Schlagloch Vielfalt: Das Wulffsrudel

Meinung wird in der deutschen Medienlandschaft hauptsächlich von Männern gemacht. Das heißt nicht, dass es keine weiblichen Stimmen gibt - nur deutlich weniger.

Bevorzugt unter Männern: Wulff unterhält sich mit Journalisten. Bild: dpa

Keine Sorge, liebe Leserin, ich habe nicht vor, die Skandale und Skandälchen zwischen Schloss Bellevue und Oktoberfest zu kommentieren. Ich will nur darüber berichten, was mir in den vergangenen Wochen mal wieder deutlich ins Auge gestochen ist. Als nämlich die "Tagesschau" am 5. Januar einen Kommentar von Silke Engel brachte ("Die Dauerempörung nervt?"), bemerkte ich: Bis dahin war die Diskussion fast vollständig unter männlichen Kollegen geführt worden. Eine Assoziation drängte sich mir auf. Das Alphamännchen eines Wolfsrudels ist verletzt, und die anderen Wölfe wittern die Chance, sich für die Schmach der eigenen Zweit- und Drittrangigkeit zu revanchieren.

Aber irgendwie schmeckt diese Hypothese zu vulgärpsychologisch, vulgärbiologisch und vulgärfeministisch. Es gibt eine viel plausiblere Erklärung: Meinung wird in der deutschen Medienlandschaft nach wie vor hauptsächlich von Männern gemacht. Gewiss, gewiss - ich höre schon das Rascheln im Altpapierstapel, daher rührend, dass Gegner dieser These nach Artikeln wühlen, die eine Frau verfasst hat. Und man wird auch welche finden. Aber allein, dass man so furchtbar lange wühlen muss, bestätigt eher die Korrektheit der allgemeinen Behauptung. Die nicht lautet, dass es in Deutschland keine weiblichen Stimmen in der Berichterstattung gibt, sondern eben deutlich weniger.

Dass dieses Muster gerade in der vorliegenden Zeitung aufgebrochen wird, kann kaum überraschen. Ein Unternehmen, das auf viel Idealismus und wenig Geld gebaut ist, bietet das ideale Betätigungsfeld für Frauen, die - allein von ihrer objektiven Eignung her gesehen -, in der Lage sein müssten (Konjunktiv Irrealis), anderswo das Doppelte zu verdienen. Auch in den mittelgroßen Überregionalen wird man immerhin einige Frauen finden; doch je höher sie klettern, desto dünner wird die Luft.

In jeder Runde fragen: Wer fehlt?

Gern kann jeder für sich nochmals ins Altpapier abtauchen und das Impressum von FAZ oder Süddeutscher Zeitung studieren. Wenn man offensichtlich gegenderte Ressorts wie Sport und Schule weglässt, kommt man bei der FAZ auf 32 männliche Namen und sieben weibliche, im Impressum der Süddeutschen auf 21 respektive zwei. Wann habe ich in diesen Zeitungen zum letzten Mal einen Leitartikel von einer Frau gelesen? Wie oft schreibt dort eine Frau den tragenden Meinungsessay in Politik, Wirtschaft oder im Feuilleton?

Flugs gelangt man zu der Diskussion, wer an dem Missverhältnis schuld sei. Persönliche Einstellungen, Sozialisation und Habitus, Arbeits- und Kitaöffnungszeiten, Anerkennung und Lohnpolitik, Personal- und Entscheidungsstrukturen? Untersuchungen zur "Gläsernen Decke" haben zahlreiche Ursachen zutage gefördert, darum will ich hier nur kurz für etwas viel Basaleres plädieren, das ohnehin längst selbstverständlich sein müsste: Wir brauchen ein Ideal von Diversity - nicht unbedingt, weil Vielfalt immer toll ist, sondern als Lackmustest für Pluralismus und Chancengleichheit.

