Schwimm-WM in Russland: Weltmeisterschaft statt Spielplatz

Weil der Weltverband keine Altersbeschränkung kennt, wird die erst zehnjährige Alzain Tareq aus Bahrain zu einer bizarren Attraktion.

Sehr begehrte Interviewpartnerin: die zehnjährige Alzain Tareq. Foto: dpa

KASAN taz | Sarah Sjöström war erstaunt. Keiner wollte etwas wissen von der 21-jährigen Schwedin, die im Vorjahr mit ihrem sagenhaften Weltrekord über 50 Meter Schmetterling – ohne Luft zu holen – für Furore sorgte und bei der Weltmeisterschaft in Kasan schon wieder zwei Weltrekorde vorgelegt hat. Sjöström konnte nach ihrem Vorlauf also zeitig in die Mittagspause. Im Gegensatz zu Alzain Tareq.

Die Schwimmerin aus Bahrain musste Überstunden machen. Nicht wegen ihrer Zeit von 41,13 Sekunden, mit der sie fast fünf Sekunden langsamer war als die Vorletzte im Feld, Fatoumata Samassekou aus Mali. Sondern wegen ihres Alters. Alzain Tareq feierte am 14. April ihren zehnten Geburtstag. Und startet dennoch bereits bei der WM.

Dass ein Kind im Grundschulalter überhaupt auf so einer Bühne antreten darf, lässt nicht nur am Verantwortungsbewusstsein ihrer Eltern und Trainer zweifeln. Es wirft auch Fragen zum Regelwerk des Weltverbandes (Fina) auf: Altersbeschränkungen für Beckenschwimmer bei einer WM gibt es darin nicht. Bei einer Junioren-WM lässt die Fina paradoxerweise nur 14- bis 17-Jährige zu. Nun ist aus den Kreisen der zuständigen Funktionäre zu hören, man wolle das Thema bei der nächsten Fina-Sitzung diskutieren.

Jünger als Alzain Tareq war noch nie ein Sportler bei einer Schwimm-WM. Die meisten Beobachter beschlich ein mulmiges Gefühl, als sie das schmale, kleine Mädchen um kurz vor zehn am Morgen auf den Startblock klettern sahen. Dann schwamm Tareq ihre Bahn, langsamer als sie sich vorgenommen hatte. Doch die größte Aufgabe lag noch vor ihr: der Interview-Marathon, der erst eine halbe Stunde, nachdem sie aus dem Wasser gestiegen war, endete.

Großer Interviewparcours

Alzain Tareq, ein süßes Mädchen mit großen, offen dreinblickenden Augen meisterte den Fragenparcours mit Bravour. Zumindest das war ein wenig beruhigend für jene, die beim Auftritt des 144 Zentimeter großen Fliegengewichts im Pool und vor den Mikrofonen Magendrücken bekamen. Tareq beantwortete alle Fragen mit klarer Stimme und in exzellentem Englisch.

Sie erzählte von ihrer großen Nervosität vor dem Start. Davon, dass sie in der Heimat in einem 25- und einem 50-Meter-Pool trainieren kann. Und zählte auf, von welchen ihrer großen Vorbilder sie in Kasan schon Autogramme erhascht hatte: „Sarah Sjöström, Cate Campbell, Missy Franklin und Chad le Clos.“

Der Heidelberger Clemens Rapp, eine Stunde nach Tareqs zitterndem Schritt vor die 4.000 Zuschauer in der Kazan Arena im Staffeleinsatz, tauchte auf dieser Liste nicht auf. „Ich habe sie vor meinem Rennen irgendwo kurz gesehen“, erzählte der 26-jährige Freistilspezialist und fügte hinzu: „In dem Alter bin ich langsam in die Pubertät gekommen. Wäre ich damals vor so einer Kulisse geschwommen, wäre ich völlig überfordert gewesen. Ich glaube, sie weiß noch gar nicht, was da auf sie zukommt.“

Ziel Tokio 2020

Was Tareq nach der kleinen Enttäuschung bei ihrem Schmetterling-Start aber weiß: „Am Samstag schwimme ich noch 50 Meter Freistil, da will ich 34 Sekunden schaffen.“ Ihr großes Ziel sind die Olympischen Spiele – „vielleicht in Tokio, 2020“, fügt sie noch hinzu.

Dabei wäre auch ein Start im nächsten Jahr in Rio denkbar: Wie bei der Fina kennt auch das Regelwerk des IOC keine Altersbeschränkung – weil es sich nach dem der jeweiligen internationalen Dachverbände richtet. Bei den Spielen in Peking war eine Zwölfjährige aus Kamerun am Start, 2012 in London eine 13-Jährige aus Togo, beides Schwimmerinnen.

Zur Zeit von Deutschlands früherem Pool-Star Franziska van Almsick waren die Fina-Statuten noch schärfer: Bei der WM 1991 in Perth durfte die damals 13-jährige Berlinerin nicht antreten, weil sie zu jung war. Van Almsick fordert 14 Jahre als untere Altersgrenze, und Chefbundestrainer Henning Lambertz betont: „Ich glaube, eine Zehnjährige ist lieber auf dem Spielplatz als hier bei der WM.“

Alzain Tareq, die fünf Mal pro Woche jeweils morgens und abends trainiert, behauptete am Freitag: „Ich liebe die Sportler hier und das ganze Drumherum.“ Und als Berufswunsch gab die WM-Teilnehmerin an, einmal Schwimmerin werden zu wollen. „Und wenn das nicht klappt“, sagte das kleine Mädchen mit den großen Augen, „will ich Pilotin werden.“

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