Schulze und Pistorius in Afrika: Strategiewechsel im Sahel

Die Mali-Mission der Bundeswehr ist gescheitert. Jetzt reiste der Verteidigungsminister mit der Entwicklungsministerin in den Sahel. Das ist neu.

Boris Pistorius und Svenja Schulze am Militärstützpunkt

Boris Pistorius und Svenja Schulze im Camp Vie Allemand in Niamey Foto: Michael Kappeler/dpa

BAMAKO/GAO taz | Es gibt schönere Orte, um Präsenz zu zeigen. Die Sonne knallt auf die faustgroßen Kieselsteine, die fast den gesamten Boden im Militärstützpunkt von Niamey im Niger bedecken. Der Wüstenwind bläst wie ein Heißluftfön, man fühlt sich wie in einer überdimensionierten Sauna. Hier sind 150 Bun­des­wehr­sol­da­t:in­nen stationiert. Sie leisten bis zu sechs Monate Dienst inmitten des mit Sandsäcken und Stacheldraht umzäunten Areals. Die meisten verlassen das Camp während der gesamten Dienstzeit nie.

Doch auf Niamey und diesem Bundeswehrstützpunkt ruht die Hoffnung. Nicht nur weil er das Drehkreuz für den Abzug der Bundeswehr aus dem benachbarten Mali sein wird. Der wesentlich größere und schärfer gesicherte deutsche Militärstützpunkt in Gao, wo derzeit 1.100 Sol­da­t:in­nen stationiert sind, die sich an der UN-Mission Minusma beteiligen, liegt nur eine dreiviertel Flugstunde entfernt. Gerade wird im Camp in Niamey eine neue Abfertigungshalle gebaut, ab Juni sollen über den benachbarten Flughafen Menschen und Material aus Mali ausgeflogen werden.

Die Zusammenarbeit bleibt

Parallel zum Abzug soll in Niamey etwas Neues beginnen. Die Bundes­regierung hat beschlossen, dass sich die Bundeswehr mit bis zu 60 Sol­da­t:in­nen an der europäischen Militärmission EUMPM beteiligen wird. In der nächsten Woche will der Bundestag den Antrag debattieren. Es soll dabei nicht um Kampfeinsätze gehen – die Bundeswehr soll das nigrische Militär bei der Ausbildung unterstützen und eine Technikerschule aufbauen.

Der Einsatz markiert auch einen Strategiewechsel. Statt großer Militäreinsätze, wie in Afghanistan und Mali, setzt Deutschland auf kleinere Missionen und auf Entwicklungszusammenarbeit. „Sicherheit ist nicht nur militärisch zu verstehen, sondern bedeutet auch, sich um die Situation der Menschen vor Ort zu kümmern“, sagt Entwicklungsministerin Svenja Schulze, SPD, am Mittwoch in Niamey. Auch Verteidigungsminister Boris Pistorius scheut sich anders als seine Vorgänger nicht, militärische Sicherheit und Entwicklungszusammenarbeit in einem Atemzug zu nennen. Das eine ohne das andere funktioniere nicht, sagt Pistorius. Zum Abschluss der Reise bekräftigte er: „Mit dem Abzug aus Mali schließen wir ein Kapitel ab, aber die Zusammenarbeit bleibt.“

Deutschland zeigt Präsenz im Sahel

Dieser integrierte Ansatz soll Teil der Nationalen Sicherheitsstrategie sein, die die Ampelkoalition demnächst vorstellen will. Schulze und Pistorius wirkten wie die Protagonisten in einem Trailer zur Sicherheitsstrategie, als sie demonstrativ gemeinsam von Mittwoch bis Freitag die Länder Niger und Mali bereisten.

