Schwarz-Grüne Koalitionsverträge: Warme Worte

Klima, Soziales, Innere Sicherheit, Verkehr, Umwelt – eine Analyse der Koalitionsverträge von NRW und Schleswig-Holstein.

Grüne Felder

Der Himmel über Schleswig-Holstein Foto: Frank Molter/dpa

Der Koalitionsvertrag von Schleswig Holstein
Klima

Im Koalitionsvertrag ist das Klima der rote Faden, schließlich will Schleswig-Holstein das „erste klimaneutrale Industrieland“ werden. Die Parteien sehen zahlreiche Maßnahmen vor, wie etwa den Windkraftausbau, die Solarpflicht auf Neubauten, die Prüfung aller Gesetze auf ihre Klimabilanz, Geld für kommunale Projekte. Das Ziel klingt wie in NRW, meint aber etwas anderes, so CDU-Fraktionschef Tobias Koch: Beim Ausbau erneuerbarer Energien stehe das Land gut da, aber es fehle an Wirtschaftskraft. Es gelte daher, energiehungrige Betriebe anzusiedeln. Das Ziel: den Industriestandort „Bayern einholen und überholen“.

Soziales

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„Soziale Gerechtigkeit ist ein großer Schwerpunkt“, jubelte die neue grüne Sozialministerin Aminata Touré auf Twitter, während der SPD-Fraktionschef Thomas Losse-Müller findet: „Beim Sozialen ist Schwarz-Grün blank.“ Auf jeden Fall macht sich Schwarz-Grün das Leben schwer, indem der Bereich „Gesundheit“ dem Justiz­ministerium zugeschlagen wird – das produziert unklare Zuständigkeiten und Doppelstrukturen. Die Entscheidung sei allein aufgrund von „Machtlogik“ gefallen, glaubt die FDP. Wohlfahrts­verbände kritisieren, dass viele Themen angerissen, aber wenige Lösungen präsentiert werden.

Verkehr

„Für uns sind alle Verkehrsträger gleichberechtigt“, heißt es im Koalitionsvertrag. Auch beim Verkehr soll Klimaneutralität erreicht werden. Dann aber folgt ein Bekenntnis zum Auto, das auch künftig „eine entscheidende Säule unseres Fortbewegens“ sei. Bitter für die Grünen ist das Bekenntnis zur A 20. Die so genannte Küstenautobahn wird zwar vom Bund gebaut, aber die schwarz-grüne Koalition verpflichtet sich dazu, jeden Abschnitt umzusetzen, wenn die Planungen rechtskräftig werden. Insgesamt sei kein echter „Fahrplan für die Mobilitätswende“ zu erkennen, sagt der Fahrradclub ADFC.

Innere Sicherheit

In diesem Bereich hat die CDU viele ihrer „Gewinnerpunkte“, wie Ministerpräsident Daniel Günther es nennt, in den Vertrag geschrieben. So soll der Einsatz von Bodycams in Wohnungen und Supermärkten erleichtert werden und die Polizei mehr Stellen erhalten. Neben einer zweiten Einsatzhundertschaft ist eine „Cyber-Hundertschaft“ geplant. Proteste dürfte es gegen eine geplante „Generalklausel“ geben, mit der Bürgerbegehren verboten werden können, wenn sie „Infrastruktur- oder Investitionsvorhaben von landes- oder bundesweiter Bedeutung“ verhindern könnten. Welche das sind, möchte die Regierung entscheiden.

Umwelt

Weniger Gift und Dünger auf die Felder, besseren Tierschutz und Artenvielfalt plus eine Gesamtstrategie für die Ostseeküste – so lautet die Agenda des grünen Umweltministers Tobias Goldschmidt. Dumm nur, dass ihm im Kabinett Werner Schwarz gegenübersitzt. Der CDU-Landwirtschaftsminister war gerade noch Präsident des Bauernverbandes und hat bisher jede Kritik an seinen Be­rufs­kol­le­g*in­nen zurückgewiesen. Dauerkonflikt und gegenseitige Blockade sind vorprogrammiert. Die Grünen hatten die Teilung des früheren Umwelt- und Landwirtschaftsministeriums abgelehnt, die CDU drückte sie durch.

Fazit

Ja, der Vertrag trägt eine „grüne Handschrift“, wie die Chefverhandlerinnen Monika Heinold und Aminata Touré sagen. Aber auch wenn beide Parteien es mit der Energiewende ernst meinen – wenn auch aus unterschiedlichen Gründen –, bleibt es fraglich, ob das finanzschwache Land es schafft, die ambitionierten Pläne umzusetzen. Opposition und Interessengruppen kritisieren, dass das Papier in wichtigen Fragen vage bleibe. Das Wort „prüfen“ sei der Lieblingsbegriff der Koalition, ätzt die FDP. Was wirklich möglich ist, wird wohl erst ein Arbeitsprogramm verraten, das nach der Sommerpause vorliegen soll.

