Scienceville-Festival in Hamburg: Nach dem Nichts forschen

Am Wochenende fand in Hamburg das Scienceville-Festival statt. Es stand unter dem hübschen Motto: „Nichtwissen ist ein Segen.“

Keine Kunst: Flugsimulator zum hirngesteuerten Fliegen. Bild: dpa

„Bonvenon kara vizitanto, kiel vi fartas?“ Auf Esperanto eröffnet Ebba Durstewitz das Festival Scienceville in Hamburg und blickt in lange Gesichter. Am Anfang steht das Nichtverstehen, und so fühlen sich die Besucher unwillkürlich in eines der Leitthemen hineingeworfen.

Zum anderen, dem Nichtwissen, ist es von dort nicht mehr weit. Dass die beiden mitnichten negative Zustände beschreiben, stellt Durstewitz gleich zu Beginn klar. Nicht umsonst heißt das Motto des Festivals: „Ignorance is bliss“ – Nichtwissen ist ein Segen.

Das Tolle am Nichtwissen, so Durstewitz, sei sein kreatives und produktives Potenzial: Wo nicht gewusst wird, wird gesucht, geforscht, geschaffen. Um das zu untermauern, gibt es anschließend einen Miniauftritt der Band JaKönigJa. In ihrem Lied „Ach Golgatha“ heißt es: „Ich werde wieder Kräfte haben / So hat man mir gesagt / Sie kommen erst in sieben Jahren / Bis dahin gibt es viele Fragen“.

Was für eine treffende Einleitung, die die Steifheit des Akademischen vertreibt und einer ungezwungenen Atmosphäre den Weg ebnet. Zum ersten Mal findet Scienceville, das an das Musikfestival Dockville angelehnt ist, über ein langes Wochenende statt.

Unter der künstlerischen Leitung von Ebba Durstewitz wurde an einem Programm getüftelt, das die Hamburger nicht nur über die Elbe nach Wilhelmsburg, sondern auch aus der Kulturbanausigkeit der Fußball-Weltmeisterschaft herauslockt. „Dieses Jahr ist Warm-up, es darf viel ausprobiert werden“, sagt Durstewitz.

Zustand zwischen Wissen und Nichtwissen

Etwas widerwillig treten die Besucher am Samstagnachmittag aus der sonnigen Gartenatmosphäre in den dunklen Vortragsraum. Der Frankfurter DJ und taz-Autor Klaus Walter versteht es, seine Zuhörer einzuspannen. Zur Einstimmung in seine Lecture Performance legt er die kürzeste Single der Welt auf – „You suffer“ von der britischen Band Electro Hippies mit einer Spielzeit von gerade einmal 1,3 Sekunden.

In einer zitatreichen Reise durch die Popgeschichte der letzten 50 Jahre erörtert Walter unter anderem das Phänomen der Atemporalität. Junge KünstlerInnen können sich heute aus einem stetig wachsenden Archiv der Epochen und Stile bedienen, ohne die Jetzt-Zeit der jeweiligen Musik miterlebt zu haben.

Das beschreibe, so Walter, einen Zustand zwischen Wissen und Nichtwissen, der viel kreatives und produktives Potenzial berge – siehe Musikerinnen wie Maria Minerva oder Inga Copeland, die vorhandene Musikrichtungen und Stilzitate wie selbstverständlich in ihre eigenen Werke einbauen und ihnen damit neue Bedeutungen verleihen. Walter betont das demokratische Moment des Pop, da seine Rezipienten nichts wissen müssten, um die Musik zu verstehen.

Im Zweifel für den Zweifel

Am Sonntag treiben Regentropfen in das Veranstaltungsgebäude. In einem der Räume ist eine Ausstellung mit Werken des kürzlich verstorbenen Duisburger Künstlers Joerg Zboralski zu sehen. Ihm ist auch das schöne Festivalplakat zu verdanken, das einen Zettel mit der Aufschrift „Mich interessiert schon lange das Nichts“ in einem schwarzen Kreis zeigt. Zboralski interessierte sich für „Verstehensfallen“ – Dinge, die Bedeutung suggerieren, wo es keine gibt. Die Kreise, die in seinem Werk an verschiedenen Stellen auftauchen, können als Symbole eines vermeintlich sicheren Wissens und Verstehens, das durch Einkreisung betont und festgeschrieben wird, verstanden werden.

In der Abschlussveranstaltung sitzen sich im „Zwei-Kulturen-Gespräch“ die Psychologin und Neurowissenschaftlerin Brigitte Röder und der Fotograf Alexander Rischer gegenüber. Sie debattieren über den Mehrgewinn von Verständnis und Kommunikationsprobleme, die entstehen, wenn unterschiedliche Disziplinen aufeinanderprallen. Schnell sind sie beim Feld der Neuroästhetik und der Frage angelangt, ob Vorgänge im Gehirn erklären können, was Kunst ist. Röder meint, dass die Neurowissenschaft auf diesem Gebiet immer wieder vor Rätseln stehe und der Geisteswissenschaften bedürfe.

Am Ende zieht die Festivalleiterin eine positive Bilanz: „Die Besucher haben in der Pommesschlange weiterdiskutiert“, sagt sie. „Ich sehe ganz viele Möglichkeiten, um Scienceville weiter auszubauen.“ Am Ende verlässt die Besucherin das Festival ohne Brummschädel und mit einer erfrischenden Gewissheit, die sich mit dem bekannten Stück von Tocotronic am besten formulieren lässt: Im Zweifel für den Zweifel.

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