Selbstfahrende Transportmittel: Freie Fahrt für befreite Bürger

Digitalisierung ist doof? Nein. Sie ist eine Chance. Die einzigartige Chance, das eigene Auto überflüssig zu machen. Ein Zukunftsszenario.

Fünf Menschen bewegen sich auf einen selbstfahrenden Bus zu

Sieht doch ganz nett aus, so ein autonom fahrender Bus Foto: dpa

In Wirklichkeit ist es doch so: Kaum jemand verspürt das innere Bedürfnis, sich an einem Sitz festzugurten, die Arme nach vorn zu strecken und, in dieser Position verharrend, nur ab und an mal mit den Füßen nach unten tippen zu dürfen oder den Kopf ruckartig zur Seite zu drehen.

Nein, Autofahren ist nichts, was wie die Erfüllung eines genuin menschlichen Bedürfnisses wirkt. Auch wenn es natürlich Menschen gibt, die am Steuer eine an anderer Stelle fehlende Freiheit kompensieren – eigentlich ist es eher ein Mittel zum Zweck, um andere Bedürfnisse zu erfüllen. Von A nach B kommen. Möglichst schnell. Möglichst wenig der Unbill des Wetters ausgesetzt. Und vielleicht auch noch, ohne dabei den Eindruck zu gewinnen, man befände sich in einem Experiment, bei dem getestet wird, wie viele Menschen man ohne bleibende Schäden auf wie wenig Quadratmeter unterbringen kann.

Seit dem Einbau des Verbrennnungmotors in einen Untersatz mit Rädern ist das Problem des Von-A-nach-B-Kommens nicht massenkompatibler gelöst worden als mit dem Privatauto. Es wurde schneller, dicker und gepanzerter, die Insassen immer besser geschützt, alles drumherum dafür immer verwundbarer und so die Kluft zwischen innen und außen immer größer. Doch nun gibt es eine Chance. Die Chance, diese Kluft zu schließen, die Fortbewegung komplett neu aufzustellen und dabei das noch Unvorstellbare umzusetzen: einen Verkehr ohne Privatautos.

Den ersten Schock verarbeitet? Gut. Dann gehen wir jetzt in die Details und arbeiten uns langsam vor, von einfach nach schwierig. Stufe 1: Menschen von A nach B bringen. Menschen sind, was den Transport angeht, in vielerlei Hinsicht unkomplizierter als Waren. Sie können sich in der Regel selbst für ein paar Meter fortbewegen, werden selten geklaut, und es gibt keine Kühlkette, zu deren Einhaltung man verpflichtet wäre. Sie können außerdem selbst kommunizieren, wo sie hinwollen. Zum Beispiel: Per App ein selbst fahrendes Auto rufen. Eines von einer ganzen Flotte, die durch die Stadt fahren, elektrisch und mit Ökostrom angetrieben, per Induktion unterwegs geladen und rund um die Uhr einsatzbereit.

„Autonome Shuttles“ nennt der Verkehrsforscher Andreas Knie diese Fahrzeuge. Er sagt: Sie kommen früher, als wir uns das derzeit vorstellen. „Wir gehen davon aus, dass es innerhalb der nächsten drei Jahre die ersten solcher Systeme auf ausgewählten Trassen gibt.“ Und in zehn, vielleicht fünfzehn Jahren in ganz regulärem Betrieb.

Das System muss brillant sein

Wissenschaftler des Berkeley Lab kamen 2015 zu dem Ergebnis: So eine elektrisch angetriebene Shuttle-Flotte würde im Vergleich zu dem entsprechenden Verkehrsaufkommen von Privatfahrzeugen mit Verbrennungsmotoren rund 90 Prozent der Emissionen einsparen. Das gehe unter anderem auf eine bessere Auslastung und einen steigenden Anteil von erneuerbaren Energien im Strommix zurück. Zusätzliche Effekte, wie, dass selbst fahrende Autos dichter auffahren können, vorausschauender fahren und dadurch wiederum der Verbrauch sinke, seien dabei noch gar nicht eingerechnet.

