Schriftsteller über Griechenlandkrise: "Wir müssen bankrottgehen"

Angesichts der Krise Griechenlands wandelt sich der beliebte Schriftsteller Giannis Makridakis vom Kulturpessimisten zum Optimisten.

Die griechische Wirtschaftskrise kann auch ein reinigendes Gewitter sein. Bild: dapd

taz: Herr Makridakis, in Ihrem letzten Roman "Wintersonne" bringt die Umstellung vom julianischen auf den gregorianischen Kalender das Leben der Hauptfigur komplett durcheinander. Hat Griechenland die Aufnahme in die EU ähnlich überfordert?

Giannis Makridakis: Die Griechen sind ein östliches Volk, aber eines, das in kürzester Zeit viel leichtes Geld bekommen und angefangen hat, sich wie ein Volk des Westens zu benehmen. Das ist ihm nicht gut bekommen.

Warum?

Weil die Bildung fehlt. Das zeigt sich zum Beispiel im Geltungsdrang, den viele Griechen haben. Wer hier Geld hat, ist meistens neureich. Und Neureiche wollen zeigen, was sie auf einmal besitzen. Wenn man in Wohlstand aufwächst, ist das nichts Besonderes, es hat nicht mehr diesen Stellenwert. Die aktuelle Krise in Griechenland ist nicht nur eine finanzielle, sondern sie geht viel tiefer: Wir haben es mit einer Krise der Werte, der Bildung und Erziehung zu tun.

Was sind die Auslöser für diese kulturelle Erschütterung?

In Gang gesetzt hat sie die Aufnahme in die Europäische Gemeinschaft vor dreißig Jahren. Auf einmal wurden dem Land riesige Kredite gewährt. Dank des geliehenen Geldes, das Andreas Papandreou ab 1980 nach Griechenland brachte, hat er den Griechen das Gefühl gegeben, reich zu sein und Geld ausgeben können. Zu dieser Zeit ist halb Griechenland zum Frührentner oder Beamten geworden. Das Schuldenproblem hat also vor dreißig Jahren begonnen.

Giannis Makridakis, geb. 1971 auf Chios, lebt dort als Landeshistoriker, Publizist und Autor. Seit 2008 schreibt er Romane und zählt mittlerweile zu den beliebtesten Schriftstellern Griechenlands ("Wintersonne", 2010).

Wenn das Problem bereits seit drei Jahrzehnten gedeiht, warum hat niemand früher reagiert, warum hat niemand eingegriffen?

Die griechische Regierung baute mit dem geliehenen Geld ihre Klientel- und Vetternwirtschaft immer weiter aus. Deutschland hat nichts gesagt, weil das geliehene Geld in Form von Exporten wieder nach Deutschland zurückgeflossen ist. Viele Griechen haben Jahrzehnte lang ungezügelt das geliehene Geld mit vollen Händen ausgegeben, vor allem um deutsche Produkte zu kaufen: Autos, Fernseher, Kühlschränke, Klimaanlagen - mit dieser Produktpalette hat sich Griechenland modernisiert.

Warum haben sich die griechischen Bürger so leichtfertig verschuldet?

Mit den Krediten wurde leicht zugängliches Geld in ein bis dahin armes Land gespült. Geld avancierte zum größten Wert der Gesellschaft. Die griechische Bevölkerung hat sich aufs Geld eingeschossen und das niedrige kulturelle Niveau unseres Lebens, unserer Gesellschaft, unserer Literatur, unserer Fernsehunterhaltung, das alles war nachrangig. Diese tiefe gesellschaftliche Wertekrise hat sich zu einer Wirtschaftskrise ausgeweitet. Aber die Ökonomie musste erst zusammenbrechen, damit das griechische Volk seinen sozialen und kulturellen Verfall überhaupt auch nur bemerkt.

Stehen Sie der Europöischen Union skeptisch gegenüber?

Ich bin auf Chios, einer griechischen Insel am Rande von Griechenland, am Rande der Europäischen Union geboren. Hier hat sich die ägäisch-griechische Kultur über Jahrtausende entwickelt und erhalten. Nehmen sie zum Beispiel die Fischerboote auf Chios. Sie haben eine lange Tradition. Seit Jahrhunderten benutzen wir die Holzboote zum Fischen und um den Kontakt zu den anderen Inseln aufrechtzuerhalten. Auch mein Vater, zeitlebens ein Fischer, besaß bis vor Kurzem so ein altes Fischerboot.

Heute hat er es aufgrund eines EU-Gesetzes zersägt. Fischer erhalten von der EU Geld, um diese Boote endgültig aus dem Verkehr zu ziehen - mehr Geld als das, was sie mit dem Verkauf des Boots oder der Lizenz erwirtschaften könnten. Immer mehr kulturelle Eigenheiten der EU-Länder gehen verloren, und deswegen bin ich skeptisch: Alles wird zugunsten der Wirtschaftlichkeit aneinander angeglichen.

Was soll die EU tun?

Die Besonderheiten und Unterschiede jedes europäischen Landes sollten gefördert werden. Es kann nicht sein, dass man bald kein traditionelles kafeneion in Griechenland findet, dafür alles mit Caféketten übersät ist, und wir nur noch Plastikboote haben. In einigen Jahren werden die Touristen nach Griechenland in den Urlaub fliegen und ein zweites Deutschland vorfinden. Und das wird niemandem gefallen.

Sollte Griechenland also besser aus der EU austreten?

Nein, keineswegs. Die EU muss vielmehr ihre Orientierung und ihre Werteordnung verändern. Es kann nicht sein, dass das einzige Ziel der EU eine starke Währung und ein gutes wirtschaftliches Netz sind. Wir sollten stattdessen ein Gegengewicht zu den USA aufbauen. Wenn dort der Schwerpunkt auf Geld und Kapitalismus liegt, sollten wir hier in Europa den Menschen und den Schutz der Vielfalt in den Mittelpunkt stellen.

Fühlen sich viele Griechen von der EU ungerecht behandelt?

Nein. Aber man hat in Griechenland das Gefühl, dass das Land schon längst bankrott ist und Weltbank und EU es im Moment nur nicht pleitegehen lassen, weil sie den Schaden für die Banken begrenzen wollen. Wir haben das Gefühl, dass die griechischen Bürger komplett ausgesaugt werden, dass man man ihnen alles nimmt, was noch zu holen ist - Geld, Grundstücke, Unternehmen -, aber sobald die Banken nicht mehr so viel abschreiben müssen, lässt man das Land pleitegehen.

Was wird aus Griechenland nach dieser Krise?

Ich habe viele Jahre den Werteverfall in Griechenland beobachtet und war, was die Zukunft angeht, sehr pessimistisch - bis vor Kurzem. Denn jetzt denke ich: Die Wirtschaftskrise als die Spitze des Eisbergs, sie markiert einen Wendepunkt. Diese Krise wird vielen eine Lehre sein, und sie wird Griechenland verändern. Wir werden bankrottgehen - wir müssen bankrottgehen -, um dann mit einem anderen Kurs neu anzufangen. Ich bin optimistischer als vor zehn Jahren. Für Griechenland gibt es Hoffnung, nach dem offiziellen Bankrott werden sich die Dinge zum Guten wenden.

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