Seniorenpolitik in Berlin: „Wow, es lohnt sich“

Alle Berliner über 60 dürfen demnächst wieder ihre Seniorenvertretung wählen. Elke Schilling sitzt in einer und sagt: Widerstand zahlt sich aus.

zwei alte Menschen sitzen auf einer Parkbank

Alle 300 Meter eine Parkbank – schön wär's Foto: dpa

taz: Frau Schilling, verraten Sie mir Ihr Alter?

Elke Schilling: Ich bin 71. Ich bin gern so alt.

Warum betonen Sie das?

Meine Erfahrung als Seniorenvertreterin ist, dass viele Menschen sehr alt werden möchten, aber niemand alt sein möchte. Der öffentliche Leumund von Alter ist nach wie vor kein positiver.

Was ist das gängige Bild?

Gucken Sie doch mal in die Presse. Alter wird als etwas nicht unbedingt Erfreuliches wahrgenommen: Wir sind Pflegenotstand und multimorbide. Oder genau umgekehrt: Dann tummeln wir uns fröhlich und vergnügt auf den Kreuzfahrtschiffen der Aida (lacht).

Gehören Sie auch zu der Aida-Fraktion?

Nein (lacht). Selbst wenn ich das Geld dazu hätte: Ich beschäftige mich lieber selbst. Ich bin seit knapp sieben Jahren im Ruhestand und empfinde das als eine ungeheuerliche Freiheit, raus zu sein aus dem Erwerbsleben.

1944 in Leipzig geboren. Die Diplom-Mathematikerin war von 1994 bis 1998 für die Grünen Staatssekretärin für Frauenpolitik in Sachsen-Anhalt. Seit 2011 ist sie Vorsitzende der Seniorenvertretung Mitte, Mitglied in der Landesseniorenvertretung und im -beirat.

Geldsorgen, wie viele alte Leute, haben Sie nicht?

Nein. Ich bin versorgt mit meiner Rente, wenn auch nicht üppig. Als Ossi hat man ja nur die gesetzliche Rentenversicherung.

War der Übergang schwierig?

Ich war froh. Das lag daran, dass ich als Ex-Staatssekretärin für niemanden mehr verwendbar war. Um überleben zu können, musste ich mich die letzten Jahre als Organisationsberaterin selbstständig machen. Wenn man so spät mit einer freiberuflichen Tätigkeit anfängt, ist das immer prekär.

Sie sind Vorsitzende der SeniorInnenvertretung in Mitte und Mitglied in der Landesseniorenvertretung und im -beirat. Am Montag werden die Listen für die nächsten Wahlen im März 2017 geschlossen. Warum treten Sie wieder an?

Auch wenn Sie es vielleicht nicht glauben: Lobbyarbeit für Alte ist sinnvoll und macht mir große Freude.

Noch bis Montag können KandidatInnen für die Wahl zur Seniorenvertretung vorgeschlagen werden. Dann schließen die Listen. Die Wahl selbst findet vom 27. bis 31. März 2017 statt. Die Legislaturperiode dauert fünf Jahre. Kandidieren können alle BerlinerInnen, die das 60. Lebensjahr vollendet haben. Auch wählen kann man erst ab 60.

Jeder Bezirk hat 17 SeniorenvertreterInnen. Die Vorsitzenden der 12 Bezirke bilden die Landesseniorenvertretung. Darüber hinaus gibt es den Landesseniorenbeirat, bestehend aus den 12 BezirksvertreterInnen plus 12 Organisationsvertretern der Seniorenarbeit. Der Beirat soll den Senat beraten.

Nur 0,6 Prozent der Alten haben sich an der letzten Wahl beteiligt. Gewählt werden kann nur an fünf Orten eines Bezirks – ein Grund für die niedrige Beteiligung. 2017 gibt es erstmals die Möglichkeit einer Briefwahl. (plu)

Obwohl das überhaupt nicht wahrgenommen wird – was darauf hindeutet, dass man kaum etwas bewirkt?

Upps (holt tief Luft). Das ist eine eine Frage der Perspektive.

Wie meinen Sie das?

Wenn ich das mit dem Anspruch betrachte, alles verändern zu wollen, bewirken wir nichts. Wenn ich aber schaue, was möglich ist, wenn wir uns denn einbringen, denke ich: Wow, es lohnt sich. Sonst würde ich es nicht wieder tun wollen.