Die Shuttles sind natürlich nur ein Teil: Die bestehende Systeme von Bus und Bahn ein weiterer, und dazu kommt ein dichtes Netz an Fahrrad- und Lastenradverleihstationen. Allerdings wird es nicht reichen, auf Leihsysteme und Shuttles zu verweisen. Zu viel Faulheit, zu viel Winter. Das System muss gut sein. Nein, brillant. Die Fahrzeuge nah und verfügbar, die Nutzung komfortabel und über eine Telefonzentrale auch für Smartphone-Skeptiker möglich und die Dienste zahlbar auch mit Prepaid-Tarifen, damit die Mobilitäts- nicht gleich zur Überwachungsgesellschaft wird. Ein System, so gut also, dass es komplizierter wäre, das eigene Auto zwei Straßen weiter zu suchen oder aus der Tiefgarage zu holen.

Die Shuttles sind übrigens nicht nur für Städte, sondern genauso für Vororte und ländliche Gegenden interessant, wo Jugendliche am liebsten schon mit 16 ihren Führerschein machen würden, um nicht mehr auf Schulbus oder Elterntaxi angewiesen zu sein. Die selbst fahrenden Autos machen regelmäßige Anbindungen auch da möglich, wo öffentlicher Nahverkehr momentan mit dem Argument zu hoher Kosten bei zu wenig Fahrgästen wegrationalisiert oder gar nicht erst angeboten wird.

„Vorreiter werden aber Städte und Ballungsräume sein, da ist der Bedeutungsverlust des Autos als etwas, das man besitzt, stärker“, sagt Siegfried Behrendt vom Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung.

Aber es gibt ja auch Situa­tionen, die werden vor allem in der Stadt zum Problem, wie in Stufe 2: Pakete zum Empfänger bringen.

Transport ist billig

Eine Straße. Drei Fahrzeuge nebeneinander, in zweiter und dritter Spur. Eins gelb, eins braun, eins weiß mit Blau. Ihre Fahrer alle im gleichen Haus mit dem gleichen Ziel: Pakete zustellen. Kommt keiner mehr durch, aber Hauptsache die Sendungen kommen an. Das zeigt, wie es nicht geht. Wie es geht: Transportwege verkürzen, alternative Verkehrsmittel einbeziehen, die verbleibenden Wege effizienter Planen und die Auslastung der Fahrzeuge verbessern. Und warum sollten eigentlich die selbst fahrenden Shuttles nur Menschen transportieren?

Komplizierter wird es, wenn nicht nur das neue Smartphone geliefert, sondern der komplette Supermarkt bestückt werden muss. Daher auf Stufe 3: Läden beliefern.

Transport ist billig. „Solange der Transport beim Warenwert nicht mal 3 Prozent ausmacht, wird alles einfach hin und her gefahren“, sagt Knie. Nun müssen Lieferungen in Zukunft nicht unbezahlbar werden, es reicht, wenn der Transport, wie er aktuell ist – Lkws mit Verbrennungsmotoren, die auch schon mal halb leer kreuz und quer durch die Gegend fahren – teurer wird. So teuer, dass es sich lohnt, die Logistik effi­zien­ter zu gestalten. Allein damit ließe sich laut Knie die Hälfte der Fahrten vermeiden. Er warnt jedenfalls davor, zu viel Hoffnung auf Drohnen zu setzen. „Das, was wir heute auf der Straße haben, wollen wir sicher nicht noch einmal in der Luft.“

Die Letzten, die noch versuchen werden, das eigene Auto so lange wie möglich zu erhalten, das werden wohl – nein, nicht die Techniker vom ADAC, die werden immer etwas zum reparieren finden – die Handwerker sein. Stufe 4 ist daher der Kleintransportverkehr. Vielleicht kommt die moderne, privatautofreie Umwelt da tatsächlich an ihre Grenzen. Vielleicht aber auch nur unser derzeitiges Denken.

