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Schweizer Fußballerin gegen das SystemUnbehagen mit den Zwängen des Profifußballs

Just während des Hypes um die EM beendet Noa Schärz von YB Bern mit 25 Jahren ihre Karriere. Sie spricht von Bevormundung und anderen Probleme.

Noa Schärz im Einsatz für Young Boys Bern in der vergangenen Saison gegen Servette FC Chênois Foto: imago

Ausverkaufte Stadien, Fußballfieber im ganzen Land – die EM in der Schweiz scheint ein voller Erfolg gewesen zu sein. „Die Schweiz hat ein gutes Turnier gemacht. Die ganzen Hater können jetzt nicht mehr so einfach ihre dummen Kommentare bringen“, sagt auch Noa Schärz. Sie ist 25 Jahre alt und ist diese Saison mit den Frauen der Young Boys (YB) Bern Schweizer Meisterin geworden.

Gerade für die Profifußballerinnen, die das ganze Jahr über in der Schweiz kicken, sowie die jungen Spielerinnen, die vom Profileben träumen, war der Verlauf der EM im eigenen Land von großer Bedeutung. Nun ist diese vorbei, aber was bleibt? Wie viel hat der Frauenfußball während der EM mit der Realität in der Schweizer Frauen-Profiliga und dem regulären Spielbetrieb zu tun?

Die Schweizer Zeitung WOZ begleitete vor der EM die Profi­fußballerin Noa Schärz mehrere Wochen. Laut ihr ist es vor allem eines, was den Qualitätsunterschied ausmacht: das Geld.

Schärz kann nur von ihrem Lohn leben, weil sie auf einem autonomen Wagenplatz in Bern wohnt. Beziehungsweise: konnte. Denn nun, inmitten des ganzen Aufwinds im Frauenfußballs, hat die YB-Mittelfeldspielerin vor knapp zwei Wochen ihren Entschluss gefasst: Sie steigt vorerst aus dem Profifußball aus. Offiziell, weil sie das Gefühl habe, „im Spitzensport nicht mehr am richtigen Ort zu sein“.

Probleme mit der Identifikation

Sie könne sich nicht mehr zum Spitzenfußball committen, so ihr Statement. „Es gibt da noch ein paar strukturelle Sachen, mit denen ich mich nicht voll identifizieren kann“, sagt sie im Gespräch mit der taz. Auch der Umgang von YB mit Schärz’ Interviewreihe in der WOZ spielt bei dem Ganzen eine Rolle.

Im März schießt Schärz noch für YB das entscheidende (und schöne) Tor aus dem Halbfeld zur Playoff-Quali. 1:0 gewinnt ihr Team gegen GC Zürich vor 10.647 Zuschauer:innen. Schon wieder ein Rekord. Und ein Zeichen, dass es sowohl bei YB als auch im Schweizer Frauenfußball generell vorangeht, oder?

Im Gespräch wirkt Schärz unaufgeregt, wenn sie von sich erzählt, bescheiden. „Ich habe als Kind zuerst mit meinem Bruder zusammen Fußball gespielt, ich fand eh alles cool, was er gemacht hat“, sagt sie, aufgewachsen in Uster im Kanton Zürich. Es folgen Stationen in Zürich, St. Gallen, dann bei YB. „Es hat sich so ergeben, Fußballspielen hat sich leicht angefühlt“, erzählt sie. Bald muss sie keine Beiträge mehr zahlen, die Clubs bezahlen sie. Doch viel ist es nicht. Bei YB bekommt sie schließlich 2.500 Franken brutto. Und gehört damit wohl zu den bestbezahlten Spielerinnen der Liga. Als Köchin, ihrem Lehrberuf, würde sie mindestens doppelt so viel verdienen.

Ihr Verein war wenig begeistert darüber, dass Schärz ihren Lohn öffentlich macht. „Innerhalb des Teams wusste man bisher nicht voneinander, was man verdient“, erzählt sie. „Das finde ich mega-uncool.“ Bei Vertragsabschluss behaupte der Verein oft, der ausgemachte Lohn sei angemessen. „So funktioniert das, nicht nur bei YB. Weil wir ja auch nicht darüber reden.“ Einige Spielerinnen seien ihr dankbar gewesen, die Zahlen mal gehört zu haben.

