Schreib mal wieder!: Kleine Akte des Nonkonformismus
Papier, Füller, Eselsohren sind nicht nur schön, sondern helfen beim Denken. Zeit, der digitalen Welt persönlich mit bewusster Analogität zu begegnen.
Neulich war ich verabredet, um 19.00 Uhr beim Italiener an der Ecke. Ich war etwas zu früh, stellte mich vor den Eingang und wartete. 10 Minuten, 20 Minuten, es wurde dunkel und mir wurde kalt. Ich warf einen Blick ins Restaurant: Die Bekannte, mit der ich verabredet war, war nicht zu sehen. Erreichen konnte ich sie nicht, denn sie hat kein Handy.
Als ich um 19.30 Uhr immer noch alleine vor der Tür stand, hungrig und durchgefroren, ging ich nach Hause. Später haben wir, in einem E-Mail-Austausch, herausgefunden, dass sie im Restaurant gewartet hatte und ich davor. Weil sie in einer hinteren Ecke des Restaurants saß, haben wir uns nicht gesehen. Und wir konnten uns nicht verständigen. Natürlich habe ich ihr nicht gesagt: „Wenn du ein Handy hättest, wäre das nicht passiert.“ Vielleicht ist es aber die Wahrheit.
Im Gegensatz zu ihr habe ich ein Handy. Ich habe auch Whatsapp, einen Account auf Instagram, die App meiner Krankenkasse und die der Deutschen Bank, Lidl Plus, Pinterest und was man sonst noch so auf einem Smartphone installieren kann. Was ich aber auch habe: einen CD-Spieler, gedruckte Bücher, einen Ausweis für die Stadtbücherei, meinen geliebten Füller, Briefmarken und einen Kalender aus Papier. Ich habe eine gedruckte Zeitung abonniert und gehöre damit offiziell zu denjenigen, die der taz als gedrucktes Format unter der Woche ein kleines bisschen hinterhertrauern.
Regelmäßig sage ich zu Freund:innen: „Ich möchte das analoge Zeitalter wieder einläuten.“ Und dabei meine ich nicht das Comeback der Analogfotografie, wobei ich fairerweise sagen muss, dass auch ich auf diese Dampflok im Rückwärtsgang aufgesprungen bin. Eigentlich meine ich, dass ich es mehr und mehr genieße, der digitalen Welt mit bewusster Analogität zu begegnen.
In der Küche in der Zeitung blättern
Das Lesen meiner gedruckten Zeitung ist ein Teil davon. Ich genieße es, morgens in der Küche in der Zeitung zu blättern oder mir einen Artikel gefaltet in die Jackentasche zu stecken, um ihn in der Bahn auf dem Weg zur Uni zu lesen. Das Lesen fühlt sich anders an. Anders als beim digitalen Lesen, trudeln nicht währenddessen Whatsapp-Nachrichten auf dem Bildschirm ein, muss ich nicht alle vier Sätze scrollen. Mit dem gedruckten Papier in der Hand ist das Lesen eine Aktivität, auf Handy eine Ablenkung von der Bahnfahrt, vom Alltag.
Es wundert mich nicht, dass nach wie vor mehr als die Hälfte der Bevölkerung in Deutschland gedruckte Zeitungen liest. Das hat zumindest der Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger e. V. in seinem Report aus dem Jahr 2024 veröffentlicht. Allerdings sind es bei den 14- bis 29-Jährigen nur 32 Prozent. Vielleicht hängt die große Anzahl der Zeitunglesenden also auch einfach mit dem hohen Alter unserer Gesellschaft zusammen? Fast alle Menschen mit gedruckten Zeitungen, die ich kenne, sind jedenfalls mindestens 60 …
Zum Lesen gehört immer auch Schreiben, und auch das mache ich gerne analog. Sämtliche Konzepte für Arbeiten im Studium, Mitschriften und Listen notiere ich mit Füller auf Papier. Die Gliederung meiner Bachelorarbeit habe ich auf einem A4-Blatt entwickelt. Und zu beachtende Aspekte in mein Notizheft notiert. Handschriftliches Schreiben, Durchstreichen, Verbinden und Markieren helfen mir beim Visualisieren meiner Gedanken. Natürlich flogen in dieser Zeit viele Papiere durch mein Zimmer. Digitalisiert habe ich meine Notizen trotzdem nicht, sondern die Zettelwirtschaft ausgehalten. Die Arbeit selber habe ich dann aber doch am Laptop getippt.
Manchmal sehen meine handschriftlichen Ergebnisse schön aus, wenn meine Schrift gleichmäßig und in geraden Linien auf dem Papier zu sehen ist. Manchmal ist das genaue Gegenteil der Fall, und ich muss mich konzentrieren, die schiefen Wörter und hingeschmierten Silben zu entziffern. Aber selbst dann freue ich mich über das Bild der blauen Tinte auf dem Papier.
