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Senat stimmt für AmnestiegesetzTriumph für Brasiliens Rechte

Der brasilianische Senat stimmt für kürzere Strafen für die Putschisten von 2023. Ex-Präsident Bolsonaro könnte so nach zwei Jahren Hafterleichterung bekommen.

Mildere Strafen für die Putschisten: Putschversuch nach der verlorenen Wahl von Bolsonaro im Januar 2023 Foto: Eduardo F S Lima/imago

Aus Salvador Da Bahia

Christine Wollowski

In der Nacht auf Donnerstag hat der brasilianische Senat sich der Entscheidung der Abgeordnetenkammer angeschlossen und für den Gesetzesentwurf der sogenannten Dosimetria gestimmt. Mit diesem Gesetz würde das Strafmaß aller am Putschversuch vom Januar 2023 Beteiligten deutlich verringert. Ex-Präsident Jair Bolsonaro, der nach geltendem Gesetz mindestens 7 der insgesamt 27 Jahre und drei Monate seiner Haftstrafe im geschlossenen Vollzug verbringen müsste, könnte danach womöglich bereits nach zwei Jahren Hafterleichterungen beantragen.

Das Bestreben, den „Messias“, so Bolsonaros Zweitname, und seine Kampfgenossen vor hohen Strafen zu bewahren, verfolgen dessen Anhänger seit dem Putschversuch. Zunächst sah es so aus, als hätten sie schlechte Chancen. Ein erster Vorstoß, der eine komplette Amnestie, also die Möglichkeit der Straffreiheit, vorsah, wurde ersetzt durch die jetzt vorgelegte „Dosimetria“, bei der die Strafen der Putschisten um bis zu zwei Drittel gekürzt werden können.

Mehrere Strafen für verschiedene Verbrechen würden zudem nicht addiert, sondern es würde ausschließlich das jeweils höhere Strafmaß angewendet. Anfang der vergangenen Woche hatte die vom rechten Lager dominierte Abgeordnetenkammer den Gesetzestext befürwortet, die Abstimmung im meist liberal entscheidenden Senat sollte auf nächstes Jahr vertagt werden.

Nun hat sich die Lage überraschend geändert. Verwickelt in diese Veränderung ist ausgerechnet Jaques Wagner von der linken Arbeiterpartei (PT) von Brasiliens Präsident Lula da Silva. Der Senator aus dem traditionell linken Bundesstaat Bahia hat nach eigener Aussage mit der Opposition eine Vereinbarung getroffen, bei der die Regierung die Abstimmung über die „Dosimetria“ nicht behindert, wenn die Opposition im Gegenzug ein Gesetz durchwinkt, das Steuererleichterungen abschafft und höhere Steuersätze unter anderem für Finanztechnologie einführt.

Mehrheit gegen Verkürzung

Dadurch sollen der Regierung Mehreinnahmen in der Höhe von 20 Milliarden Reais ermöglicht und Etatkürzungen verhindert werden. Wagner beantragte, anstatt der innerhalb der Regierung vereinbarten fünf Tage Pause, nur vier Stunden Unterbrechung, sodass die Entscheidung in der letzten Arbeitswoche des Kongresses mitten in der vergangenen Nacht fiel.

Nachdem seine Aktion hinter den Kulissen bekannt geworden und von Lula-Anhängern wie Ministerin Gleisi Hoffmann heftig angegriffen worden war, beeilte sich Wagner, zu betonen, er habe die Abmachung auf eigene Initiative und ohne Abstimmung mit der Regierung getroffen. Gleichzeitig vertritt er seine Haltung vehement: Da die „Dosimetria“ ohnehin nicht mehr zu verhindern gewesen sei, habe er das Richtige getan.

Laut einer aktuellen Umfrage von Genial/Quaest sind 47 Prozent der Bevölkerung gegen eine Reduzierung der Strafen, während 43 Prozent sich dafür aussprechen. Nachdem es bereits im September landesweite Demonstrationen gegen die Amnestie gegeben hatte, gingen am vergangenen Sonntag erneut in allen brasilianischen Großstädten Menschen gegen das Gesetz auf die Straße.

Trotz präsidentiellen Vetos nicht vom Tisch

Zur Verabschiedung muss Präsident Lula den Text innerhalb einer 14-tägigen Frist bestätigen. Tatsächlich hat der brasilianische Präsident aber bereits sein Veto angekündigt. Gleisi Hoffmann betonte in den sozialen Medien: „Die Regierung war von Anfang an gegen dieses Gesetz.“

Mit dem präsidentiellen Veto ist die „Dosimetria“ allerdings nicht aus der Welt: Das Gesetz wird dann 2026 erneut dem Kongress vorgelegt, der das Veto mit 257 von 513 Stimmen der Abgeordneten und 41 von insgesamt 81 Senatorenstimmen kippen kann.

Dann kann nur noch ein parlamentarischer Antrag zur Prüfung der Verfassungskonformität des Gesetzes durch den Obersten Gerichtshof das Gesetz stoppen: Sollte dieser entscheiden, dass der Text nicht der Verfassung entspricht, würde das Gesetz auch nach seiner Verabschiedung noch annulliert.

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