Separatismus in Bayern: Eine ketzerische Idee

Die Loslösung von Deutschland treiben nur wenige Menschen in Bayern aktiv voran. Den Gedanken an die Unabhängigkeit mögen trotzdem viele.

In ihren Bräuchen autonom und eigenwillig sind die Bayern ohnehin: Leonhardifahrt in Benediktbeuren. Bild: imago/Peter Widmann

MÜNCHEN taz | Es ist noch nicht allzu lange her. Da war Deutschland geteilt. Nicht politisch, sondern wettermäßig. Im Norden schneite es, während im Süden die Sonne schien. Der Münchner Merkur widmete dieser Wetterlage ein Titelfoto. Darunter hieß es, man möge doch nicht allzu hämisch sein gegenüber den „Preißn“, denn bald würde das Wetter auch im Süden wieder schlechter. Das ist an sich nett gemeint, könnte man sagen. Es lässt sich aber auch anders lesen: Offenbar ist es um die bayerische Solidarität gegenüber dem Rest von Deutschland nicht so gut bestellt. Warum sonst sollte man an diese wohl erinnern müssen?

„Die Bayern sind schon ein sehr eigenes Volk“, sagt Richard Loibl, nicht ohne sofort darauf hinzuweisen, dass es „die Bayern“ eigentlich gar nicht gibt; dass man vielmehr unterscheiden müsse, zwischen Altbayern, Schwaben und Franken. Es ist einer dieser wunderschönen Sonnentage mit strahlend blauem Himmel in München, an denen es womöglich anderswo in Deutschland schneit. Loibl sitzt auf der Terrasse des Cafés Tambosi am Odeonsplatz und trinkt einen doppelten Espresso. Er ist Direktor des Hauses der bayerischen Geschichte, und als „Berufsbayer“, wie er scherzhaft sagt, war er gerade auf einem Termin in der Münchner Residenz.

„Das ist ein geschichtsträchtiger Platz für Bayern“, sagt Loibl, „der Sitz der bayerischen Könige“. Dieser Zeit der Souveränität und Eigenstaatlichkeit trauert man in Bayern immer noch nach. Mag es also sein, dass Wilfried Scharnagl, diese grau gewordene Eminenz der CSU, einst Intimus von Franz Josef Strauß und langjähriger Chefredakteur des Bayernkuriers, Recht hat? „Bayern kann es auch allein“ lautet der Titel seines Buches, das er im vergangenen Jahr schlagzeilenreich veröffentlichte. Seither fragt man sich im Rest von Deutschland: Gibt es tatsächlich Menschen in Bayern, die sich trennen wollen?

Die Serie: Die taz ging in den vergangenen Wochen dem aufkeimenden Regionalismus in Europa nach und blickte nach Südtirol, in die Vojvodina, nach Flandern, Katalonien und Schottland. Bayern bildet den Abschluss der Reihe.

Bayern: Deutschlands südlichstes Bundesland hat 12,6 Millionen Einwohner. Würde es unabhängig, wäre es gemessen an der Einwohnerzahl das achtgrößte Land Europas. Es war lange Zeit ländlich geprägt. Statt großer Industriezentren gab es schon früh viele kleine mittelständische Betriebe. Dadurch hatte Bayern weniger mit dem Niedergang ganzer Industriezweige zu kämpfen. In den letzten Jahrzehnten hat es sich vom Agrar- zum Technologiestandort entwickelt. Auch vom Tourismus profitiert Bayern enorm.

1.500 Jahre Bayern

„Dazu ist Bayern längst viel zu stark verwoben mit Deutschland.“ Loibl ist skeptisch. Was es aber unbestritten gebe, seien „bayerische Traumata“. Die lägen in der Geschichte des Freistaates begründet. „Die ersten bayerischen Herzöge wurden in den historischen Quellen um 500 erwähnt. Bayern blickt also auf 1.500 Jahre Geschichte zurück.“

Zweimal stand die Eigenständigkeit Bayerns zur Debatte. Einmal 1871, als Bayern dem deutschen Kaiserreich beitreten sollte. Ein zweites Mal im Mai 1949. Damals lehnte der bayerische Landtag das Grundgesetz ab – nicht ohne anschließend wesentlich dazu beizutragen, dass der Föderalismus und damit die Eigenständigkeit der Bundesländer darin verankert wurden. Im Bundestag stimmten die Bayern schließlich für die Rechtsgültigkeit der Bonner Verfassung. Eine Sowohl-dagegen-als auch-dafür-Politik, wie sie die CSU bis heute pflegt.

„Das ist ein alter bayerischer Trick“, sagt Loibl und lächelt. So könne Bayern seine gefühlte Eigenständigkeit ohne schwerwiegende Konsequenzen demonstrieren. Die Bayern seien schließlich auch gute Geschäftsleute: „Tradition da, wo sie uns nützt, zum Beispiel im Tourismus“, erklärt er. „Wenn der Fortschritt einträglicher ist, wirft man die Tradition über Bord.“

Stirbt die bayerische Sprache aus?

Die Traumata der Bayern scheinen nicht nur politischer Natur zu sein. Horst Münzinger ist ein ruhiger, freundlicher Mann, dessen Herz stark an seiner Heimat hängt. Besonders die bayerischen Dialekte haben es ihm angetan. Seine E-Mails unterschreibt er mit „An scheena Gruaß“. Als Vorsitzender des Fördervereins Bairische Sprache und Dialekte sagt er oft und mit großem Bedauern: „Die bayerische Sprache ist vom Aussterben bedroht.“

Um diesen Prozess aufzuhalten, besucht Münzinger, der einmal Bankvorstand war, Schulen und hält Vorträge. Was er sich wünscht, ist, dass bereits Kindergartenkinder wieder Bayerisch lernen, und zwar alle. Der Wunsch entspringt keinem bornierten Konservatismus, der sich gegen das Fremde sträubt. Münzinger ist ein aufgeschlossener Mann, der sich für vieles interessiert und gerne reist. Wenn er nicht gerade für die bayerische Sprache kämpft, führt er Reisegruppen durch den Oman.

