Schlechtes Gewissen für den Klimaschutz: Mehr Flugscham, bitte!

Eine Kerosinsteuer ist in weiter Ferne, auch bis zur Besteuerung von CO2 kann es noch eine Weile dauern. Wenn nicht Flugscham, was denn sonst?

Ein Flugzeug fliegt mit der Spitze nach unten

Die Schwäche der Klimawandeldebatte: Etwas tun? Ja, unbedingt. Etwas ändern? Nein, danke Foto: Jason Wong/Unsplash

Und, wie geht’s so? Super, antworten die Fluggesellschaften. Zwar reden fast alle darüber, was ein ungewöhnlich heißer oder ungewöhnlich kühler Sommer über den Klimawandel aussagt, verlieren sich in Details einer möglichen CO2-Steuer, denken vielleicht sogar über ein Plastikfasten nach. Aber deswegen gleich Flugscham empfinden? Auf das zum Wort gewordene schlechte Gewissen hören und stattdessen den Zug nehmen? Och nö. Der Verkehrsminister warnt schon davor, Flugscham zu fördern. Dabei ist Andreas Scheuer nicht unwesentlich verantwortlich dafür, wie der Verkehrssektor, der in Deutschland immerhin knapp ein Fünftel der Treibhausgasemissionen verursacht, organisiert ist.

Was die Frage aufwirft: Wenn nicht Flugscham, was denn sonst? Eine Kerosinsteuer ist derzeit nicht in Sicht, auch bis zur Besteuerung von CO2 kann es noch eine Weile dauern, und selbst wenn in näherer Zukunft auf Bahntickets nur noch der ermäßigte Steuersatz gezahlt werden muss – das wird noch niemanden dazu bewegen, per Bahn statt mit dem Billigflieger übers Wochenende zum Konzert nach London zu reisen.

Dabei scheint es durchaus anzukommen, dass Fliegen nicht das Beste für die persönliche CO2-Bilanz ist. So melden Kompensationsagenturen wie Atmosfair steigende Ausgleichszahlungen. Und vielleicht ist genau diese Haltung eine, wenn nicht sogar die zentrale Schwäche in der ganzen Klimawandeldebatte. Etwas tun? Ja, unbedingt. Etwas ändern? Nein, danke. Natürlich ist die Flugscham gleichzeitig ein Symbol. Denn während es durchaus zeitliche Zwänge zum Fliegen gibt – drei schlecht bezahlte Jobs, die im Jahr nur zwei Wochen Urlaub lassen, und trotzdem will die Familie im Ausland besucht werden –, gilt das für andere Bereiche keineswegs. Fleisch zum Beispiel. Wer in einem Industrieland lebt, also dort, wo Tiere in Massenställen gehalten werden, gefüttert mit Getreide, für das etwa in Südamerika Regenwälder abgeholzt werden, nein, der muss kein Fleisch essen.

Die Frage ist: Wie reagiert die Bevölkerung darauf, wenn es nicht mehr darum geht, freiwillig etwas zu ändern, oder darum, nett und kuschelig zu einer kleinen Verhaltensänderung gestupst zu werden, sondern um klare Ge- und Verbote? Solche, die die Gewohnheiten einschränken und lieb gewonnene Verhaltensweisen nicht mehr möglich machen? Wird es Demonstrationen geben für ein Recht auf Steak? Petitionen gegen autofreie Innenstädte? Einen Lobbyverband, der sich dafür einsetzt, dass Konsument:innen weiterhin im Jahrestakt neue Elektronikgeräte kaufen dürfen? Oder einen kollektiven „Endlich!“-Seufzer?

Noch ist alles offen. Bis es so weit ist: Mehr Scham, bitte! Und das nicht nur, wenn es ums Fliegen geht.

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schreibt über vernetzte Welten, digitale Wirtschaft und lange Wörter (Datenschutz-Grundverordnung, Plattformökonomie, Nutzungsbedingungen). Manchmal und wenn es die Saison zulässt, auch über alte Apfelsorten. Bevor sie zur taz kam, hat sie unter anderem für den MDR als Multimedia-Redakteurin gearbeitet. Autorin der Kolumne Digitalozän.

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