Deutschland zeigt Präsenz im Sahel, einer der ärmsten Regionen der Welt, wo die vielen Krisen, der Klimawandel, das Bevölkerungswachstum, der Mangel an Nahrungsmitteln, der schlechte Zugang zu Bildung und der Einfluss islamistischer Prediger aus Saudi-Arabien Terrorismus und Flüchtlingsströme produzieren. Und wo China und Russland – die einen mit Investitionen, die anderen mit Söldnern – an Einfluss gewinnen.

Der Abzug aus Mali ist Ausdruck eines Scheiterns

Dass man mit Militärmissionen nur sehr begrenzt etwas erreichen könne, hätten die Einsätze in Afghanistan und in Mali gezeigt, sagt die grüne Verteidigungsexpertin Agnieszka Brugger. „Am Ende sind politische Faktoren entscheidender, ob Entwicklung erfolgreich verläuft, etwa dass die Regierungen vor Ort in der Lage sind, stabile demokratische Strukturen aufzubauen.“

Als sie vor zehn Jahren Mali zum ersten Mal besuchte, habe Euphorie im Land geherrscht – der Vormarsch der Dschihadisten gestoppt, ein Friedensabkommen in Reichweite. Nun ist sie als Teil der Delegation um Pistorius und Schulze zum wiederholten Mal in Mali, wo die demokratisch gewählte Regierung vor zwei Jahren weggeputscht wurde – und spürt die Enttäuschung über die verfehlte Entwicklung vor Ort.

Der Abzug der Bundeswehr aus Mali ist auch Ausdruck eines Scheiterns.

Die Menschen flüchten vor den Islamisten

Das benachbarte Niger soll nun zum Stabilitätsanker in der Region werden. Niger hat, anders als die benachbarten Sahel-Staaten, immerhin eine demokratisch gewählte Regierung. Aber taugt das laut UN drittärmste Land der Welt wirklich zum Stützpfeiler für eine ganze Region?

Außerhalb des deutschen Camps in Niamey ist das Leben härter. Auf Einladung des Entwicklungsministeriums kommt eine Gruppe von Bür­ger­meis­te­r:in­nen ins Camp.

Die vielen Menschen, die vor den Dschihadisten fliehen, sei es aus dem Sudan, dem benachbarten Mali oder aus dem unsicheren Norden des Landes, seien ein „Riesenproblem“, sagt Mohamed Anacko, Präsident des Regionalrates von Agadez, einer Region im Norden von Niger. „Wir haben hunderttausend Flüchtlinge aufgenommen, aber wir schaffen es schon lange nicht mehr, alle Asylanträge zu bearbeiten. Die Menschen müssen bis zu fünf Jahre warten, bis ihr Antrag durch ist. So lange wartet niemand, die jungen Leute fangen eher an zu schießen.“ Er fordert die EU auf, ihre Strategie zu ändern und sein Land stärker zu unterstützen.

Zentrum des islamischen Terrorismus in Afrika

Die EU hat 2016 ein Flüchtlingsabkommen mit dem Niger geschlossen: Wir geben euch Geld, ihr stoppt die Transitflüchtlinge, die an die libysche Küste und von dort nach Europa wollen, so der Deal. Doch das funktioniere längst nicht mehr, meint Anacko. „Wir sind kein Transitland mehr, sondern Zielland. Die Menschen kommen zu uns, um zu bleiben. Wir brauchen Geld, um uns um sie zu kümmern, für Infrastruktur, Wasser, Gesundheit, Bildung. Sonst wird Agadez zum Zentrum islamistischer Bandenkriminalität.“

Das kann nicht im Interesse der Deutschen sein. Der Sahel gilt als Zentrum des islamischen Terrorismus in Afrika. Dass er wieder nach Europa überschwappt, sieht man in Regierungskreisen als reale Gefahr.