Das Ideal der Vielfalt funktioniert vor allem ex negativo. Wir alle müssen uns angewöhnen, die Runde, in der wir jeweils sitzen, daraufhin zu überprüfen, wer darin repräsentiert ist - und wer fehlt. Um Missverständnisse gleich auszuräumen: "Repräsentiert" heißt nicht, dass eine Frau automatisch "die" Meinung von Frauen "vertritt". Sie spricht auch nicht für "alle Frauen".

Die Möglichkeit zur Beteiligung

Sind aber keine Frauen anwesend, fehlen - Achtung, Tautologie! - Stimmen von Frauen. Der Begriff "weibliche Stimme" hat hier offensichtlich zwei unterschiedliche Bedeutungen: einmal eine essenzialistische, nach der alle Frauen angeblich zu ähnlichen Meinungen tendieren, und eine, die die Möglichkeit zur Beteiligung am gemeinsamen Diskurs betrifft. Benötigt wird natürlich Letzteres.

Das zweite Missverständnis wäre, zu meinen, dass Vielfalt immer toll ist. Denn natürlich kann manches schwieriger sein, wenn Leute unterschiedlich sozialisiert sind, wenn Missverständnisse ausgeräumt und Arbeitsbedingungen verändert werden müssen, wenn man Rücksicht auf divergierende Vorlieben und Gewohnheiten nehmen muss.

Das ist zwischen den Geschlechtern nicht anders als zwischen Schichten, ethnischen Gruppen oder Menschen mit unterschiedlichem Parteibuch. Gemütlicher ist es meistens, von Gleichen umgeben zu sein. Aber es geht eben nicht immer um Gemütlichkeit, sondern auch um persönliches Wachstum, um Lernen durch Perspektivübernahme, um das Austesten von Alternativen und last not least einfach um Fairness.

Meine Güte!

Alles bisher Gesagte gilt nicht nur für Frauen und Männer, sondern im selben Maße für die Beteiligung von Mitgliedern unterschiedlicher sozialer Gruppen, also zum Beispiel Migrantinnen und Migranten. Das Ideal von Vielfalt, das mir vorschwebt, kennt keinen Haupt- und Nebenwiderspruch. Wir schauen uns also um, um zu überprüfen, wer in unserer Runde fehlt.

Der nächste Schritt ist, zu fragen: warum? Noch einmal: Das Ziel besteht nicht darin, auf Teufel komm raus eine Frau oder eine Migrantin irgendwo "hineinzukriegen". Sondern darin, die Filtermechanismen abzubauen, die Angehörige vieler Gruppen draußen halten. Auch in der Quotenpolitik geht es schließlich nicht um Artenschutz, sondern um Beteiligung. Meine Güte, der Unterschied kann doch nicht so schwer zu verstehen sein!

Um auf das Ausgangsproblem des Meinungsmachens zurückzukommen: Irgendwie ist es ja peinlich, dass Kolleginnen wie ich uns immer wieder "beklagen" müssen. Doch anscheinend fällt das Problem denen im Mainstream von allein nicht auf. Dabei hätten die Öffentlich-Rechtlichen sogar eine besondere Verpflichtung zur Öffnung für alle; bloß sieht die Realität der Redaktionsstühle anders aus.

Letztes Jahr war ich zu einer Polittalkshow eingeladen und fand mich bei der Vorbesprechung an einem Tisch mit zehn Männern wieder. Ich fragte, ob in der Redaktion etwa keine Frauen arbeiteten. "Doch, wir haben Sekretärinnen, aber die sind bei den Vorbesprechungen nicht dabei." Und diese Antwort war völlig ironiefrei gemeint.

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Hilal Sezgin studierte Philosophie in Frankfurt am Main und arbeitete mehrere Jahre im Feuilleton der Frankfurter Rundschau. Seit 2007 lebt sie als freie Schriftstellerin und Journalistin in der Lüneburger Heide. Zuletzt von ihr in Buchform: „Nichtstun ist keine Lösung. Politische Verantwortung in Zeiten des Umbruchs.“ DuMont Buchverlag 2017.

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