Bitte nicht politisch äußern!

YB hingegen legte Schärz daraufhin in einem Gespräch nahe, dass sie sich entscheiden müsse, ob sie sich für ein weiteres Jahr voll committen kann. Heißt, sich an die Regeln anpassen und „eben nicht öffentlich, politisch zu äußern“. Das habe sie sehr wütend gemacht, auch wenn sie YB auch ein Stück weit verstehen kann. „Sie sind auch nur Teil dieses Systems.“

Schärz überlegt lange. Denn – während viele ihrer Mitspielerinnen sogar noch weniger verdienten, nebenher arbeiten müssten oder bei den Eltern lebten – reicht es Schärz zum Leben. „Auf dem Wagenplatz zahlen wir jeweils etwa 120 Franken im Monat, für Strom, Gas und so weiter“, erzählt sie. „Ich kann mir jetzt nicht mehr vorstellen, wieder in einer Wohnung zu wohnen und jeden Monat viel zu viel Geld dafür zu bezahlen.“ Sie mag den Lebensstil, das gemeinsame Leben auf dem Platz.

Wütend macht sie hingegen die ungleiche Verteilung der Gehälter in den Proficlubs. Dass ein Mann, der gleich viel trainiere wie sie, bei YB das Zehnfache verdiene, während von beiden natürlich trotzdem dieselbe Disziplin verlangt wird. Für sie ist es ein politischer Kampf, um Gleichberechtigung, um eine faire Entlohnung. „Alle Menschen, die viel Zeit und Energie in den Sport investieren, sollten auch gleich verdienen. In allen Sportarten übrigens“, sagt Schärz und fügt dann lachend hinzu. „Ich weiß, dass das eine idealistische Vorstellung ist.“ Über eine Art Umverteilung vielleicht. „Ich will, dass die Frauen mehr verdienen, aber auch nicht so wie im Männerfußball, da sind die Gehälter zum Teil absurd“, ergänzt sie.

Positiv überrascht von der EM

Auch Schärz hat über die letzten Jahre selbst gespürt, wie der Frauenfußball wächst. Langsam. Crowdfundings, für einen eigenen Kraftraum zum Beispiel, sind beim Frauenfußball noch an der Tagesordnung, auch in Vereinen, die zugleich Millio­nenbeträge für die Männerteams ausgeben. Das Training, erzählt Schärz, finde meistens abends statt, Priorität haben bei der Platzzuweisung die Männer.

Aber: „Ich bin positiv überrascht, wie viele Leute über die EM reden, in der Bahn zum Beispiel. Ich habe das Gefühl, dass viele Fans dazu gekommen sind. Da ist so eine Euphorie im ganzen Land“, sagt Schärz. „Wenn der Frauenfußball gut vermarktet wird, geht das auch in Richtung gleiche Löhne und gleiche Bedingungen für alle. Gleichzeitig ist es auch eine unschöne Vorstellung, dass er so kommerzialisiert wird wie bei den Männern.“ Viele EM-Spiele hat sie nicht gesehen, aber nicht wegen ihrer ambivalenten Haltung zum Produkt Frauenfußball, sondern weil sie zwar selbst gerne spiele, aber Zuschauen eher langweilig finde.

„Es ist eigentlich schon gerade die coolste Zeit, um Teil vom Frauenfußball zu sein“, sagt sie dann zum Ende fast schon bedauernd.

Und was meint der Sportliche Leiter von YB zu diesem Karriereende? „Wir bedauern den Entscheid von Noa Schärz sehr, haben aber Verständnis. Sie hat uns offen über ihre Beweggründe informiert, so dass wir bald zum Schluss kamen, dem Wunsch der Vertragsauflösung nachzukommen.“ Der BSC Young Boys bedanke sich herzlich bei Noa Schärz und wünsche ihr alles Gute.

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1 Kommentar

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  • Gibt es einen Grund, warum die taz bei den Fußballerinnen die Trikotwerbung nicht weggepixelt, bei den Radfahrern aber schon?