„Viele Eltern wagen nicht, mit ihren Kindern in der Mundart zu reden, aus Angst, dass die dann als ungebildet gelten könnten“, erklärt er und steuert seinen Kleinwagen in besonnenem Tempo von München aus ins fast hundert Kilometer entfernte niederbayerische Vilsbiburg. Die neunten Klassen einer Realschule stellen dort die Ergebnisse ihrer Projektarbeiten vor. Eine Gruppe hatte ihn zu den Ursprüngen der bayerischen Sprache befragt.

„Die waren so gut, die Burschn“, freut sich Münzinger noch immer. Wenn es um die Sprache geht, ist ihm kein Weg zu weit und keine Schulaufführung zu piefig. Es ist das Bild des ungebildeten Bayern, das er zu bekämpfen sucht. Die oberbayerische Idylle hätten die Gäste aus Preußen immer genossen, sagt Münzinger, „aber die ländliche Bevölkerung, deren Sprache sie nicht verstanden, auf die haben sie ein bisschen herabgeschaut“.

Alkoholfreies Weizen

Karl Steininger zeichnet ein ganz anderes, ein sehr stolzes Bild von Bayern. Der Mann mit den wildwachsenden Augenbrauen ist Landeshauptmann der bayerischen Gebirgsschützen, einer Art oberbayerischem Bauern- und Bürgermilitär, das im Kaiserreich sämtliche militärische Funktionen verlor und heute ausschließlich Traditionspflege treibt. 47 verschiedene Kompanien gibt es, jede mit eigener Tracht. „Ich gehöre zur Kompanie Gotzinger Trommel“, sagt Steininger und zeigt in einem Heft eine Figur mit braunem Rock, blauer Weste, Lederhose und konisch zulaufendem Trachtenhut. Im Pschorr, einem bayerischen Wirtshaus an der Münchner Schrannenhalle, ist Steininger in Zivil. Er trägt Trachtenjanker mit Hirschhornknöpfen. Vor ihm steht ein alkoholfreies Weißbier.

12.000 Mitglieder haben die Gebirgsschützen bayernweit. Wenn die bayerische Staatsregierung einen ausländischen Staatsgast empfängt, stehen die Gebirgsschützen Spalier. Verpflichtet auszurücken sind die Gebirgsschützen aber nicht. „Wenn wir Zeit haben“, sagt Steininger und lacht dabei so spitzbübisch, dass es ihn schüttelt. Traditionspflege und Loyalität zur Staatsregierung sind für ihn und seine Männer Ehrensache und nichts, wozu man sie verdonnern kann.

Über die Abspaltung Bayerns hat Steininger durchaus schon mal nachgedacht. Eine abschließende Lösung hat er dafür nicht. „Das wäre eine ketzerische Idee“, sagt er und rückt auf der hölzernen Wirtshausbank konspirativ näher. „Das ist wie mit dem König: Brauchen tut man ihn nicht mehr, aber schön wär’s schon.“

Von Scharnagl profitiert

Es sind Menschen wie Karl Steininger, auf die Florian Weber zählt. Der kahlköpfige Mann im beigen Trachtenjanker ist Landesvorsitzender der Bayernpartei – der einzigen Partei, die die Eigenstaatlichkeit des Freistaates tatsächlich fordert. Knapp 6.000 Mitglieder führt die Regionalpartei in ihrer Kartei. Bei der letzten Landtagswahl kam sie auf 1,1 Prozent. Derzeit sammeln sie Unterschriften, um bei der Landtagswahl im Herbst antreten zu dürfen. Weber gibt sich optimistisch: „Im Jahr 2012 konnten wir eine Mitgliedersteigerung von 35 Prozent verzeichnen“, sagt er, wohl wissend, dass ihm dieser Erfolg nicht gebührt. „Herrn Scharnagls Buch hat unser Thema in die Öffentlichkeit gebracht.“ Doch dessen Forderungen gehen ihm nicht weit genug.

Weber sucht seine Vorbilder lieber außerhalb Bayerns, bei den separatistisch gesinnten Flamen, Schotten und Basken. Von der Eigenstaatlichkeit Bayerns verspricht er sich in erster Linie einen Zugewinn an Demokratie. „Ich weiß, dass das für viele Menschen sonderbar klingt“, sagt er. „Aber wenn man die Idee mal durchdenkt, dann steckt viel Wahrheit darin.“ Je kleiner die politische Einheit, umso näher seien die Menschen an den politischen Entscheidungen.

Anders als Steininger hat Weber einen Plan, wie die Eigenstaatlichkeit Bayerns gehen könnte. Dazu müsste seine Partei allerdings in der Staatsregierung sein. „Dann würden wir eine Volksabstimmung initiieren, bei der die Menschen über die Loslösung Bayerns abstimmen könnten.“ Doch dafür fehlen Weber die Mehrheiten.

In der sogenannten Bayernstudie hat die CSU-nahe Hanns-Seidel-Stiftung 2011 ermittelt, dass 20 Prozent der Bayern für ein eigenstaatliches Bayern sind. 21 Prozent können sich ein eigenes Bayern vorstellen. Knapp 60 Prozent sind also ganz eindeutig für einen Verbleib Bayerns bei Deutschland. Das weiß auch Florian Weber. „Gegen eines bin ich natürlich machtlos“, sagt er und lächelt dabei sehr gütig. „Wenn jemand sagt, ich fühle mich als Deutscher, kann ich nichts machen.“

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