Schutz und Risiko bei Sportereignissen: Die Arena als Hochsicherheitstrakt

Die großen Sportevents der letzten Zeit waren bereits Spiele in gepanzerten Stadien. Paris zementiert nur den Status quo.

Am 13. November rennen mehrere Menschen nach dem Freundschaftsspiel auf das Spielfeld

Am 13. November rennen mehrere Zuschauer nach dem Freundschaftsspiel auf das Spielfeld. Foto: ap

Es war ein denkwürdiger Anblick. Plötzlich stand ein Panzerwagen vorm internationalen Pressezentrum. Unklar, was die Sicherheitsbehörden von Peking im Jahr 2008 damit demonstrieren wollten, aber der Panzerwagen, postiert im Herzen der Olympischen Sommerspiele, war ein Zeichen dafür, dass Großereignisse immer auch von einem Großaufgebot von Polizei und Militär begleitet werden. Die chinesischen Veranstalter bemühten sich gar nicht erst um Diskretion, für alle sichtbar stand der Stahlkoloss wie ein Mahnmal in der schwülen Hitze von Peking.

Der Eindruck des gepanzerten Sports verstärkte sich durch umfassende Kontrollen, nicht nur der Medien. Wer ins Stadion wollte, der musste durch Sicherheitsschleusen, die Tasche öffnen, mehrmals am Tag. Aber diese sicherheitspolitische Aufrüstung rund um Sportereignisse hatte nichts mit einer besonderen Paranoia der chinesischen Veranstalter zu tun. Sie setzten nur Standards um, die damals schon mehrere Jahre fest etabliert waren.

Der Anschlag während der Olympischen Sommerspiele von Atlanta und die Ereignisse von 9/11 haben aus den Spielen und allen anderen bedeutenden Sportveranstaltungen Planspiele von Sicherheitsexperten gemacht. Die großen Events des globalisierten Kommerzsports haben schon lange ihre Unschuld verloren – nicht erst nach den Anschlägen von Paris. Risikoabschätzung wird seit Jahren mit der gleichen Akribie betrieben wie der Formaufbau der Athleten.

Naiv, unbeschwert und lax geht niemand mehr in so ein Ereignis, das geschützt werden muss gegen potenzielle Bedrohungen. So entsteht zwangsläufig eine Atmosphäre der Gängelung, der Bevormundung und der Unfreiheit.

Wer aus dem Hoch­sicherheitstrakt mit Eventsportbegleitung berichten will, der gibt wie selbstverständlich Freiheitsrechte ab

Unumkehrbarer Trend

Jeder kennt die unwürdigen Szenen, wenn man am Flughafen, bevor die Leibesvisitation und der Metallscan ansteht, die Schuhe ausziehen, den Gürtel abstreifen muss. Nicht anders der Spießrutenlauf, der ins Pressezentrum einer Großveranstaltung führt. Da müssen Laptops hochgefahren und die Identität nachgewiesen werden. Geheimdienst und Verfassungsschutz haben vorher Sicherheitsüberprüfungen durchgeführt. Wer fliegen will beziehungsweise wer berichten will aus dem Hochsicherheitstrakt mit Eventsportbegleitung, gibt Freiheitsrechte ab.

Man kann das wie die taz während der Leichtathletik-WM 2009 problematisieren und das Ereignis wegen der offenkundigen Kriminalisierung von Journalisten boykottieren, aber der Trend ist unumkehrbar.

In London 2012 waren Scharfschützen auf Dächern postiert, in Sotschi 2014 schien die Armee ein Manöver zu veranstalten. Überall waren große und kleine Posten eingerichtet, standen Militärfahrzeuge, Uniformierte und Zäune. Auch hier gab man sich keine Mühe, die Militarisierung der Spiele zu bemänteln. Die Militärstützpunkte stachen mit ihrem Tarnweiß absurd heraus in einer grauen Winterlandschaft.

Totalitäre Systeme versprechen gern totalen Schutz. Aber das ist eine Illusion, genauso wie das Versprechen einer totalen Effizienz der Sicherungsmaßnahmen. Bei der Fußball-WM in Brasilien konnten Journalisten vor der offiziellen Eröffnung des Turniers kreuz und quer im Stadion von Salvador da Bahia herumlaufen. Alles stand offen, auch die VIP-Bereiche. Taschen wurden nicht kontrolliert. Der Metalldetektor schien nur bei dem anzuschlagen, der einen Amboss mit sich trug.

Unbekümmertheit ist Vergangenheit

Es gibt viele solche Anekdoten, und wer sie erlebt hat, fragt sich, ob es nicht grundsympathisch ist, wenn die Sicherheitsleute die Bedrohungslage auch mal vergessen – oder ob es nicht brandgefährlich ist. Es ist eine Gratwanderung: Stadien mögen unter großer Anstrengung zu sichern sein, der Menschenauflauf davor ist es schon nicht mehr.

Jeder neue Anschlag verstärkt nicht nur das Gefühl der Unfreiheit, er macht tatsächlich unfreier, weil immer irgendwo Sicherheitsmaßnahmen angezogen oder Überwachungskameras installiert werden. Endgültig vorbei sind die Zeiten, wo Sport einfach nur Sport war, wo Ordner nachlässig waren und Fans unbekümmert. Es gibt dazu schöne Geschichten aus der Vergangenheit. Sie stammen aus einem anderen Jahrtausend.

1971 zum Beispiel war Bayer Uerdingen in die Regionalliga West aufgestiegen, damals eine der fünf zweiten Ligen in Westdeutschland. Das Team war überraschend erfolgreich, und mit jedem Heimspiel kamen mehr Zuschauer in die Grotenburg-Kampfbahn. Aber immer verkündete der Stadionsprecher: 6.500 Zuschauer. Die Leute lachten jedes Mal lauter. Der Grund: Eine Eintrittskarte war unnötig, um ins Stadion zu kommen. Sicherheit? Man brauchte nur ein Eine-Mark-Stück. Jugendliche der Leichtathletik-Abteilung waren Ordner – und bald hatte es sich in halb Krefeld herumgesprochen, dass man denen nur ein Geldstück in die Tasche stecken musste, statt eine Karte vorzuzeigen.

Als die Stadien noch keine Arenen waren, war der wichtigste Sicherheitsaspekt, dass keine Fans, ob im Wedaustadion oder der Glückaufkampfbahn Gelsenkirchen, in den Bäumen oberhalb der Stehplätze standen: Da wiesen Stadionsprecher gerne drauf hin. Perdu.

Der große Sport ist heute verletzlich, weil er mit allen Insignien der westlichen Welt protzt. Das haben die Terroristen, denen es um größtmögliche Aufmerksamkeit geht, verstanden. Immerhin: Der Ball rollt weiter, auch heute Abend während des Länderspiels der Deutschen gegen die Holländer.

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