung aus Kindertagen, die er verlor und nie wiederfand.

Wird das Thema Judentum in Ihrer Inszenierung eine Rolle spielen?

Mendel Singer, die Hauptfigur, ist ein jüdischer Lehrer, und das wird immer wieder erwähnt. Ich mache aber keine Inszenierung über die Geschichte der osteuropäischen Juden. Das fokussiert auch der Roman nicht. Roman und Inszenierung gehen vielmehr von einer Figur aus, die sehr fundamentalistisch ist. Und die sich vom fernen Schtetl in Galizien nach New York aufmacht und die Welt betrachtet - immer auf der Folie der mitgebrachten, radikalen Überzeugungen.

Heißt das, Sie bewundern diesen verbohrten Mendel Singer?

"Bewundern" ist das falsche Wort. Aber ich mag ihn sehr, wie jede scheiternde Figur. Denn er ringt um etwas. Er ringt immer neu darum zu verstehen, wie ein Menschenleben funktioniert. Eine Frage, die man sich selber dauernd stellt. Man ist mit seinen Zweifeln nicht allein. Man kämpft mit diesem Mendel Singer. Mal denkt man: Reiß dich mal zusammen. Dann wieder versteht man ihn. Dieses Mäandern, diese Uneindeutigkeit: Die mag ich sehr.

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