Schwarz-Grün gegen Offenlegung: NSU-Akten bleiben verschlossen

Eine Petition fordert, die hessischen NSU-Unterlagen öffentlich zu machen. Doch die schwarz-grüne Landesregierung bleibt stur.

Eine Fau hält einen Karton mit Unterschriftenlisten in der Hand, neben ihr drei Männer.

Kassel, Anfang 2020: Übergabe der Unterschriftenliste zur Offenlegung der NSU-Akten Foto: Peter Hartenfelser/imago

FRANKFURT AM MAIN taz | Nach taz-Informationen hat der Petitionsausschuss des hessischen Landtags am Mittwoch die Forderung nach Offenlegung der geheimen hessischen NSU-Akten mit der Mehrheit von CDU und Grünen zurückgewiesen. Offiziell gab es für diese Entscheidung weder eine Bestätigung, noch wollten die Landtagsparteien dazu Stellung nehmen. Hinter der Forderung, die Akten freizugeben steht die Petition Change.org/NSU-Akten.

Für die Sitzungen des Petitionsausschuss gilt Vertraulichkeit, weil dort in der Regel persönliche Schicksale verhandelt werden. SPD, Linke und AfD haben nach taz-Informationen der Offenlegung zugestimmt, bei Enthaltung der FDP.

Damit ist die Petition Change.org/NSU-Akten, die bereits von mehr als 120.000 BürgerInnen unterschrieben wurde, im ersten Anlauf gescheitert. Enttäuscht zeigte sich Miki Lazar, einer der Initiatoren der Kampagne. Die Argumentation von CDU und Grünen, der Persönlichkeitsschutz für V-Leute und Beamte erfordere die Geheimhaltung der Akten, nennt Lazar „scheinheilig.“

Immerhin habe die Unterschriftenaktion erreicht, dass der Landtag nicht ohne öffentliche Debatte zur Tagesordnung übergehen könne, sagte Lazar. Ein Sprecher des Landtags bestätigte der taz, dass eine Landtagsdebatte zu diesem Thema auf der Tagesordnung der nächsten Plenarwoche steht.

Ursprüngliche Sperrfrist bis 2134

Bei den Akten geht es vor allem um ein 300 Seiten umfassendes Dossier, das der damalige hessische Innenminister Boris Rhein, CDU, 2012 in Auftrag gegeben hatte.

Die hessischen Behörden standen damals unter Druck. Nach der Selbstenttarnung des rechtsterroristischen NSU konnte der Mord an Halit Yozgat, der 2006 in seinem Kasseler Internet-Cafe erschossen worden war, den Rechtsterroristen zugeordnet werden. Unaufgeklärt blieb die Rolle des damaligen Verfassungsschutzmitarbeiters Andreas Temme, der ungefähr zur Tatzeit am Tatort gewesen war, sich aber bei der Polizei nicht einmal als Zeuge gemeldet hatte.

Nach und nach gelangten weitere Hinweise auf Versäumnisse und Vertuschung der Behörden an die Öffentlichkeit. Der damalige Innenminister Rhein wollte Klarheit, wenigstens intern. Er gab deshalb das Dossier in Auftrag.

Unter seinem Nachfolger, dem bis heute amtierenden Innenminister Peter Beuth, ebenfalls CDU, wurde der Bericht schließlich 2014 als Verschlusssache gesperrt, bis zum Jahr 2134. Die Geheimhaltungsfrist ist inzwischen aber auf 30 Jahre herabgesetzt.

Heftige Kritik an den Grünen

Dem Journalisten und Buchautor Martin Steinhagen ist das Dossier nach eigenen Angaben zugespielt worden. Nach seiner Bewertung enthält es zahlreiche Hinweise auf Defizite, Aktenschwund und versagende Frühwarnsysteme bei Verfassungsschutz und Polizei. Steinhagens Fazit: „Im Kern macht der Geheimbericht zweierlei deutlich: zum einen, wie viele Informationen dem hessischen Dienst vorlagen – über Terrorkonzepte, Bewaffnung, Untergrundbestrebungen -, und zum anderen, wie gefährlich fahrlässig damit umgegangen worden ist.“

Seit dem rechtsextremistisch motivierten Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke und den rassistischen Mordanschlägen von Hanau fordern Opferfamilien und antifaschistische Aktionsbündnisse mit Nachdruck die Offenlegung der Akten. Vor allem von den Grünen, die in Hessen zusammen mit der CDU regieren, erwarten sie Unterstützung.

Der Intendant des Kasseler Staatstheaters, Thomas Bockelmann, der den Fall unter dem Titel „Der NSU-Prozess – Die Protokolle“ auf die Bühne brachte, hatte zuletzt an die Grünen appelliert. „Die Partei steht für den Kampf gegen Rechts, für Zivilcourage und gegen Ausgrenzung. Ihr Umgang mit der Petition befremdet mich. Was wäre, wenn die hessischen Grünen in der Opposition wären? Sie würden keine Sekunde zögern, für die Öffnung zu stimmen. Ihr Verhalten ist beschämend“, sagte Bockelmann der Hessisch Niedersächsischen Allgemeinen HNA.

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Rechtsextreme Terroranschläge haben Tradition in Deutschland.

■ Beim Oktoberfest-Attentat im Jahr 1980 starben 13 Menschen in München.

■ Der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) um Beate Zschäpe verübte bis 2011 zehn Morde und drei Anschläge.

■ Als Rechtsterroristen verurteilt wurde zuletzt die sächsische „Gruppe Freital“, ebenso die „Oldschool Society“ und die Gruppe „Revolution Chemnitz“.

■ Gegen den Bundeswehrsoldaten Franco A. wird wegen Rechtsterrorverdachts ermittelt.

■ Ein Attentäter erschoss in München im Jahr 2016 auch aus rassistischen Gründen neun Menschen.

■ Der CDU-Politiker Walter Lübcke wurde 2019 getötet. Der Rechtsextremist Stephan Ernst gilt als dringend tatverdächtig.

■ In die Synagoge in Halle versuchte Stephan B. am 9. Oktober 2019 zu stürmen und ermordete zwei Menschen.

■ In Hanau erschoss ein Mann am 19. Februar 2020 in Shisha-Bars neun Menschen und dann seine Mutter und sich selbst. Er hinterließ rassistische Pamphlete.

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