Schweigen über Suizid: Schluss mit dem Tabu

Nach einem Jahr endet die Kolumne unserer Autorin über psychische Gesundheit. Zum Abschied spricht sie über ein Thema, das noch zu kurz kam: Suizid.

Gewitterwolken

Dunkle Wolken: Wer suizidal ist, entscheidet sich jeden Tag neu für das Leben Foto: Paul Marriott/imago

Etwas ungewöhnlich, aber diese – meine letzte – Kolumne möchte ich mit einer Triggerwarnung beginnen, denn es geht hier um Suizid.

Üblich wäre es, so eine Kolumne mit einer Selbstreflexion zu beenden: Was hat sich während des Jahrs, in dem ich mich mit ihrem Thema beschäftigte, getan? Habe ich etwas gelernt? Ich wollte vor allem einen Schritt dahingehend tun, über ein tabuisiertes Thema offener sprechen zu können.

Es wäre deshalb nicht konsequent, Suizid hier auszusparen, obwohl das in der medialen Repräsentation oft passiert. Die Angst vor Nachahmung (Werther-Effekt) ist so groß, dass lieber geschwiegen wird, als wirklich Aufklärungsarbeit zu betreiben. Dabei kann Journalismus, wenn er nicht voyeuristisch, nicht überdramatisierend, nicht auf bloßes Click­baiting aus ist, sogar präventiv wirken (Papageno-­Effekt).

Anders als oft suggeriert, sind suizidale Menschen nicht schwach, das Gegenteil ist der Fall. Wer suizidal ist, entscheidet sich jeden Tag neu für das Leben, und das kostet Kraft. Diese immer wieder aufzubringen erfordert Stärke. Bei manchen ist sie irgendwann erschöpft. Mit der Angst davor leben suizidale Menschen genauso wie diejenigen in ihrem Umfeld.

Gefühl der Isolation

„Der Gedanke, sich in einen Fluss zu stürzen oder vor einen Zug zu werfen, währte nur zwei Sekunden, ein Zittern, ein Zucken, ein Blinzeln und einen Schritt nach vorne, aber bis jetzt immer auch einen Schritt zurück“, heißt es in ­Deborah Levys Roman „Heim schwimmen“. Die meisten Menschen denken nicht so, aber manche tun es. Und sie fühlen sich absonderlich und isoliert, wenn sie nicht darüber sprechen können, ohne dass ihnen vorgeworfen wird, sie heischten bloß Aufmerksamkeit.

Niemand will sich so fühlen. Darüber sprechen, das tun ohnehin die wenigsten. Wer es tut, gilt schnell als dramatisch. Um sich diese „Blöße“ nicht zu geben, dem Vorurteil, schwach zu sein, nicht anheimzufallen, schweigen die meisten. Suizidgedanken verschwinden aber nicht einfach. Sie bauschen sich auf wie Wolken kurz vor einem Unwetter.

„Suizid ist einfach für alle beschissen“, beschreibt es Susann Brückner. Die Autorin hat zwei Suizide in ihrem nahen Umfeld erleben müssen. Sie weiß, auch Zugehörige kann das Tabu, darüber zu sprechen, isolieren. Reden aber baut eine Distanz auf – das, was in einem aufkeimt, hat so die Möglichkeit, seinen Weg in die Welt zu finden, statt zu wuchern. Wer nicht spricht, dem kann nicht geholfen werden. Dabei kann man leben lernen.Das Schweigen rund um das Thema ist immer noch laut. Wir, die wir betroffen sind oder waren, müssen lauter sein.

Sie können sich rund um die Uhr an die Telefonseelsorge wenden (08 00/1 11 01 11 oder 08 00/1 11 02 22) oder www.telefonseel sorge.de besuchen. Dort gibt es auch die Möglichkeit, mit Seelsorgenden zu chatten.

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Sophia Zessnik ist seit 2019 bei der taz und arbeitet in den Bereichen Kultur und Social Media. Sie schreibt am liebsten über Alltägliches, toxische Männlichkeit und Menschen im Allgemeinen. In ihrer Kolumne „Great Depression“ beschäftigt sie sich außerdem mit dem Thema psychische Gesundheit.

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