Schiller goes Stummfilm: Ohne Worte

Am Jungen Schauspiel Hannover feiern Schillers Räuber in einer besonderen Form Premiere: Die Aufführung verzichtet auf die Worte.

Lust auf ein Experiment, Lust auf Reduktion und Lust auf nonverbale Spielweisen: Schauspieler Oscar Olivo als Franz in Schillers Räuber. Bild: Katrin Ribbe

HANNOVER taz | Ja, wie tollkühn ist das denn? Schiller ohne Worte! Schillers genialer Jugendstreich „Die Räuber“ ist ein emotional elektrisiertes Sprachkunstwerk, eine Sprechoper. Und in Hannover wird es nun dargeboten als stummer Abend. Die immer noch unfassbar tollen Formulierungen, aufbrausenden Diskurse, das rauschhafte Philosophieren, stürmende und drängende Politisieren, diese ekstatisch aus Worten komponierte Adoleszenz-Energie zwischen Machtwillen und Idealismus, Aufbegehren und Anpassung werden hier einfach mal weggelassen. Die Aufführung verzichtet auf diese ganze wertvoll Schöne, Wahre und Gute des Klassikers.

„Das ist natürlich schon ein Verlust“, bestätigt Gesa Lolling, Dramaturgin für das Junge Schauspiel Hannover. Auf der Suche nach dem Gewinn ist Ruth Messing in ihrer ersten abendfüllenden Regiearbeit. Warum „Die Räuber“? Die Theaterleitung hatte es angeboten. Warum eine von Sprechakten befreite Aufführung? „Die Regisseurin wollte auf der Bühne nicht diesen endlosen Monologen und Beschreibungen Schillers folgen“, sagt Lolling. „Beim Schwarzlicht und Puppentheater hat sie ihre Lust entdeckt, nach neuen Darstellungsformen zu suchen.“

Lust auf ein Experiment, Lust auf Reduktion und Lust auf nonverbale Spielweisen. Auch die Bühne hat Andrea Wagner erstmal leer geräumt, bis auf einen sachlichen Kubus. Spielorte werden per Videozuspielungen angedeutet, für Atmosphäre sorgt ein Geräuschemacher, Nebenhandlungen kommen als Schattenspiel und die zentralen Geschehnisse in Stummfilm-Ästhetik daher. Die Inszenierung lebt von überlebensgroßen Gesten, malerisch in die Haut gefalteter Mimik, emotionensprühenden Blicke, expressiver Schminkkunst.

Die erhofften Zuschauer – „ab 14 Jahre“ – erleben die Geschichte der ungleichen Brüder Franz und Karl, die um die Liebe ihres Vaters buhlen. „Wir wollen diese Fabel des Dramas freilegen und sind so in eine andere Erzählweise gekommen: Sehnsucht nach Situation, nennt das die Regisseurin“, sagt Dramaturgin Lolling. Das Geschehen wird konzentriert auf eine Abfolge klarer (und wenn es gelingt auch) gleichnishafter Szenen, die unter Überschriften wie „Franz begehrt die Freundin des Bruders Karl“ und „Vater bevorzugt Karl“ stehen könnten. So soll ein prägnantes Bildertheater entstehen.

20 Schiller-Sätze als Zwischentitel

Und was ist nun der Vorteil des Schweigens? Also ganz so wortlos werde es nicht, beruhigt die Dramaturgin. Absichtserklärungen der Figuren, Wechsel der Zeitebenen, all das also, was man partout nicht spielen könne, werde in der Art von Zwischentiteln auf die Bühne projiziert. 20 Schiller-Sätze werden auf diese Weise den radikalen Zugriff überleben.

Da Schauspieler nun also nicht den Text, sondern nur die Figuren beglaubigen und Zuschauer alles von deren Körpern ablesen müssen, bezeichnet Lolling den gewünscht positiven Effekt der Inszenierung als „Aufmerksamkeitsschärfung“. Man spiele zwar lockerer und schneller als im Stummfilm üblich, aber der klare Blick auf den rohen Plot helfe, sich auf die Gefühlslage und Motivation der Figuren und die Theatermittel zu fokussieren.

Zauberstarkes Gegenmittel

Ein vielleicht zauberstarkes Gegenmittel zum aufmerksamkeitsheischenden Tohuwabohu des Theaterpremierenalltags. Erwünscht sein könnte ein Effekt, wie er in „The Artist“ im Kino gelang: Hier triumphiert ein Stummfilm im Stil der 1920er Jahre in der Multiplex-Welt der sinneverwirrenden 3D-Effekte.

„Die Tatsache, dass du nicht über einen gesprochenen Text gehst, wirft dich auf eine grundlegende Art des Geschichtenerzählens zurück, die nur durch die Gefühle funktioniert, die du erschaffst.“ Mit diesen Worten wurde „The Artist“-Regisseur Michel Hazanavicius einst zum Erfolgsgeheimnis zitiert.

Premiere: 18. Oktober, 19.30 Uhr; weitere Vorstellungen: 19. + 30. Oktober, 7. und 10.November, Hannover, Ballhofplatz 5
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