Bildung und Gesundheit stärken

Ein weiteres Problem ist das Bevölkerungswachstum in der Region. „Ein Mann kann bis zu vier Frauen haben, und manche Mädchen werden schon im Alter von 12 Jahren verheiratet. Die Frauen hier bekommen im Schnitt 6 bis 8 Kinder“, erzählt Moussa Aissa Ali, die Bürgermeisterin der Gemeinde Sakoira nördlich der Hauptstadt Niamey. Sie ist eine von nur 14 weiblichen Bürgermeistern in Niger. „Der Staat gibt sehr viel Geld für Sicherheit aus. Aber wir müssen vor allem Bildung und Gesundheit stärken, vor allem für Mädchen und Frauen, das schafft Stabilität und damit auch Sicherheit“, sagt sie.

Die Bildung für Mädchen zu verbessern hat der nigrische Präsident Mohamed Bazoum bei Amtsantritt 2021 zur Priorität erklärt. Doch aktuell geht fast die Hälfte der Kinder in Niger nicht zur Schule, unter den Mädchen ist der Anteil noch höher. In den anderen Sahelländern Mali, Tschad, Burkina Faso und Mauretanien ist es ähnlich. „Da wächst eine sehr junge Bevölkerung heran, die kaum die Schule besucht hat“, sagt Ulf Laessing, Direktor für den Sahel bei der Konrad-Adenauer-Stiftung in der malischen Hauptstadt Bamako.

Entwicklungsministerin Schulze will dem Terrorismus den Nährboden entziehen. Wenigstens ein bisschen. Doch wie weit reichen 400 von Deutschland gebaute Klassenzimmer und Unterstützung für 8.000 Bäue­r:in­nen in einem Land mit 25 Millionen Menschen, von denen die Hälfte in absoluter Armut lebt. Es scheint eine Mission impossible zu sein.

Wo bleibt der Übergang zur Demokratie?

Immerhin soll die deutsche Entwicklungszusammenarbeit mit dem Niger stabil bleiben, könnte sogar wachsen. Denn die deutschen Ent­wick­lungs­hel­fe­r:in­nen und Sol­da­t:i­nnen sind hier willkommen. Die malische Militärregierung wendet sich dagegen zunehmend ab.

Inzwischen hat sich die Stimmung zwar etwas entspannt. Schulze und Pistorius werden beide vom malischen Putschpräsidenten Assimi Goïta empfangen. Allerdings anders als ursprünglich vereinbart ohne Pressebegleitung und damit ohne kritische Nachfragen.

Kein gutes Omen für den von der malischen Regierung angekündigten Übergangsprozess hin zur Demokratie. Ob dieser gelingt, davon wird es auch abhängen, wie stark sich Deutschland weiterhin in dem Land engagiert.

Eher Suche als Strategie

Schulzes Botschaft lautet zwar: Wir bleiben, auch nachdem die Bundeswehr abgezogen ist. Doch klar ist bereits: Im Jahr 2021 stellte das Entwicklungsministerium 70 Millionen Euro für die bilaterale Entwicklungszusammenarbeit mit Mali bereit. Im nächsten Haushalt wird für diesen Posten aber eine drastische Kürzung erwartet. Es geht dabei allerdings um große Infrastrukturprojekte, die in Zusammen­arbeit mit dem malischen Staat entstehen.

„Im Moment gehen die Sätze für Mali etwas runter und für Niger etwas hoch, weil wir auch Demokratien fördern wollen“, sagt Schulze. Was bedeutet das für Projekte wie das von Tako Sylla, die in Bamako und Umgebung eine Kooperative von Mangoproduzentinnen leitet? „Wir sind 14 Unternehmerinnen, alles Frauen“, berichtet sie. Die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit unterstützt sie bei der Suche nach Märkten und mit besseren Werkzeugen. „Wir brauchen die deutsche Unterstützung“, sagt sie. „Am besten mehr davon.“

Sich aus solchen autoritär regierten Staaten zurückzuziehen ist keine Option. Das würde bedeuten, China und Russland noch mehr Raum zu geben. Es ist eine Gratwanderung. Eher Suche als Strategie.

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