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Rücktritt nach nur fünf MonatenSchwedische Parteichefin gibt nach massiven Anfeindungen auf

Die Vorsitzende der schwedischen Zentrumspartei, Anna-Karin Hatt, erklärte am Mittwoch ihren Rücktritt. Grund dafür seien Hass und Gewaltdrohungen.

Gibt ihren Rücktritt bekannt: die Vorsitzende der Zentrumspartei Anna-Karin Hatt, Stockholm, Schweden, 12.10.2025 Foto: Caisa Rasmussen/TT/imago
Anne Diekhoff

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Anne Diekhoff aus Berlin

taz | Die Nachricht geht als Schockwelle durch das politische Schweden: Nach nicht mal einem halben Jahr als Vorsitzende der Zentrumspartei gibt Anna-Karin Hatt auf. Sie, die ihre Partei nach dem glücklosen Vorgänger Muharrem Demirok neu profilieren und wieder nach vorne bringen sollte, hat genug von Hass, Hetze und Bedrohungen. Diese Begründung für ihren Rückzug beschäftigt das Land seit Mittwoch schwer.

Wenn man sich in seinem eigenen Zuhause nicht mehr sicher fühlen kann, dann ist es zu nahe gekommen

Anna-Karin Hatt, schwed. Politikerin

„Wenn man sich in seinem eigenen Zuhause nicht mehr sicher fühlen kann, dann ist es zu nahe gekommen“, hatte die 52-jährige Hatt ihren Rücktritt begründet. Das gesellschaftliche Klima sei roher geworden. Es sei beängstigend, welcher Hass und welche Bedrohungen sich gegen Politiker richten.

Ein nicht zu tolerierendes Klima

„Ein dunkler Tag für Schweden. Für die schwedische Politik und unsere offene Gesellschaft“, kommentierte die Vorsitzende der schwedischen Christdemokraten, Ebba Busch, auf X. Die sozialdemokratische Parteichefin Magdalena Andersson sprach von einem „Versagen unserer Gesellschaft“. Niemand solle in Schweden wegen Hass und Bedrohungen sein Amt aufgeben müssen. Ministerpräsident Ulf Kristersson (Moderate) meinte, das „unversöhnliche, gespaltene Klima“ dürfe niemals toleriert werden. Was er dagegen tun will, ist nicht bekannt.

Vor Amtsantritt sei ihr nicht bewusst gewesen, „wie es sich tatsächlich anfühlt, als Mensch damit zu leben“, erklärte Hatt der Zeitung Svenska Dagbladet (SvD). Sie wollte kein einzelnes Ereignis hervorheben, es sei eine Gesamtbeurteilung der Situation. Hatt war schon einmal Spitzenpolitikerin gewesen – als Ministerin der Regierung von Fredrik Reinfeldt, von 2010 bis 2014. Nach Posten in Verbänden und der Privatwirtschaft kehrte sie dieses Jahr in die Politik zurück. Und wie sehr sich die Gesellschaft in diesen zehn Jahren verändert habe, das wird nun von vielen Seiten festgestellt, beklagt und verurteilt.

Im Zentrum steht die Diagnose der Verrohung vor allem durch Social Media. Es gebe inzwischen keine Grenzen mehr für das Sagbare, sagte etwa die frühere Vorsitzende der Zentrumspartei, Maud Olofsson, dem Schwedischen Rundfunk. Dass Frauen in herausragenden politischen Rollen mehr von Hass und Bedrohungen betroffen sind als Männer, hebt eine Forscherin der Universität Uppsala hervor. „Sie sind auch öfter angedrohter sexualisierter Gewalt und sexualisierten abwertenden Kommentaren ausgesetzt“, sagte Sandra Håkansson laut SvD.

Parteispitze erst kurz vor Bekanntgabe informiert

Bislang sei es ungewöhnlich, dass eine Politikerin deshalb ihr Amt aufgebe. Aber dass jemand so zum Schweigen gebracht werde, gewisse Themen nicht mehr anspreche oder bewusst weniger an der öffentlichen Debatte teilnehme, sei üblich, so die Forscherin. Die Parteispitze wurde offenbar erst kurz vor der Bekanntgabe von Hatt informiert, mehrere prominente Mitglieder der Zentrumspartei äußerten sich schockiert.

Laut der Zeitung Dagens Nyheter wird hinter den Kulissen auch Kritik geübt: Hatt schiene nicht verstanden zu haben, wie es heute aussehe in der Politik. Als Beispiel wurde ihre Haltung genannt, dass ihre Mitarbeiter nicht am Wochenende arbeiten sollten.

Eine andere frühere Vorsitzende der Partei nahm Hatt am Donnerstag in Schutz: Annie Lööf, die 2023 unter anderem aus diesen Gründen zurückgetreten war. „Ich weiß, wie sich das anfühlt“, schrieb sie auf Facebook und zählte kurz eigene Erfahrungen auf: „Todesdrohungen, Munitionshülsen im Briefkasten, Nazis vor meinem Haus, Hasskampagnen in Sozialen Medien, Drohungen gegen meine Familie.“

Vielleicht macht Anna-Karina Hatt mit ihrem Rückzug genau das, wovon Ministerpräsident Kristersson sprach: Sie toleriert nicht, dass das normal sein soll. Dass der Ministerpräsident es so nicht gemeint haben dürfte, steht auf einem anderen Blatt.

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