Sci-Fi-Roman „Der dunkle Wald“: Die Invasion kommt in 400 Jahren

Es ist der zweite Teil der „Trisolaris“-Trilogie von Cixin Liu. Der Roman wirft einen Schatten auf unsere mögliche Zukunft.

Ein dunkler Wald unter sternenklarem Himmel

In „Der dunkle Wald“ bereitet sich die Menschheit auf eine Invasion aus dem All vor Foto: imago/Westend61

Leben unter Beobachtung. Eine globale Überwachung, von der Facebook und Google nur träumen können: Den Trisolariern ist das gelungen. Diese Außerirdischen vom Planeten Trisolaris sind viele Lichtjahre von unserem Sonnensystem entfernt – und trotzdem schon da. Winzige intelligente Partikel, Sophonen genannt, wurden von ihnen zur Erde geschickt, wo diese alles registrieren und die Informationen wie mit einer Standleitung durchs All an die Trisolarier schicken.

Schlimmer noch: Die Sophonen können auch manipulieren. Seit sie da sind, steckt die Grundlagenforschung fest. Wissenschaftlicher Fortschritt ist nicht mehr möglich, allein die Technik kann innerhalb der Grenzen des erreichten Kenntnisstands verbessert werden.

So die Lage zu Beginn von „Der dunkle Wald“, dem zweiten Band der „Trisolaris“-Trilogie des chinesischen Science-Fiction-Schriftstellers Cixin Liu. Hatte er in „Die drei Sonnen“ zunächst mit einem klugen Spiel aus historischen Rückblenden und verschiedenen erzählerischen Inszenierungsebenen – inklusive plastisch dargestellter Szenen aus einem Computersimulationsspiel – die menschliche Kontaktaufnahme mit Trisolaris, die irdischen Auswirkungen der Sophonen-Attacke und die Besonderheiten der Zivilisation von Trisolaris geschildert, geht es jetzt um eine akute Bedrohung fast ausschließlich aus irdischer Perspektive, in diverse Parallelhandlungen aufgeteilt.

Die Trisolarier haben sich mit ihrer Raumflotte in Richtung Erde aufgemacht, da die Lebensbedingungen auf ihrem Planeten nicht eben günstig sind. Eine Invasion steht bevor, es droht das Ende der Menschheit. Lius wesentlicher Gestaltungsfaktor in „Der dunkle Wald“ ist dabei die Zeit. Denn ein schwacher Trost ist, dass die Invasoren noch einige Lichtjahre entfernt sind und der Menschheit rund 400 Jahre bleiben, sich auf den Feindkontakt vorzubereiten. Ein Gutteil der 800 Seiten des Buchs widmet sich etwa den Planungen des Militärs zu verschiedenen Rüstungsprojekten, wobei allgemeine Unklarheit herrscht, ob es überhaupt eine erfolgversprechende Verteidigungsstrategie geben kann, da die Trisolarier durch die Sophonen sämtliche Entwicklungen mitverfolgen.

Zentralstück dieses Bands ist das „Wandschauer“-Projekt der UNO, bei dem vier auserwählte Personen im Alleingang versuchen sollen, eine Lösung zu finden. Liu lässt die Wandschauer von der Staatengemeinschaft mit praktisch unbegrenzten Mitteln ausstatten. Sie dürfen bloß mit niemandem über ihre wahren Absichten sprechen, damit die Trisolarier von den einzelnen Vorhaben nichts erfahren. Auch als Leser ist man ausgeschlossen von den Gedanken der Wandschauer.

Cixin Liu, der als Ingenieur einiges von Technik versteht, gibt ausgiebig die Debatten wieder, die unter den Militärs einerseits und um die Wandschauer andererseits geführt werden, mit allen Innovationen, die diese mit sich bringen, unter anderem Raumschiffe mit Fusionsantrieb. Sein wichtigster Protagonist ist dabei der Astrophysiker Luo Ji, der als Soziologe an der Uni lehrt. Zu Beginn des Buchs erhält er von einer Kollegin die Anregung, eine Kosmosoziologie zu entwickeln. Ein Vorschlag, auf den er sehr viel später im Buch zurückkommt – diesmal wird man als Leser in die Theorie mit einbezogen.

Überhaupt treibt Liu solche Ideen wie die des „langen Atems“ oder der „Nachhaltigkeit“ an ihre Grenzen. Wie kann man sich, fragt er nüchtern, auf ein Ereignis vorbereiten, das mehrere Jahrhunderte in der Zukunft liegt? Wie lässt sich ernsthaft in die Zukunft denken, sodass die Überlegungen in der Zukunft noch Bestand haben werden? Und welche Konsequenzen werden einzelne Entscheidungen bis dahin nach sich gezogen haben?

Zeitsprünge durch Kälteschlaf

Ganz wunderbar reizt er die Konjunkturen aus, die bestimmte Erwartungen und Gemütslagen haben, lässt die Menschheit zwischen Pessimismus und Optimismus schwanken, abhängig von den kosmischen Großereignissen im Verlauf der Handlung, die dank der Technik des „Kälteschlafs“ ihren Figuren einen Zeitsprung von 200 Jahren gestattet. Immer wieder scheint das Schicksal des Lebens auf der Erde neu justiert zu werden, mit einem bis zum Ende offenen Ausgang.

Die Reise in die Zukunft bietet Liu die Gelegenheit, dem Leser einiges an Spezialeffekten zu präsentieren, wie man das von „echter“ Science-Fiction gewohnt ist: Häuser etwa sind in der Zukunft zu baumartigen Strukturen angeordnet und wachsen, wenn nicht in den Himmel, dann doch von unten nach oben. In Restaurants wird man von freundlichen Robotern bedient, sofern diese richtig programmiert sind, und im Weltall kommt es zu einer unheimlichen Begegnung, die in die ansonsten ruhige Dramaturgie als Schockeffekt hineinblitzt. Und dies wird nicht die letzte überraschende Wendung geblieben sein. Jetzt braucht es nur noch Geduld, bis Band 3 auf Deutsch erscheint.

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