Werkzeuge, die in Sharing-Stationen allen zur Verfügung stehen, modulare Transportboxen, die, innerhalb von Sekunden an Shuttles angehängt, Sperriges transportieren, und vielleicht doch die ein oder andere Drohne, mit der dringend Benötigtes sehr schnell zum Einsatzort gebracht werden kann – warum sollte all das nicht gehen?

Und wenn wir jetzt schon beim Denken des Unvorstellbaren sind – bereit für Stufe 5? Bekanntes über den Haufen werfen.

Platz statt Parkplatz

Es gibt das ein oder andere Konzept, das, obwohl heute ganz selbstverständlich, überflüssig würde. Ampeln zum Beispiel. Die vernetzten Fahrzeuge brauchen sie nicht. Sie können sich schließlich untereinander verständigen, wer an einer unübersichtlichen Kreuzungssituation zuerst fährt. Und da Blaulicht immer Vorfahrt hat und die Software ansonsten selbstverständlich auf besonders rücksichtsvolles Fahren hin programmiert wird, haben nichtmotorisierte Verkehrsteilnehmer sowieso Vorrang. Eine großzügigere Verteilung von Zebrastreifen könnte dazu beitragen, das Restkonfliktpotenzial auszuräumen.

Oder Parkplätze. Wenn niemand mehr sein Auto am Straßenrand abstellen muss, wird Platz frei. Nehmen wir eine Nebenstraße, bestehend aus Gehweg, Parkspur (längs), in der Mitte Platz für knapp zwei Autos nebeneinander, noch eine Parkspur (quer), wieder Gehweg. Einmal nachmessen ergibt: Sechseinhalb von gut zwanzig Metern Breite stehen für Parkplätze zur Verfügung. Pro Kilometer Straße ist das ein knappes Fußballfeld voll mit geparkten Autos.

Nein, Autofahren ist nichts, was wie die Erfüllung eines ge­nuin menschlichen Bedürfnisses wirkt. Auch wenn es natürlich Menschen gibt, die am Steuer eine an anderer Stelle fehlende Freiheit kompensieren

Was man damit alles machen kann! Grünflächen. Spuren für Straßenbahnen. Reihenweise Boxsäcke für den alternativen Aggressionsabbau. Einen riesigen Kletternetzspielplatz. Ein paar hundert der gehypten Micro-Häuser – die Wohnform der Zukunft für Minimalisten – die sogar auf einen Parkstreifen passen. Auch etwas Platz für Gärten bliebe da noch. Und das selbst dann, wenn ein kleiner Teil der ehemaligen Autoparkplätze für die Verleihstellen von Fahrrad- und Lastenrädern verwendet wird.

Auch Warten wird unnötig. Warten darauf, dass die Ampel grün wird, darauf, dass der Querverkehr durch ist, darauf, dass der Stau sich auflöst oder die Unfallstelle geräumt ist. Fußgänger müssen nicht mehr warten, um die Straße zu queren, da die vorausschauenden selbst fahrenden Autos rechtzeitig verlangsamen, ohne anhalten zu müssen. Und durch ein deutlich geringeres Verkehrsaufkommen wird schon zäh fließender Verkehr zu etwas, das man nur noch in Dokumentarfilmen sieht. Genauso wie Unfälle.

„Was?“, werden die Jungen fragen, wenn sie diese Dokumentationen sehen. „Ihr habt damals durchschnittlich 38 Stunden im Jahr im Stau verwartet? Und jährlich eine Zahl an Menschen umgebracht, die fast der Einwohnerzahl einer Kleinstadt entspricht?“

„Ja“, werden die Alten sagen. Und denken: Früher war eben doch nicht alles besser.

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