Schmutzige Kriege der USA: Die Strafen der Guten

Jeremy Scahill rechnet in „Schmutzige Kriege“ mit US-Geheimdiensten und -Militär ab. Nicht jede Kritik ist nachvollziehbar. Eine Begegnung.

Protest gegen US-Drohnenangriffe in Pakistan. Bild: reuters

Jeremy Scahill wirkt aufgekratzt. Der US-Enthüllungsjournalist sitzt Mitte Oktober in einem Berliner Hotel. Nebenan spiegeln sich Sonne und Spree in den Fenstern des Bundesinnenministeriums. Manchmal zittern Scahills Hände, wenn er spricht. Am Abend wird der 39-Jährige in Potsdam sein neues, jüngst im Münchner Kunstmann Verlag erschienenes Buch vorstellen: „Schmutzige Kriege. Amerikas geheime Kommandoaktionen“.

Der Zeitpunkt ist günstig. In Deutschland wird gerade intensiv über die US-Geheimdienste diskutiert. Die Kanzlerin soll von der NSA abgehört worden sein. Obama hat davon angeblich ebenso wenig gewusst wie Kanzleramtschef Ronald Pofalla, der noch zuvor eine Debatte über Ausspähaktionen deutscher BürgerInnen durch britische und US-Dienste freudestrahlend für beendet erklärt hatte.

Doch in Scahills Buch geht es nicht nur um die Überwachungsmethoden der NSA. Es ist eine 700 Seiten starke, generelle Analyse der nach 9/11 eingerichteten administrativen Machtstrukturen in den USA.

Jeremy Scahill: „Schmutzige Kriege. Amerikas geheime Kommandoaktionen“. Verlag Antje Kunstmann, München 2013, 720 Seiten, 29,95 Euro.

„Schmutzige Kriege“ beinhaltet einen Stammbaum, der erklärt, wer beim Militär und bei den Geheimdiensten darüber Entscheidungen traf und trifft, wem der „Krieg gegen den Terrorismus“ galt und gilt – von George W. Bushs Prätorianern Rumsfeld und Cheney, die schon vor September 2001 die Fäden zogen, bis zu Obamas Paladinen wie Vizepräsident Joe Biden.

„Authorization for Use of Military Force“

„Die Vereinigten Staaten befinden sich in einem endlosen Krieg, der keinen klaren Lösungsansatz hat. Wir haben die Taktiken gesetzesloser Feinde übernommen, zum Beispiel die Anwendung von Folter oder die Einrichtung des Gefängnisses in Guantánamo auf Kuba. Und: dieser Krieg ist finanziell ein Fass ohne Boden“, sagt Scahill, der für die Wochenzeitschrift The Nation und das Politmagazin Democracy Now arbeitet.

Er bezieht sich damit auf eine Rede von Barbara Lee. Die demokratische Kongressabgeordnete hatte zwei Tage nach den Anschlägen auf das World Trade Center und das Pentagon im Repräsentantenhaus gewarnt: „Lasst uns nicht zu dem Bösen werden, was wir beklagen.“ Lee stimmte am 14. September 2001 als Einzige gegen ein Gesetz, das Präsident Bush umfangreichen Handlungsspielraum einräumte, um die Verantwortlichen für 9/11 weltweit zu jagen.

Die Verabschiedung des Gesetzes – „Authorization for Use of Military Force“ – ist für Scahill ein entscheidendes Ereignis und einer der Ausgangspunkte seiner Recherchen. Denn er versucht historisch herzuleiten, wie ein völkerrechtlich fragwürdiger, „sauberer“ Drohnenkrieg und streng geheime Missionen militärischer Spezialeinheiten gegen Terroristen und deren Organisationen ins Zentrum der nationalen US-Sicherheitspolitik rücken konnten. Fraglos ist all das – der Autor greift dafür auf ein scheinbar großes Netzwerk unmittelbar beteiligter Informanten zurück – eine beeindruckende Rechercheleistung.

Debatte ist notwendig

So umfassend und auf den ersten Blick erschreckend seine berechtigte Kritik gerade im Hinblick auf Menschenrechtsverletzungen und zivile Opfer der Drohnenangriffe erscheint, ebenso einseitig wie verbittert mutet der Tonfall des Epilogs von „Schmutzige Kriege“ an: „Heute fallen Entscheidungen über Leben und Tod von Menschen im Namen der nationalen Sicherheit Amerikas im Geheimen, Gesetze werden vom Präsidenten und seinen Beratern hinter verschlossenen Türen ausgelegt […].“

Es ist ein Satz, der Verschwörungstheoretiker jubeln lässt. Die USA, ein von Paranoia und Sicherheitswahn getriebener Machtapparat von Orwell’scher Dimension? Im Schatten einer solchen, derzeit öffentlich zerkauten Frage wird gerne vergessen, dass der Terrorismus eine reale Bedrohung darstellt, der diplomatisch kaum beizukommen ist. Eine Debatte, wie man einen Gegner, der sich in instabilen Regionen verschanzt, rechtlich einwandfrei und ohne zivile Opfer bekämpfen kann, erscheint zwar schwierig, aber zwingend notwendig.

Scahill weiß, dass eine derartige Debatte in den USA fehlt. Auch, so glaubt er, weil es um Muslime am anderen Ende der Welt gehe. Verkündet würden in Washington letztlich nur Erfolgsmeldungen: gezielte Tötungen von führenden Terroristen. Über zivile Opfer würde indes geschwiegen. „White-House-Leaks“ nennt Scahill diese Informationspolitik. Solche Schlagworte benutzt er wie publizistische Mantras, um den Blick für innere Widersprüche zu schärfen. Spricht er etwa von Obama und seinen Kriegen, betitelt er Obama stets als „Friedensnobelpreisträger“ und „Professor für Verfassungsrecht“.

Zivile Opfer schüren noch mehr Hass

Sein Buch lässt Scahill pessimistisch enden: „Doch aufgrund meiner Erfahrungen in mehreren nicht zum Kriegsgebiet erklärten Regionen auf der ganzen Welt scheint mir klar, dass die Vereinigten Staaten […] in Somalia, im Jemen, in Pakistan, Afghanistan und überall in der muslimischen Welt eine neue Generation von Feinden heranzüchten.“ Die Botschaft ist klar: Zivile Opfer schüren nur noch mehr Hass.

Bevor Scahill nach Deutschland kam, hat er monatelang in den USA für sein Buch und seinen, dort bereits erschienen, gleichnamigen und thematisch identischen Dokumentarfilm geworben, der im Januar 2013 beim renommierten Sundance Film Festival in Utah prämiert wurde. Bei Twitter hat er über 114.000 Follower – bemerkenswert für einen Journalisten. Auf die Frage, ob er sich nicht auch als Aktivist sehe, antwortet Scahill: „Ich bin definitiv ein Journalist. Die Leute wissen, dass ich ehrlich bin. Wir werden mit einer falschen Definition von Objektivität gefüttert. Es gibt immer zwei Seiten einer Geschichte. Ich bin kein Propagandist für irgendeine Seite.“

Ohne Zweifel ist Scahill hierzulande bereits ein Erfolgsautor. Die erste Auflage von „Schmutzige Kriege“ ist laut Verlag bereits abverkauft. Das große Interesse an seinem Buch aber lässt sich wohl auch mit einer nüchternen Erkenntnis von Oscar Wilde erklären: „Studiert man die Geschichte, so empfindet man den tiefsten Ekel nicht vor den Verbrechen, die die Bösen begangen, sondern vor den Strafen, die die Guten verhängt haben.“

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