Was haben Sie denn erreicht?

Hier in Mitte gibt es bekanntlich die Rentnergang von Moabit. Seit 2014 setzen sich diese alten Herrschaften des ehemaligen Seniorenwohnhauses Hansa-Ufer 5 erfolgreich gegen die Luxussanierung ihres Domizils zur Wehr. Zum großen Teil ist das die Kriegswitwengeneration mit kleinen Renten. Beim Neubezug Ende der 70er Jahre war ihnen Wohnsicherheit bis ans Lebensende versprochen worden.

Was haben Sie damit zu tun?

Als Seniorenvertreterin habe ich sie massiv in ihrem Widerstand gegen den Investor, die Akelius GmbH, unterstützt.

Wie sah das aus?

Die Situation, die ich damals vorgefunden habe, war so: Mehr als drei Viertel der Bewohner waren zwischen 70 und 95 Jahre alt. In dem Haus gab es eine alte Dame, die einen Singekreis aus Bewohnerinnen um sich versammelt hatte. Das war dann die Kerngruppe des Widerstands.

Welches war Ihr Part?

Ich habe den alten Herrschaften geholfen, Kontakt zu Politik und Verwaltung aufzunehmen. Meine Pressemitteilung hat mächtig Staub aufgewirbelt. Und wir waren zusammen bei der Bezirksverordnetenversammlung Mitte. Mit einer Internetpetition gegen die Absichten von Akelius haben wir weltweit rund 130.000 Unterschriften zusammenbekommen. Das Medienecho war riesig. Der rbb hat in zwei Abendfolgen jeweils eine Dreiviertelstunde lang über sie berichtet, mit mir als Kommentatorin.

Wie sah das Ergebnis aus?

In einem Verhandlungsmarathon wurde erreicht, dass Akelius die Bautätigkeiten zunächst für zwei bis fünf Jahre einstellt und die Mieterhöhungen beim normalen Maß belässt. In den zweieinhalb Jahren, die die alten Herrschaften Widerstand geleistet haben, konnten etliche schon in Frieden sterben.

Was ist mit den anderen passiert?

Ein paar sind ausgezogen, der Stress und die Ungewissheit waren zu groß. Aber die meisten – 40 von einstmals 60 – leben dort heute noch. Sie bereiten sich auf die nächste Runde vor: Akelius hat gerade eingeladen, das weitere Vorgehen zu besprechen. Da bin ich wieder dabei.

Kommen wir zur Politik: Welche Erwartung haben Sie an die künftige rot-rot-grüne Landesregierung?

CDU-Sozialsenator Mario Czaja hat letztes Jahr einen Dialogprozess durchgeführt zur gesundheitlichen und pflegerischen Versorgung der Hochaltrigen, also von Menschen über 80. Das ist sehr verdienstvoll …

… aber?

Viele von uns sind imstande, sich selbst zu versorgen. 80 Prozent der Alten leben bis zuletzt zu Hause. Sie bräuchten die eine oder andere Hilfe. Am wichtigsten für sie sind aber Bildung, Vernetzung, Mobilität und wohnortnahe Treffmöglichkeiten.

Woran hapert es bei der Mobilität?

Da geschieht eine Menge. Trotzdem ist Berlin weit davon entfernt, eine altersfreundliche Stadt zu sein. Ein simples Beispiel: Es gibt eine Bundesbauordnung, wonach im öffentlichen Straßenraum alle 300 Meter eine Sitzbank stehen sollte. Im Berliner Landesrecht gibt es das nicht. Seit vier Jahren fechte ich darum, dass in Mitte mindestens an den großen Geschäftsstraßen Bänke aufgestellt werden. So könnten alte Menschen, die ihre Dinge selbst einkaufen, dazwischen mal ihre Beine ausruhen.

Einsamkeit ist aber nicht nur ein Problem fehlender Bänke und Treffpunkte.

Richtig. Je älter ich werde, umso einsamer kann ich werden, weil der Partner und die Freunde gehen. Und es wird schwerer, neue Kontakte zu finden.

Wie ist das bei Ihnen?

Ich bin geschieden, aber ich habe zwei Kinder und fünf Enkelkinder, mit denen ich mich herzlich verbunden fühle, auch wenn wir uns nicht täglich sehen. Und ich bin leidenschaftliche Netzwerkerin.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.