Esther Geißlinger

Der Koalitionsvertrag von NRW
Klima

Im 146-seitigen NRW-Koalitionsvertrag klingt kein Teil besser als das Klimakapitel. Zur „ersten klimaneutralen Industrieregion Europas“ wollen CDU und Grüne Deutschlands bevölkerungsreichstes Bundesland mit seinen 18 Millionen Menschen machen. 1.000 neue Windräder sollen in den kommenden fünf Jahren aufgestellt werden. Fallen sollen dagegen „pauschale Mindestabstände zu Wohnhäusern“ – wie die 1.000-Meter-Regel, mit der CDU und FDP die Windkraft bisher ausgebremst haben. Massiv angeschoben wird auch die Photovoltaik: Für Neubauten und bei Dachsanierungen wird eine „Solarpflicht“ eingeführt. Der Kohleausstieg soll bis 2030 „umgesetzt“ werden. Wann NRW mit seiner Stahl, Chemie- und Zementindustrie klimaneutral sein soll, sagt Schwarz-Grün nicht.

Soziales

Viele warme, aber unverbindliche Worte auch im Sozialen: Die neue Regierung bekennt sich zu einer „umfassenden Tarifbindung“ – doch wann ein Tariftreue-Gesetz kommt, mit dem öffentliche Aufträge nur an fair bezahlende Firmen vergeben werden dürfen, steht nicht im Koalitionsvertrag. Was aus den Tausenden tarifgebunden bezahlten In­dus­trie­ar­bei­te­r:in­nen wird, deren Jobs von der ökologischen Transformation bedroht sind, wissen CDU und Grüne nicht. Oder sie schweigen dazu wie zur Mietpreisbremse. Zwar verspricht das neue Bündnis „45.000 neue mietpreisgebundene Wohneinheiten bis 2027“. Jedes Jahr nötig wären aber 100.000 Wohnungen, davon 25.000 mit Preisbindung.

Verkehr

Der „öffentliche Verkehr“ und das Fahrrad sollen „Rückgrat der zukünftigen nachhaltigen und vernetzten Mobilität“ werden. Versprochen werden 60 Prozent mehr Busse und Bahnen bis 2030 und eine „Mobilitätsgarantie“: Ein Konzept für den Einstundentakt auf dem Land soll „noch in dieser Wahlperiode“ entwickelt werden. Immerhin: In Radwege fließt künftig nicht weniger Geld als in Landesstraßen. 1.000 Kilometer neue Radwege sollen bis 2027 entstehen. Die Initiative „Aufbruch Fahrrad“ fordert 50 Prozent mehr.

Innere Sicherheit

Ganz bitter: Das Kapitel „Sicherheit in einer offenen Gesellschaft“ hat offenbar der alte und neue Innenminister, CDU-Hardliner Herbert Reul, geschrieben. Sein repressives Polizeigesetz, das die Grünen in der Opposition heftig kritisiert haben, bleibt in Kraft. Sein ebenso repressives Versammlungsgesetz wird Ende 2023 nur „evaluiert“ – dabei schränken beide die Demonstrationsfreiheit massiv ein und richten sich gegen die Klimabewegung. Stattdessen gibt’s „jährlich 3.000“ neue „Polizeikräfte“.

Umwelt

Nicht nur der Naturschutzbund Nabu ist „maßlos enttäuscht“: Die Grünen haben die Agrarwirtschaft der CDU überlassen. Das Ministerium, in dem Umwelt, Landwirtschaft und Naturschutz bisher zusammengedacht wurden, wird zerschlagen. Um die agrarindustriellen Interessen des Bauernverbands darf sich künftig die unbekannte Christdemokratin Silke Gorißen kümmern, bisher Landrätin in Kleve. Und der Umweltverband BUND kritisiert, dass der Flächenfraß weitergehen darf – dabei werden in NRW jeden Tag 18 Fußballfelder zubetoniert. Zum Stopp des dramatischen Artensterbens fehlen den Um­welt­ak­ti­vis­t:in­nen auch mehr Naturwälder, Wildnisgebiete und wiedervernässte Moore.

Fazit

Der Koalitionsvertrag bedient geschickt viele angesagte Keywords, bleibt aber selbst bei den grünen Kernthemen Umwelt, Klima und Verkehr erschreckend schwammig: „Wir wollen“, „es sollen“, „wir prüfen“, heißt es in dem Papier immer wieder maximal unverbindlich. Wenn die Grünen ihre Kerninhalte durchsetzen wollen, droht Dauerzoff. Und dazu kommt: Die größte Spaltung der Gesellschaft – in Arm und Reich – hat die neue Landesregierung kaum im Blick. Treffen wird das die unteren 50 Prozent, die schon heute kaum etwas haben.

Andreas Wyputta

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