Schreibwaren haben Umsatztief
Zwei meiner Freund:innen haben früher in der gleichen Stadt gewohnt. Dann hat sie das Leben in der Welt verstreut. Wie schafft man es, trotzdem in Kontakt zu bleiben? Eines Abends in einer Bar beschlossen sie: „Wir werden eine Brieffreundschaft führen.“ Seit diesem Tag schreiben sie sich regelmäßig seitenlange handgeschriebene Briefe, um über die Erlebnisse der letzten Wochen zu berichten und philosophische Gedanken auszutauschen. Das entschleunigt die Kommunikation, sagen sie, und gibt Raum für lange Erklärungen, die im Whatsapp-Chat wegfallen würden. Verstehe ich, sage ich, und frage mich, ob ich mir auch eine Brieffreundin suchen sollte. Für den Moment bleibe ich bei Postkarten, die ich regelmäßig verschicke. Und die Empfänger:innen freuen sich genauso darüber, wie ich mich beim Schreiben freue.
Deswegen kaufe ich regelmäßig Postkarten, auch Briefpapier, Stifte und Kalender. Damit liege ich aber überhaupt nicht im Trend. Der Handelsverband Büro und Schreibkultur (HBS), ja, den gibt es tatsächlich, hat Anfang des Jahres vermeldet, dass nicht nur der Gesamtumsatz für Schreibwaren im Jahr 2024 im Vergleich zum Vorjahr zurückgegangen ist (minus 4,8 Prozent), sondern dass vor allem Kalender, Ansichts- und Grußkarten (mit minus 10 Prozent) davon betroffen sind.
Auch auf dem Buchmarkt fallen die Zahlen. Seit Jahren kaufen langsam, aber sicher immer weniger Menschen Bücher. 2024 waren es mit 24,5 Millionen Personen beispielsweise 2 Prozent weniger als 2023. Persönlich habe ich in den vergangenen Monaten so viele gedruckte Bücher gekauft und gelesen wie noch nie. Mit einem echten Buch in der Tasche in die U-Bahn zu steigen, darin zu blättern und vielleicht ein Eselsohr zu knicken, möchte ich nicht missen. Und vielleicht ist das nicht nur mein persönliches Bedürfnis, sondern eins meiner Generation, denn im Gegensatz zu den Buchkäufer:innen insgesamt stieg die Zahl der Buchkäufer:innen bei den 20- bis 29-Jährigen zwischen 2023 und 2024 um 7,7 Prozent. Das Phänomen BookTok hat damit tatsächlich weniger zu tun als man denkt. Es werden zwar von Jahr zu Jahr mehr Bücher, verkauft, die über BookTok beworben werden, allerdings besteht die Leser:innenschaft zum größten Teil aus 30- bis 39-Jährigen.
Ja, ich weiß sehr genau, welche Vorteile E-Books, PDFs und E-Reader haben. Ich weiß auch, dass der Kalender auf dem Smartphone, Notiz-Apps und Messenger wahnsinnig praktisch sind. Ich hätte alles auf einem Gerät, immer und überall dabei, immer synchronisiert, immer erreichbar. Und es ist ja auch nicht so, als würde ich alles Digitale grundsätzlich verdammen. Aber für mich schneidet das Analoge in manchen Fällen besser ab als das Digitale. Ich liebe das Gefühl, ein Buch in der Hand umzublättern und das Geräusch meines Füllers auf Papier.
Ganz ohne Handy ist auch nervig
Ich gebe zu: Ein Stück weit geht es bei dieser Wertung auch einfach ums Prinzip. Um das Ablehnen der allumfassenden Digitalisierung und darum, mich dieser Digitalisierung ein Stück weit zu entziehen. Menschen, die dabei konsequent sind, haben gar kein Handy oder kaufen sich vielleicht ein Tastenhandy, für das es den schönen neuen Ausdruck Dumbphone gibt. Sowohl in Europa als auch in den USA ist der Verkauf von solchen Handys in den letzten Jahren gestiegen.
Aber so konsequent bin ich nicht: Trotz allem habe ich ein Smartphone, über das ich mich digital erreichbar mache. Und so weit, das wegzuwerfen, möchte ich nicht gehen. Zu nervig finde ich Situationen wie die vor dem italienischen Restaurant. Auf meinem Laptop schreibe ich regelmäßig, so auch diesen Text, den ich leider nicht mit Füller in mein Heft schreiben kann.
Aber diese Widersprüche sind Teil des neuen analogen Zeitalters: Mir sind die Flexibilität, die mir Smartphone und Laptop geben, ebenso wichtig wie meine analogen Gewohnheiten. Der Widersprüche zwischen Whatsapp und Postkarte, zwischen Laptop und Papierkalender bin ich mir bewusst. Aber sie auszuhalten, ist wichtig. Es sind diese kleinen Akte des Nonkonformismus, diese, sagen wir Mikro-Rebellion gegen die Digitalisierung, die das neue analoge Zeitalter ausmachen.
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