Schwangerschaftsabbrüche und Corona: „Blutungen bis zum Tod“

Ärzt:innen schlagen Alarm: Durch die Corona-Krise werde der Zugang zu Abbrüchen so erschwert, dass ungewollt Schwangere in Gefahr sind.

Kleiderbügel

ExpertInnen befürchten, dass vermehrt unprofessionelle Abbrüche durchgeführt werden könnten Foto: Imago

BERLIN taz | Ärzt:innen und Fachverbände fürchten um Gesundheit und Leben von Frauen, weil die Expert:innen den Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen während der Corona-Pandemie gefährdet sehen. In einem gemeinsamen Papier schreiben die Netzwerke Doctors for Choice und Pro Choice, der Arbeitskreis Frauengesundheit in Medizin, Psychotherapie und Gesellschaft und die Deutsche Gesellschaft für Familienplanung Pro Familia: „Wir befürchten, dass Frauen wieder zu ‚unsicheren Abtreibungsmethoden‘ greifen – mit der Gefahr von gesundheitlichen Schäden wie Entzündungen, Sterilität und Blutungen bis hin zum Tod.“

Ungewollt Schwangere müssen in Deutschland mehrere Termine außer Haus wahrnehmen, um einen Abbruch bekommen zu können: Die Pflichtberatung, eine gynäkologische Untersuchung, eine Ultraschalluntersuchung, den Abbruch und eine Nachuntersuchung. Dies sei wegen Corona nun „akut gefährdet“, heißt es: Durch Einschränkungen in den Beratungsstellen, Quarantänen, Ausgangsbeschränkungen und Reisebeschränkungen in Nachbarländer. Damit könne vielfach die Frist nicht mehr eingehalten werden, bis zu der Abbrüche in Deutschland möglich sind, so die Befürchtung.

Die Verbände fordern deshalb von Bundes- und Landesregierungen sowie den Krankenkassen, dass der Abbruch mit den „Abtreibungspillen“ Mifegyne und Cytotec mit telemedizinischer Begleitung bis zum Ende der neunten Schwangerschaftswoche nach nur einem Besuch bei einer Ärztin zu Hause zugelassen wird. Dies entspreche auch den Richtlinien der Weltgesundheitsorganisation WHO.

„Ein Schwangerschaftsabbruch ist keine elektive Leistung, sondern ein Notfall“, sagte Christiane von Rauch, Vorständin des Vereins Pro Choice. Im Sinne der Pandemiebestimmungen müssten Abbrüche zudem als solche anerkannt und in den Kliniken auch chirurgisch weiter gesichert werden. Praxen und Kliniken müssten für Schwangere geöffnet bleiben.

„Den Frauen rennt die Zeit weg“

Die Ärztin Kristina Hänel, die wegen Paragraf 219a angeklagt ist, sagte: „Den Frauen rennt die Zeit weg.“ Sie beobachte schon jetzt, dass ungewollt Schwangere verstärkt in späteren Wochen zu ihr in die Praxis kämen, weil sich der bürokratische Ablauf für einen Abbruch noch schwieriger gestalte als zuvor.

Hänel hat sich deshalb strikte Regeln auferlegt: „Ich habe persönlich keine direkten Kontakte mehr zu anderen Menschen. Ich habe alle Kontakte auf zwei bis drei Meter eingeschränkt – auch im Privatleben, um meine Arbeitskraft zu erhalten.“ In ihrer Praxis in Gießen hat sie Schichtbetrieb eingeführt. Mitarbeiterinnen arbeiten im zweiwöchigen Wechsel: Ein Teil des Teams bleibt zu Hause, so dass sie die Praxis weiterführen können, sollte ein Krankheitsfall auftreten. Ungewollt Schwangere dürfen keine Begleitung mehr zu den Abbrüchen mitbringen.

Unklar sei auch noch, wie man künftig mit ungewollt Schwangeren umgehe, die bereits positiv getestet seien. Einen solchen Fall habe sei bisher noch nicht gehabt, so Hänel, sie werde im Einzelfall entscheiden müssen. Von Rauch warnt jedoch schon jetzt, dass Abtreibungspraxen teilweise nicht ausreichend mit Schutzkleidung und Schutzmasken versorgt seien.

Schon jetzt 120 bis 130 Kilometer Fahrt

Wie problematisch die Situation für ungewollt Schwangere schon jetzt ist, sieht man beispielsweise in Bayern. In Ostbayern, sagte der dortige Landesgeschäftsführer von Pro Familia, Thoralf Fricke, habe der letzte verbliebene Arzt, der nach der zehnten Woche überhaupt noch Abbrüche durchführte, im Zuge der Corona-Pandemie seine Arbeit niedergelegt. Er sei schon über 70 Jahre alt und sorge sich um seine Gesundheit und die seiner Patientinnen.

Auch für Abbrüche bis zur zehnten Woche müssten die Frauen allerdings schon 120 bis 130 Kilometer weit fahren. Wer kein eigenes Auto hat oder Kinder betreuen muss, könne dies kaum leisten. Manchmal dürfe auch der Partner nicht mitbekommen, dass ein Abbruch geplant ist. „Das alles ist schon ohne Corona schlimm“, sagte Fricke. „Jetzt ist die Lage wirklich dramatisch. Auch diejenigen, die nach Österreich gefahren sind, Salzburg, Wien – das ist jetzt schwierig.“

Durch die Reisebeschränkungen sind derzeit auch Spätabbrüche in anderen Ländern wie den Niederlanden oder Großbritannien nicht möglich, warnt Doctors for Choice. Gefährdet sind insbesondere polnische Frauen. In Polen sind Abtreibungen beinahe gänzlich verboten, polnische Frauen reisen für Abbrüche deshalb häufig nach Deutschland.

„Die ganze Zeit mussten wir uns mit den Moralvorstellungen auseinandersetzen, und jetzt plötzlich ist da, was wir immer gesagt haben: Wir müssen das Leben der Frauen schützen“, sagt Kristina Hänel. „Wenn die Frauen keine Wege finden, werden sie wieder in Lebensgefahr geraten. Entweder über Suizide oder durch misslungene Abbrüche.“

In Ländern, in denen es keinen Zugang zu Abbrüchen gebe, komme es immer wieder vor, dass Frauen sich in den Unterleib schlagen lassen oder größere Mengen von Medikamenten schlucken, weil sie hoffen, dass diese Blutungen auslösen, sagte Christiane von Rauch, Vorständin des Vereins Pro Choice.

Der Verein unterstützt unter anderem die Ärzt:innen, die wegen des Paragrafen 219a angeklagt sind. Auch in der hiesigen älteren Generation hätten Frauen versucht, Gegenstände in den Muttermund einzuführen oder Seifenlösungen in die Gebärmutter zu spritzen, um einen Abbruch auszulösen, so von Rauch. „Das funktioniert natürlich alles nicht.“

Andere europäische Länder ergreifen im Zuge der Corona-Krise Maßnahmen, um ungewollte Schwangerschaften besser verhindern zu können. In Frankreich etwa bekommen Frauen die Pille bis Ende Mai auch ohne neues Rezept. Das Recht der Frauen, über ihren Körper zu bestimmten, könne in Zeiten einer Gesundheitskrise nicht infrage gestellt werden, hieß es in einer Mitteilung.

Der Text ist eine Kooperation von taz und Buzz Feed

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