Schulstreik in Bayern: "Scheiß-G8, lernen die ganze Nacht"

In Bayern streikten tausende Gymnasiasten für bessere Lernbedingungen in der umgebauten Oberstufe. Bildungsminister Spaenle (CSU) gelobt Korrekturen, Besserung ist aber nicht in Sicht.

Fotografiert auf der Demonstration am 12.02. in München. Bild: dpa

MÜNCHEN taz | Nach fünf Minuten hat Ludwig Spaenle genug. Der bayerische Bildungsminister wünscht den Schülern "schöne Ferien". Dann gehrt er. Die Gymnasiasten pfeifen. Rund 2.000 Menschen sind nach München auf den verschneiten Odeonsplatz gekommen. Sie protestieren gegen den kaum mehr tragbaren Lernstress, gegen Stundenpläne, die ihnen kaum noch Zeit für Freunde oder Freizeit lassen. "Wir sind überarbeitet, unsere Lehrpläne nicht", steht auf einem Transparent, "Uns wirds zu viel" auf einem anderen. Sie singen "Scheiß-G8, wir lernen die ganze Nacht." Der Bildungsminister sagt schlicht: "Ich nehme jede Kritik, jedes Problem, das aus ihren Reihen benannt wird, sehr ernst."

Seit der damalige Ministerpräsident Edmund Stoiber 2004 in Bayern völlig übereilt das achtstufige Gymnasium G8 eingeführt hat, herrscht Chaos an den ehemaligen Vorzeigeschulen des Freistaats. Im Herbst trat der erste Jahrgang in die radikal reformierten Oberstufe "Q11" ein. Schüler und Eltern waren geschockt. Die Wochenstundenzahl ist viel höher als in der alten Oberstufe. Die Menge des Lernstoffs hat rasant zugenommen. Schule bis zum späten Nachmittag, Lernen bis in die Nacht, so sieht der Alltag der Q11-Gymnasiasten aus.

Am Freitag streikten die Schüler und gingen in mehreren bayerischen Städten auf die Straße. Sie fordern schnelle Änderungen an der Oberstufe. Bildungsminister Spaenle von der CSU setzt auf "Prozesssteuerung", wie er es nennt. Es solle noch mehr darauf geachtet werden, dass Unterricht und Prüfungen auf Grundkurs-, nicht auf Leistungskursniveau abgehalten werden. Das Bildungsministerium erfasst erst mal bei den am Freitag verliehenen Zwischenzeugnissen die Durchschnittsnoten in allen Fächern und vergleicht die Ergebnisse der Q11-Oberstufenschüler mit denen, die noch nach dem alten Oberstufensystem lernen. Notfalls soll es neue Maßnahmen geben. Das erzählt Spaenle den protestierenden Schülern auf dem Odeonsplatz. Doch die sind nicht begeistert.

Sie sind nicht die Einzigen, die von Spaenles Politik enttäuscht sind. Die Nachbesserungen taugten nichts, sagt der Präsident des Bayerischen Lehrerinnen- und Lehrerverbands, Klaus Wenzel, der taz. Es gebe Bereitschaft zu echten Änderungen. "Spaenle ist ein Getriebener. Er hat das Heft nicht in der Hand", so Wenzel. Der Druck auf den Bildungsminister nehme zu, meint der Vorsitzende des Bildungsausschusses im Landtag, Hans-Ulrich Pfaffmann von der SPD. "In der Schul- und Elternszene hat er schon verloren."

Während sich die Opposition klar gegen Spaenle stellt - SPD, Grüne und Freie Wähler unterstützen die Proteste offiziell -, findet der Koalitionspartner FDP nur wenige kritische Worte. "Eigentlich ist es nur ein Umsetzungsproblem", sagt Renate Will, die Bildungssprecherin der FDP-Fraktion. Man habe Schulleiter und Lehrer bei der Reform nicht ausreichend mitgenommen. "Umsetzung und Kommunikation gingen sehr zögerlich voran." Um die Probleme zu beheben, müssten die Klassenstärken noch weiter reduziert und Ganztagsschulen ausgebaut werden, sagt FDP-Frau Will.

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